Interview: Corona lässt Steuereinnahmen im Kreis einbrechen / Wie das Finanzamt die Lage beurteilt

Kreis Freudenstadt. Durch die Corona-Krise sind die Steuereinnahmen im Kreis Freudenstadt kräftig eingebrochen. Die Pandemie hat aber auch die Arbeitsabläufe im Finanzamt Freudenstadt gehörig durcheinander gewirbelt. Wie sieht die momentane Lage aus, und was müssen Arbeitnehmer und Unternehmer beachten? Wir sprachen mit Erich Kiefer, dem Leiter der Behörde.

Herr Kiefer, Steuerstundungen, Kurzarbeitergeld, Erstattungen von Betreuungskosten – sind Staat und das Finanzamt Freudenstadt nach fünf Monaten Corona-Krise selbst noch flüssig?

Glücklicherweise haben wir im Kreis Freudenstadt noch einige Unternehmen, welche nur leichte Defizite hinnehmen mussten. Bekanntermaßen sind viele Betriebe, darunter das Gastronomie- und Touristikgewerbe, noch nicht bei ihren früheren Umsatzzahlen angelangt. Dies bedauere ich sehr und drücke allen die Daumen. Allerdings gibt es – wenn auch wenige – Branchen, die während der vergangenen Monate leicht zulegen konnten. Sie alle, insbesondere auch alle Arbeitnehmer im Landkreis, tragen zu unserem Steueraufkommen bei. Dies ist zwar deutlich gesunken. Wir führen jedoch immer noch erhebliche Beträge an die Staatskasse ab. Unser Staat ist somit noch flüssig. Allerdings werden wir in den nächsten Jahren sicherlich deutlich mehr sparen müssen. Genaueres kann hierzu nur das Finanzministerium sagen.

Wie viele Anträge auf Stundungen oder Erleichterungen gingen in Ihrer Behörde ein?

Anträge auf Stundung und andere Billigkeitsmaßnahmen gingen insbesondere von Unternehmen ein, die starke Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hatten. Neben Tourismus- und Zulieferbetrieben waren dies auch Unternehmen mit erheblichen Auslandsgeschäften. Die Anträge, welche wir zur Verfahrensbeschleunigung zahlenmäßig nicht erfassen, wurden von unseren Beschäftigten bei meist klaren und eindeutigen Sachverhalten schnell und unbürokratisch beschieden.

In welcher Höhe hat Ihr Finanzamt offene Forderungen?

Die Finanzverwaltung hat, das liegt in der Natur der Sache, immer erhebliche Forderungen gegenüber nicht zahlungsfähigen Steuerbürgern. Diese betreffen teils auch laufende Insolvenzverfahren. Deren Höhe schwankt arbeitstäglich – auch ohne die derzeitige Rezession – aufgrund verschiedenster Ursachen. Der Gesamtbetrag ist meist nichtssagend und wird nicht gesondert festgestellt. Entscheidend ist, in welcher Höhe es unserer Vollstreckungsstelle gelingt, diese möglichst vollständig beizutreiben, um so die vielfältigen Aufgaben unseres Staates zu finanzieren.

Wie geht die Steuerverwaltung damit um? Übergangsfristen setzen?

Die derzeitigen coronabedingten Stundungen laufen in den nächsten Wochen oder Monaten jeweils aus. Selbstverständlich hoffen wir, dass es den Unternehmen im Laufe der Zeit wieder besser geht und sie die Beträge bezahlen können. Schließlich handelt es sich hierbei oft um Umsatzsteuern, die wirtschaftlich gesehen, im Auftrag des Staats – als durchlaufender Posten – bereits eingenommen wurden. Sollte eine Zahlung, wegen der andauernden Konjunkturdelle, weiter nicht möglich sein, ist es wichtig, uns hierzu frühzeitig zu kontaktieren, um nach Lösungen zu suchen. Schlecht wäre es, stillschweigend auf Vollstreckungshandlungen zu warten und erst dann zu reagieren.

Lässt sich bereits beziffern, wie stark die Steuerausfälle im Vergleich zum Vorjahr sind?

Das Finanzamt Freudenstadt hatte 2019 Steuereinnahmen von rund 740 Millionen Euro. Diese Zahl wird für 2020 sicherlich deutlich niedriger sein. Die Entwicklung des Steueraufkommens einzelner Finanzämter ist häufig durch saisonale und insbesondere regionale Unterschiede beeinflusst. Während das bundesweite Aufkommen im März 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat mit zwei Prozent rückläufig war, hatten wir damals noch einen Zuwachs von zwölf Prozent. Umgekehrt war unser Aufkommen im Juni 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat etwas schlechter als das bundesweite Minus von 19 Prozent. Die endgültigen Steuerausfälle 2020 sind im Wesentlichen davon abhängig, wie schnell sich die einzelnen Unternehmen wieder erholen. Dies ist nicht kalkulierbar. Hiervon abhängig ist auch die Frage, wie schnell die als Liquiditätshilfe gestundeten Steuerbeträge zurückbezahlt werden können. Wir sind alle guter Dinge und hoffen, dass wir in Deutschland keine zweite Welle bekommen. So kann es im Herbst hoffentlich wieder bergauf gehen.

Wann kommt dieser Einbruch in den öffentlichen Haushalten an?

Fast alle öffentlichen Haushalte hatten – auch schon vor der Krise – noch Schulden. Deshalb wurde und wird jeder Cent an Steuergeldern schon immer unmittelbar dazu verwendet, die Finanzierung der verschiedenartigen laufenden Ausgaben unseres hoch entwickelten Gemeinwesens zu sichern. Steuermindereinnahmen führen damit unmittelbar und zwangsläufig zu mehr neuen Schulden.

