Anna Birgit Haigis: Hilfe für Kinder aus suchtkranken Familien. Foto: Eigen-Sinn Foto: Schwarzwälder-Bote

Arbeitskreis stellt erschreckende Statistik vor / Hilfe für Nachwuchs suchtbelasteter Familien

Freudenstadt. Man nennt sie die "vergessenen Kinder": Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien, in denen ein Elternteil oder beide Eltern an einer Sucht leiden. Die Zahl der Kinder ist erschreckend hoch und steigt in noch erschreckenderem Maß.

Der Arbeitskreis, bestehend aus Diplompädagogen, Sozialarbeitern, Suchtberatern und -therapeuten, ist bei der Landesstelle für Suchtfragen angesiedelt und trifft sich zu gegenseitiger Information, Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch. Eine der Fachkräfte ist Anna Birgit Haigis, die bei der Kinder- und Jugendwerkstatt Eigen-Sinn in Freudenstadt eine entsprechende Gruppe leitet und den Arbeitskreis jetzt zu einer Fachtagung eingeladen hatte.

Die Statistik weise 2,65 Millionen Kinder aus, die deutschlandweit in suchtkranken Familien aufwachsen, berichtete Haigis. Das sei etwa jedes siebte Kind, statistisch gesehen: vier Kinder pro Schulklasse. Ihr Entwicklungs-Risiko beginne schon im Mutterleib, ihre oft unerträglichen Lebensumstände im Kindesalter äußerten sich in Verhaltensauffälligkeiten wie Ängsten, Isolation, Schuldgefühlen, Hyperaktivität, Aggressivität, Überforderung. Die Kinder übernehmen zudem viel zu früh Verantwortung in der Familie.

Die Gefahr, selbst süchtig zu werden, ist bei diesen Kindern acht Mal höher als bei Gleichaltrigen. "Wir versuchen, den Kindern eine Sprache zu geben. Sie sollen darüber reden können, was ihnen täglich widerfährt", formulierte eine Teilnehmerin aus dem Arbeitskreis. Dabei gehe es auch darum, den Kindern drei Grunderfahrungen zu vermitteln: Sie tragen keine Schuld an der Sucht der Eltern, sie können die Eltern nicht ändern, und sie können die Sucht nicht kontrollieren. Oft helfe den Kindern, in Gruppenarbeit zu erfahren, dass sie mit ihren meist geheim gehaltenen Problemen nicht allein sind. Der Therapeut sei für viele die einzige Bezugsperson außerhalb der Familie.

"Kinder haben keine Lobby, diese Kinder schon gar nicht", seufzte Holger Meischner. Die Zahl der Projekte im Land, die sich dieser Kinder annehmen, übersteige wohl kaum die Zahl von 100 Kindern landesweit. Oft seien auch Suchtberatungsstellen überfordert. Es fehle landesweit an Fachkräften, Geld und vor allem an der Bereitschaft, diese gesellschaftliche Entwicklung zu sehen und ernst zu nehmen.

Dabei gebe es, so Christian Denecke aus dem Arbeitskreis, laut Statistik in den Ballungsräumen ebenso viele suchtbelastete Familien wie in ländlichen Regionen. Und: Der Anteil der Spiel- und PC-Süchtigen wachse hier wie dort im beängstigender Geschwindigkeit.