In der Selbsthilfegruppe finden Betroffene Halt und Verständnis. Jeder Zweite wird rückfällig.
Freudenstadt - Das Klacken, Klirren und Klingeln, die schreiend bunten Lichter, das unbeschreibliche Gefühl, wenn der Adrenalinspiegel hochschießt – und in den Keller stürzt, weil die Bank gewonnen hat. Gabriel (Name von der Redaktion geändert) hat sein gesamtes Leben in den Münzschlitz eines Glücksspielautomaten gesteckt – und verzockt. Gabriel ist spielsüchtig, so wie seine Leidensgenossen, die er einmal in der Woche in der Selbsthilfegruppe der Diakonischen Bezirksstelle Freudenstadt trifft.
Dort, im Stuhlkreis mit Tee und Gebäck, muss sich Gabriel nicht verstecken, kann seine Spielsucht aus der gut verwarten Schatulle holen und auf den Tisch legen. Dort wird ihm zugehört, dort fühlt er sich verstanden. Keine Vorwürfe, keiner, der mit dem Finger auf ihn zeigt.
"Wir nehmen wahr, dass die Spielsucht zunimmt", sagt Maria Flaig-Maier. Die 45-jährige Suchtberaterin begleitet die Selbsthilfegruppe in der Anfangsphase und gibt Hilfestellung, wenn nötig. 40 Prozent derjenigen, die regelmäßig eine Spielhalle aufsuchen, sind spielsüchtig, schätzt die Suchtberaterin. Die Dunkelziffer ist hoch, denn nicht nur Automatenspieler verfallen der Sucht.
Sportwettenportale, Online-Poker oder Online-Rollenspiele sind Spielwiesen mit hohem Suchtpotenzial. Steckt man erst drin ist, ist es schwierig, einen Ausgang zufinden. "Wer einmal der Sucht verfallen ist, der ist sein Leben lang gefährdet. Etwa jeder Zweite wird rückfällig", weiß Flaig-Maier.
Rückfällig ist auch Gabriel geworden. Heute 34 Jahre alt, blickt er auf eine lange Spielerkariere zurück. Mit 17 hat er angefangen. "Aus Spaß wurde Sucht", sagt er heute. Der Spielautomat ließ ihn nicht mehr los und kostete ihn alles: Freundin, Geld, Job. Als er 2007 einen Schlusstrich ziehen will und sich in ambulante Therapie begibt, hat er einen beachtlichen Schuldenberg angehäuft. Zwei Jahre halten die guten Vorsätze, dann gewinnt die Spielsucht wieder die Oberhand. "Ich wollte mich nach der stressigen Zeit, in der ich auch möglichst schnell meine Schulden abbezahlen wollte, belohnen", erzählt er. Warum er die Belohnung in der Spielhalle suchte, ist ihm heute selbst ein Rätsel.
Die zweite Therapie – diesmal 16 Wochen stationär in einer Suchtklinik in Bayern – hat Gabriel erfolgreich hinter sich gebracht. "Ich bin spielfrei", sagt er stolz.
Reinhard Krebs ist so etwas wie das Sprachrohr der Selbsthilfegruppe. Er hat gelernt, offen mit seiner Sucht umzugehen, und will anderen Betroffenen, die meist in Isolation leben, gerade bei dem wichtigen Schritt raus aus der Käseglocke helfen. "Die Gespräche tun einfach gut", erklärt er.
Zu Hause in der Familie sollte die Erkrankung nicht zum Dauerthema werden. "Das belastet einfach auch die Beziehung zu sehr", weiß der 32-Jährige. In der Selbsthilfegruppe dagegen könne man die Karten auf den Tisch legen. Ein Übungsfeld erarbeiten nennt das die Fachfrau Flaig-Maier. Das heißt auch, dass man sich hilft, wenn das Schicksal wie bei Martina (Name von der Redaktion geändert) zuschlägt. Sie hat gerade ihren Mann – einen spielsüchtigen Alkoholiker – verlassen, und die Gruppenmitglieder haben beim Umzug geholfen.
Dem 48 Jahre alten Veli gibt die Gruppe Halt und Hoffnung. Drei Therapien hat er hinter sich. Rückfällig wurde er trotzdem. Bis heute hat er es nicht geschafft, aus dem Hamsterrad auszusteigen. "Ich weiß, dass ich eine Woche bis zum nächsten Treffen durchhalte", sagt er. Das sei, wie wenn man eine schrecklich lange Straße zu kehren habe. Wenn man sich immer nur die Strecke bis zur nächsten Straßenlampe vornehme, komme es einem gar nicht mehr so schlimm vor. Das Scheitern an seiner Spielsucht erträgt Veli mit einer gehörigen Portion Galgenhumor: "Ich habe meistens verloren, aber an Erfahrung gewonnen."
Mehr Informationen:
Die Selbsthilfegruppe trifft sich dienstags ab 18 Uhr in den Räumen der Diakonischen Bezirksstelle, Herrenfelder Straße 26, in Freudenstadt. Anmelden muss man sich nicht. Für Fragen steht Suchtberaterin Maria Flaig-Maier, Telefon 07441/884915, zur Verfügung.
Seite 2: Infos zur Spielsucht
KrankheitsbildSpielsucht ist eine Krankheit und bestimmt das Alltagsleben der Spieler. Beim pathologischen (krankhaften) Glücksspiel, so nennt man die Erkrankung im klinischen Vokabular, spricht man von einer Verhaltenssucht.
Lügen und Ausreden werden erfunden, um zum Beispiel zu verbergen, dass man den Monatslohn "verzockt" hat.
Vertrauensvolle Beziehungen werden zerstört, weil die Spielenden sich oft gefühlsmäßig abwenden, um sich ganz dem Spielen zuwenden zu können.
Die existenzielle Lebensgrundlage geht verloren, weil das Geld für Lebensmittel oder die Miete fehlt. (Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
Prävention
Seit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags in diesem Jahr sind die Besitzer von Spielhallen dazu verpflichtet, Präventionsarbeit zu leisten. So weisen Aufkleber an den Spielautomaten auf die Suchtproblematik hin, und Angestellte müssen entsprechend geschult und für das Erkennen Spielsüchtiger sensibilisiert werden. Auch die Flyer der Freudenstädter Selbsthilfegruppe tragen ihren Teil zur Präventionsarbeit bei. Sie liegen in den einschlägigen Gaststätten und Spielhallen aus.