Atemmasken in Heimarbeit. Um dem Mangel an den schützenden Masken zu begegnen, fanden findige Handarbeiter in der Villa Sonnenheim heraus, wie aus ausgedienten Stofftaschentüchern und den bekannten Eigensinn-Bändeln waschbare und wiederverwertbare Schutzmasken geschneidert werden können. Foto: rt

Hans-Martin Haist über Schwierigkeiten der stationären Jugendhilfe in angeordneten Ferien.

Freudenstadt - Von der Corona-Pandemie im besonderen Maß ist die sogenannte stationäre Jugendhilfe betroffen, also Kinder und Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen in Wohngruppen und/oder Heimen leben müssen.

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Eigentlich ist es ganz ähnlich wie in der Seniorenpflege. Nur: Die Kinder und Jugendlichen sind quicklebendig, brauchen ständig Anregung, Bewegung, Kontakt, Förderung und emotionale Unterstützung. "Wir können sie doch nicht an sieben Tagen 24 Stunden am Stück im Haus lassen", sagt Hans-Martin Haist vom Kinderheim Villa Sonnenheim in Freudenstadt. Mit ihm sprachen wir über die stationäre Jugendhilfe in staatlich angeordneten Ferien und Corona-Zeiten.

Haists Erfahrungen und Forderungen decken sich mit denen der Einrichtungen Bruderhaus-Diakonie in Loßburg und Osterhof in Klosterreichenbach, für die er auch spricht. "Unser höchstes Gut", so sagt Haist, "sind unsere Mitarbeiter. Sie sind gesund, noch gesund, dürfen eigentlich auch gar nicht krank werden. Einige sind in Quarantäne, aber nicht krank. Wir hoffen das Beste. Wir brauchen sie." Der Personaleinsatz sei bei knapper Personaldecke eine äußert knifflige Sache. Haist: "Die Krise beschert uns einen enormen Mehraufwand bei einer ohnehin schweren Aufgabe."

Kontakt zu Freunden nur in Ausnahmefällen

Derzeit wollen und müssen Kinder und Jugendliche an sieben Tagen rund um die Uhr betreut werden. Kontakte zu Freunden sind nur in Ausnahmefällen möglich, für viele sehr schmerzlich. Bei der Jugendhilfe sei, so Haist, eine klare Tagesstruktur wichtig, denn noch seien ja keine Ferien. Also: früh aufstehen, Schulaufgaben mit klaren Pausen, pünktliche Essenszeiten, pünktliche Ruhezeiten. Haist: "Schon vor Corona fiel das Lernen vielen unserer betreuten Kinder sehr schwer. Bei Kindern aus sieben verschiedenen Schulen und Schularten muss nun fast jedes Kind einzeln betreut und unterstützt werden." Das alles verlange viel Geduld und ständiges Ermutigen durch die Mitarbeiter, die sich dazu selbst noch mit dem neuen Lehrstoff für Kinder im Homeoffice anfreunden müssen.

Gegen den "Heimkoller" helfen Freizeitaufgaben, streng nach festen Vorsichtsregeln. Die Gruppen stoßen im Wald oft auf verärgerte Wanderer, da ja bekanntlich Spaziergänge nur zu zweit erlaubt sind. Aber Kindergruppen aus Heimen zählen als "Hausstand", sind also sogar mit zehn Personen gestattet.

Auch beim Einkaufen gibt es immer wieder Diskussionen. Wenn die Mitarbeiter aus der stationären Jugendhilfe ihre Einkaufswagen vollpacken, ist das kein Hamstern, sondern ein "Hausstand" mit 24 Personen will nun mal versorgt sein.

Auch die Osterfeiertage haben viele Eltern und Kinder in Schwierigkeiten gebracht. Heimfahren oder nicht? Jede Familiensituation ist anders. Da waren viele Gespräche mit den Kindern, viele Telefongespräche mit den Eltern notwendig. Auch Kinderärzte und Mitarbeiter vom Jugendamt wurden eingeschaltet. Haist: "Wir sind unendlich dankbar, dass die Zusammenarbeit mit den Schulen und Lehrern oder dem Jugendamt so gut ist und unbürokratisch klappt. Auch der Austausch unter den Jugendhilfe-Einrichtungen funktioniert, wir informieren uns gegenseitig immer wieder."

Zur ambulanten Arbeit im "Eigen-Sinn": Auch in den Osterferien stehen die Schulsozialarbeiter für Schüler und Eltern bereit. Der Waldkindergarten unterhält eine Notgruppe für Mitarbeiter des Krankenhauses. Während sich der Einsatz der Streetworker auf wenige Kontakte vor Ort beschränken muss und weitgehend über Telefon, die sozialen Medien und über die neue Homepage abgewickelt wird, sehen sich die Mitarbeiter der stationären Jugendarbeit ständig vor der neuen Herausforderung, die Kinder und Jugendlichen immer wieder neu zu motivieren und sinnvoll zu beschäftigen.

In der Kinderwerkstatt Eigen-Sinn laufen die Kontakte zu Kindern und Eltern auf Hochtouren. Unter anderem mit Postkarten und Hoffnungsbotschaften oder mit dem selbst entwickelten "Kompass der Lebensfreude", der derzeit viel Echo unter bundesdeutschen Fachleuten findet.

Jeder Tag der Kontaktsperre wird nach Erfahrung von Hans-Martin Haist problematischer: "Sie birgt ein hohes Konfliktpotenzial in den Familien. Das bekommen auch unsere Mitarbeiter immer wieder zu spüren." Als dramatisch – aber durchaus notwendig – empfindet er es, dass die Gruppenarbeit in der Kinderwerkstatt Eigen-Sinn vorübergehend eingestellt werden musste. "Kinder, die schon vorher dringend Unterstützung und emotionale Förderung benötigten, sind jetzt noch größerer Belastung ausgesetzt. Wir fragen uns, was bleibt vom gemeinsamen Erarbeiteten, was zerbricht? Wie geht es weiter?"

Zukunftsängste greifen auch bei den jungen Geflüchteten um sich. Einige stehen vor dem Abschluss ihrer Ausbildung und damit vor einem Ziel, für das sie mehrere Jahre alles gegeben haben. Jetzt gibt es keine schulische Vorbereitung auf die Prüfung, jetzt herrscht Angst um einen Arbeitsplatz und es drückt die immerwährende Frage, ob sie trotz aller Anstrengungen bleiben können.