Nach Konfrontation auf Freudenstädter Stadtfest: Nicht nur ein zerstörtes Leben, sondern zwei.
Freudenstadt - Ausgelassene Partystimmung in Freudenstadt. Es ist Stadtfest. Ein echter Szene-Treffpunkt, an dem bis tief in die Nacht gefeiert wird, gerne auch mal bis sechs Uhr in der Früh. Einige Jugendliche gehen zu einem Platz in der Nähe des Bahnhofs. Dort kann man miteinander abhängen. Viele bringen ihren Alkohol selbst mit und sparen sich den teuren Kauf auf dem Stadtfest.
Es ist kurz vor drei Uhr nachts. Eine Dreier-Gruppe aus dem Raum Freudenstadt trifft dort auf eine Gruppe aus dem Raum Horb, zirka 30 Kilometer von Freudenstadt entfernt, im gleichen Landkreis. Sie kennen sich nicht. Warum dann ein Streit entsteht, kann die Staatsanwaltschaft Rottweil noch nicht sagen. Die Zeugenaussagen ergäben noch kein eindeutiges Bild. 25 bis 30 Zeugen sollen mehr oder weniger etwas mitbekommen haben. All diese anzuhören und zum Teil widersprüchliche Aussagen zu einem Gesamteindruck zusammenzufassen, brauche Zeit, erklärt Dietmar Schönherr, Chef der Kriminalpolizeidirektion Rottweil.
Ob es Tritte gegen das am Boden liegende Opfer gegeben hat? Die Ermittler wissen es noch nicht
Junge Frau schreit um Hilfe
So viel aber scheint sicher zu sein: Ein 17-jähriger Horber schlägt zu, trifft einen 19-Jährigen aus dem knapp 15 Kilometer von Freudenstadt entfernten Schopfloch mindestens einmal ins Gesicht. Wahrscheinlich ist dieser Schlag die Ursache, warum der Schüler aus Schopfloch schwer verletzt wird und stirbt. Dass es Tritte gegen das am Boden liegende Opfer gegeben hat, wie in der Gerüchteküche verbreitet wird, kann die Kripo nicht bestätigen.
Eine junge Frau aus der Dreier-Gruppe schreit um Hilfe, eine Polizeistreife, die in der Nähe ist, fährt zum Ort des Geschehens. Das Opfer liegt 30 bis 50 Meter vom ursprünglichen Tatort entfernt. Ob es sich dort selbst hingeschleppt hat oder dorthin getragen wurde, ist bisher ebenfalls unklar. Der hinzugerufene Notarzt muss den jungen Mann reanimieren, der 19-Jährige erliegt aber im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.
Alkohol habe in den Gruppen mehr oder weniger eine Rolle gespielt. Ob der mutmaßliche Täter alkoholisiert gewesen sei oder sogar unter Drogen gestanden habe, weiß die Staatsanwaltschaft noch nicht. Das müssten umfangreiche Tests erst einmal ans Tageslicht fördern.
Für die Kriminalpolizei beginnt eine schwierige Spurensuche. Sie sperrt den Tatort ab. Sammelt alles ein, was Hinweise geben könnte – sogar die vielen Zigarettenkippen. »Sie können sich vorstellen, wie schwierig es ist, am Rande eines Stadtfests Spuren zu sammeln. Bei so vielen Menschen, die sogar noch bis spät in die Nacht da sind.«
17-jähriger Verdächtiger ist polizeibekannt
Doch wie konnte so ein Streit entstehen? Handelt es sich um einen stadtbekannten Schläger? Nach dem Fall Tugce in Offenbach und den Vorverurteilungen des damaligen Täters ist Vorsicht geboten. »Der 17-Jährige ist bisher nur wegen eines geringeren Deliktes polizeibekannt.« Möglicherweise durch einen kleinen Diebstahl. Aber eine Schlägerkarriere gibt es nicht. Er hat gerade sein berufsvorbereitendes Jahr abgeschlossen und wartete auf sein Zeugnis. Er selbst hat auch leichte Verletzungen, die ihm aber nicht vom Opfer zugefügt worden seien. Der getötete Schüler war ebenfalls nicht als Raufbold aufgefallen. Stellvertretender Schülersprecher einer Werkrealschule, aktiv bei einer Antirassismus-Kampagne, als Jugendlicher im örtlichen Fußballklub aktiv. Beim Flirtportal »badoo« posierte er neben einem Hund auf dem Foto. Er liebte das Skater-Outfit und war wohl ein beliebter Mitschüler.
Der 17-jährige Tatverdächtige wurde am Montag dem Haftrichter vorgeführt. Die Staatsanwaltschaft hat einen Haftbefehl wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge beantragt. Auch ein 19-jähriger Horber war verhört worden, wurde aber wieder auf freien Fuß gesetzt. »Wir konzentrieren uns auf diesen einen Tatverdächtigen«, so Schönherr. Als er am Sonntag festgenommen wurde, habe er überrascht getan. »Doch es war wohl eher die Überraschung, dass die Polizei so schnell vor der Tür steht.« Der mutmaßliche Täter hat eine Beteiligung am Tatgeschehen zugegeben, aber wohl eine eigene Version geschildert.
War es richtig, das Stadtfest am nächsten Tag abzusagen? War vor Ort genug Sicherheitspersonal?
Große Betroffenheit in Freudenstadt
Bei der Pressekonferenz von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft am Montag in Rottweil spürt man Betroffenheit. »Es zeigt sich, wie ein simpler Streit nicht nur ein Leben zerstören kann, sondern auch ein zweites«, sagt der leitende Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich. Denn der mutmaßliche Täter habe den Tod des 19-Jährigen sicher nicht beabsichtigt.
In Freudenstadt herrscht nach dem tödlichen Streit ebenfalls große Betroffenheit, aber es wird auch diskutiert. War es richtig, das Stadtfest am nächsten Tag abzusagen? Und: War genug Sicherheitspersonal vor Ort? Kann man jede Ecke in der Nähe eines solchen Festes überhaupt im Blick haben?
Viele Fragen sind noch offen. Auch die, ob die Menschen, die die Konfrontation sahen, keine Chance hatten, einzuschreiten. Eine Schlägerei bei einem Fest bekommt man ja oft mit. Ein blaues Auge, ein Platzverweis. Das war es oft. Doch es kann auch tödlich enden.