Eine große Trauergemeinde erwies gestern dem ehemaligen Oberbürgermeister Erwin Reichert die letzte Ehre. Foto: Fritsch

In Herzen lebt der ehemalige Freudenstädter OB weiter. Große Wertschätzung wird in Trauerfeier deutlich.

Freudenstadt - Freudenstadt trauert um seinen ehemaligen Oberbürgermeister. Wie groß die Wertschätzung für Erwin Reichert auch weit über die Stadt hinaus war und ist, kam gestern in der Trauerfeier in der voll besetzten Taborkirche zum Ausdruck. Der Sarg und ein Holzkreuz waren vor dem Altar aufgebaut, dahinter und daneben zahlreiche Kränze. Ein großes Portrait mit Trauerflor zeigte einen lächelnden Erwin Reichert, wie man ihn von vielen Auftritten kannte. Alle waren sie gekommen, um Erwin Reichert die letzte Ehre zu erweisen: Bürgermeisterkollegen, Stadträte, Kreisräte, Miitarbeiter, Vertreter von Institutionen sowie Freunde und Bekannte.

Der Mensch solle jeden Tag nutzen, weil die Lebenszeit begrenzt sei, betonte Dekan Markus Ziegler in seiner Trauerrede. Erwin Reichert habe seine Lebenszeit genutzt für seine Familie, für die Menschen und die Herausforderungen, die ihm anvertraut waren. Der Dekan charakterisierte den ehemaligen Oberbürgermeister als humorvollen Mensch und erinnerte sich an die Zeit, als der Badener nach Freudenstadt kam und zu Markus Ziegler sagte, dass er es wohl nicht leicht haben werde: als Badener bei den Schwaben, als Roter bei den Schwarzen und als Katholik bei den Evangelischen. Zuweilen habe es Erwin Reichert wirklich nicht leicht gehabt in Freudenstadt und habe Auseinandersetzungen ertragen müssen, die bis ins Persönliche gegangen seien, erwähnte Markus Ziegler und erinnerte an die Diskussion um die Umgestaltung des unteren Marktplatzes.

Bei aller Trauer verbreite die Weihnachtszeit jedoch auch Tost in der Abschiedsstunde. Zum Beispiel durch brennende Kerzen, die das ewige Licht symbolisierten, das Erwin Reichert leuchten möge. Musikalisch gestaltet wurde die Trauerfeier durch Kirchenmusikdirektor Karl Echle und seine Frau Claudia, die mit Antonin Dvoraks "Gott ist mein Hirte" und G. F. Händels "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" zwei Solobeiträge beisteuerte.

Nach den Anrufungen, einem Gebet und den Fürbitten hielt Oberbürgermeister Julian Osswald einen bewegenden Nachruf auf seinen Vorgänger. "Es fällt mir schwer, hier zu stehen", sagte er. Auch Osswald erwähnte die Umgestaltung des unteren Marktplatzes, bei sich der damalige OB vielfältigen Anfeindungen habe aussetzen müssen. Doch die Fontänen würden immer mit dem Namen Reichert verbunden bleiben, und die Stadt werde sich überlegen, wie sie dies dokumentieren kann. Julian Osswald erinnerte sich, dass er auf Wunsch von Erwin Reichert die Trauung mit seiner Frau Beatrix übernommen habe. In sehr persönlichen Worten und sichtlich bewegt sagte Osswald: "Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Glück so schnell zu Ende geht." Vor zwei Wochen habe Erwin Reichert ihm in einem Telefonat geschildert, dass ihm die Kraft langsam ausgehe, dennoch habe sein Tod ihn wie ein Schock getroffen, schilderte Osswald. "Lieber Erwin, wir stehen in tiefer Trauer vor Deinem Sarg. Du wirst in unserer Erinnerung und in unseren Herzen weiterleben", verabschiedete sich Osswald mit stockender Stimme.

Landrat Klaus Michael Rückert drückte wie alle anderen Redner sein Mitgefühl gegenüber der Familie von Erwin Reichert aus. Er sei ein Kommunalpolitiker mit Format gewesen und habe auch im Kreistag die Entwicklung des Landkreises entscheidend mitgeprägt.

Bürgermeister Jaques Kossowski war aus der französischen Partnerstadt Courbevoie angereist und sprach für alle mit Freudenstadt verbundenen Städte und Gemeinden. Die Beziehung zu Erwin Reichert sei schnell über den offiziellen Charakter hinausgegangen. Die Freundschaft zwischen Courbevoie und Freudenstadt habe Reichert ständig intensiviert. Man werde ihn als warmherzigen und fröhlichen Menschen in Erinnerung behalten.

Für die SPD im Landkreis hielt Kreistags-Fraktionsvorsitzender Reiner Ullrich eine Trauerrede. Fast 40 Jahre sei Erwin Reichert den Sozialdemokraten ein Weggefährte und Freund gewesen. Noch kürzlich habe er an die neue Bundestagsabgeordnete Saskia Esken eine E-Mail geschrieben und sie gebeten, sich für eine große Koalition in Berlin einzusetzen. "Erwin, Du wirst uns fehlen", betonte Ullrich.

Dieter Walz, Vorstand der Volksbank Horb-Freudenstadt, würdigte Erwin Reicherts Wirken auf genossenschaftlicher Ebene. Das genossenschaftliche Wesen habe Reichert von Kindesbeinen an gelernt, weil in seinem Elternhaus ein genossenschaftlicher Landwirtschaftshandel untergebracht gewesen sei, erläuterte er. Deshalb habe Reichert den genossenschaftlichen Gedanken stets in vielen Bereichen gefördert, zum Beispiel als Aufsichtsrat bei der Volksbank Horb-Freudenstadt und bei der Kreisbaugenossenschaft.

"Nehmt Abschied, Brüder" sang die Trauergemeinde zum Abschluss der Feier. Viele verabschiedeten sich danach persönlich von Erwin Reichert am Sarg. Die Beisetzung des ehemaligen Oberbürgermeisters findet im Familienkreis statt.