Die Steuerberaterkammer Nordbaden riet Steuerpflichtigen, vor allem Unternehmen, zu viel gezahlte Corona-Hilfen zügig zurückzuzahlen und sonstige Ungereimtheiten zeitnah aus eigenem Antrieb zu bereinigen. Sind die Betriebsprüfer und Steuerfahnder schon wieder im Einsatz?

Erkennt ein Steuerbürger, dass seine Angaben bezüglich der Steuerfestsetzung unrichtig sind, so hat er dies unverzüglich zu berichtigen. Dies gilt entsprechend für Corona-Hilfen. Betriebsprüfer waren während der gesamten Krise ununterbrochen tätig. Sie waren allerdings erheblich eingeschränkt durch Home-Office und die fehlende Präsenz in den Unternehmen. Die Prüfer sind zwar nur für die Steuerfestsetzung in der richtigen Höhe zuständig. Im Rahmen ihrer Tätigkeit können sie aber Erkenntnisse erlangen, wonach öffentliche Mittel ungerechtfertigt vereinnahmt wurden. Dann sind sie verpflichtet, diese den zuständigen Stellen mitzuteilen.

Wie ist das Finanzamt Freudenstadt organisatorisch durch die Zeit der Ausgangssperre gekommen, wie der "Lockdown" übersetzt heißt?

Wir haben beim Finanzamt Freudenstadt eine tolle und überaus hochmotivierte Mannschaft. Genauer gesagt, sind dies rund 75 Prozent Damen. Alle Kolleginnen und Kollegen waren und sind sehr verständnisvoll und diszipliniert, worüber ich sehr froh bin. Insbesondere Außendienstmitarbeiter, Beschäftigte mit Risiko und einige weitere Kollegen konnten im Heimbüro arbeiten. Durch Umstrukturierungen konnten alle anderen im Amt in Einzelzimmern weiterarbeiten. Teilzeitkräfte arbeiteten beispielsweise auch zeitlich versetzt.

Können Sie Beamte und Angestellte einfach ins Heimbüro versetzen? Die Daten, die die Steuerbehörde verwaltet, sind ja besonders sensibel.

Daten der Steuerbürger sind ein hohes Gut. Deshalb kann ein einzelner Bearbeiter auch nur diese Daten einsehen, für die er organisatorisch innerhalb des Amts zuständig ist. Bei der Bearbeitung vom Heimbüro aus ist der Zugang mehrfach gesichert, und die Daten sind verschlüsselt. Wegen fehlendem EDV-Equipment war die Zahl der Heimarbeitsplätze allerdings auf rund 25 Prozent begrenzt.

Wie weit ist Ihre Behörde auf dem Laufenden, was die Bearbeitung von Steuererklärungen und offenen Fällen von Unternehmen wie Körperschaftssteuer betrifft?

Durch zu bearbeitende Billigkeitsanträge und weitere Erschwernisse durch Heimbüro und Hygieneregeln sind wir im Frühjahr etwas in Rückstand geraten. Dies haben wir, dank eines guten Zusammenwirkens aller Mitarbeiter, ziemlich aufgeholt. Ein Steuerbescheid durchläuft verschiedene Stationen innerhalb des Amts. Deshalb kann dies, gerade in Sommermonaten, schon mal zwei bis zu drei Monate dauern.

Wie lange wird es dauern, das alles aufzuarbeiten?

Da wir derzeit den üblichen Arbeitsstand haben, ist mir nur bange für die Zukunft. Es wird noch erheblich Arbeit verursachen, die bereits festgesetzten, jedoch wegen Corona gestundeten Steuerbeträge zu realisieren. Hoffen wir, dass es allen baldigst wieder besser geht.

Stellt die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer für die Finanzverwaltung eine zusätzliche Belastung dar?

Derzeit erstreckt sich die Mehrarbeit auf rechtliche Anfragen bezüglich der Abgrenzung von Leistungen oder Teilleistungen. Letztendlich stellt sich immer die Frage, ob der Mehrwertsteuersatz 19 oder 16 , beziehungsweise sieben oder fünf Prozent beträgt. Ich würde es eher einen zusätzlichen Prüfungspunkt unserer Arbeit nennen.

Die Grundsteuerreform gibt’s ja auch noch. Spielt das derzeit überhaupt noch eine Rolle?

Am 28. Juli hat unsere Landesregierung den Entwurf eines Landesgrundsteuergesetzes auf den Weg gebracht. Im Vorgriff darauf haben wir in Freudenstadt bereits zwei Beschäftigte eingestellt. Diese werden in einer einjährigen Ausbildung – ergänzend zu unserem bisherigen Personal – speziell im Bewertungsrecht ausgebildet. Um hier jedoch konkret tätig zu werden, muss das Gesetz erst beschlossen und auch noch EDV-technisch umgesetzt werden.

Welche Probleme sehen Sie noch kommen?

Dies wird sicherlich die Frage des ob und der Intensität einer zweiten Welle sein. Schön wäre es, wenn alle Bürger weiterhin die Hygiene- und Abstandsregeln ernst nehmen und sich die wirtschaftliche Entwicklung wieder positiv wendet. Dann werden sich unsere Staatsschulden, und damit die Schulden eines jeden Einzelnen, hoffentlich in Grenzen halten. Die Fragen stellte Volker Rath