Mobilfunk: Wie sich St. Gallen der Mobilfunk-Lobby widersetzte und eine Alternative entwickelte

Mobilfunk-Netz, lückenlos und doch strahlungsarm – es geht offenbar. Das St. Gallener Modell nimmt dies für sich in Anspruch. Es könnte auch eine Lösung für Freudenstadt sein.

F r eudenstadt (ms). Mobilfunk war in der Vergangenheit immer wieder Diskussionsthema im Gemeinderat. Insbesondere die SPD-Fraktion hatte mehrfach darauf gedrängt, einen Vertreter aus Sankt Gallen einzuladen. Passiert sei aber bis heute nichts, weshalb man nun halt selber aktiv geworden sei und den Leiter des Umwelt- und Energieamts der Stadt in der Schweiz, Harry Künzle, eingeladen habe, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Eberhard Haug im rappelvollen Vortragsraum des Schwarzwaldhotels.

Dort saßen die Zuhörer teilweise sogar auf der Treppe und der Fensterbank, weil die Plätze bei weitem nicht für jeden reichten. Die Stadtspitze glänzte durch Abwesenheit. Dies, obwohl sie in der Vergangenheit nach eigenem Bekunden selbst auf Wunsch der SPD in Sankt Gallen angefragt, seinerzeit aber keine Zusage für einen Besuch Künzles bekommen habe.

Künzle sprach über die Motivation für die "Pilotinstallation Wireless", über die konkrete Vorgehensweise, die Technik und die Umsetzung. Dasselbe hatte er zuvor bereits in der Landeshauptstadt Stuttgart und in Wangen im Allgäu getan. Den Eindruck, dass er nicht gerne kommt, vermittelte er jedenfalls nicht.

Die Situation in Sankt Gallen sei am Anfang der Initiative 2011 so gewesen, dass die Übertragungsnetze aufgrund der starken Nutzung datenintensiver Dienste an ihre Leistungsgrenzen gekommen waren. Eine Erhöhung der in der Schweiz deutlich niedrigeren Grenzwerte wurde von den Mobilfunkbetreibern deshalb bis hinein in die politische Ebene geführt. Sankt Gallen widersetzte sich dem und wurde "aus Verantwortung gegenüber der Gesundheit seiner Einwohner" aktiv.

Die Idee, das Ganze gemeinsam mit den Mobilfunkbetreibern umzusetzen, sei an deren Widerstand gescheitert, sagte Künzle. Kompetent begleitet habe dafür die Fachhochschule Rapperswil. Die Vision: ein schnelles, verlässliches, benutzerfreundliches, bedarfsgerechtes, strahlungsarmes und unsichtbares Netz. Das sei auch gelungen.

Seine Heimatstadt habe bewiesen, dass ein Kleinzellennetz in verdichteten Siedlungsgebieten eine praktische Alternative zu Makro- und Mikro-Zellen-Sendern mit deutlich höheren Emissionen sein können, so Künzle. Wenn es gelinge, mit dem Konzept die Zahl der Makrozellen trotz steigender Datenflut zumindest nicht auszuweiten, dann sei das ein Erfolg. Eine Erhöhung der Grenzwerte sei gar nicht nötig ist, weil selbst Kleinstzellen mit 0,1 Watt in der Lage seien, die selben Datenmengen "abzusaugen" wie die 100-Watt-Makrozelle, halt auf einer kleineren Fläche, so Künzle. "Wir verteufeln die Makrozelle nicht. Sie gehört aber nicht in die Mitte von Wohngebieten, sondern in Industriegebiete."

Ganz billig sei das Modell im Aufbau nicht, zumal, wenn es ohne Refinanzierungsmöglichkeit über die Nutzer umgesetzt wird. Der Betrieb sei hingegen günstig. Ein Engagement der Mobilfunkbetreiber sei dennoch "schlichtweg erforderlic"h. Die kleinzellige Infrastruktur müsse irgendwann aber sowieso gemacht werden, ist Künzle überzeugt. Alles deute in diese Richtung.

Grenzwerte hier zu hoch

In der Diskussionsrunde sagte Künzle, dass derzeit in Sankt Gallen Abstände der Kleinstzellen von 300 Metern reichen. Sollte das Netz an Grenzen stoßen, könnten einfach weitere Kleinstzellen dazwischengesetzt werden. Verkaufen wollen die Schweizer ihr Modell schon deshalb nicht, weil man großes Interesse daran habe, andere Kommunen darin zu unterstützen, es weiter zu verbreiten. Hemmschuh in Deutschland seien die im Vergleich zur Schweiz deutlich höheren Grenzwerte. Die seien so hoch, dass sich Mobilfunkbetreiber derzeit über eine Zusammenarbeit keine Gedanken machen müssten. "Die kratzt das nicht. Die haben noch ziemlich Reserve", so Künzle.