Interview: Gespräch mit dem Amtsleiter Wolfgang Held über die Lehrerversorgung im Kreis und neue Bildungsinhalte

Kreis Freudenstadt. Dauerbaustelle Schule – es gibt zu wenig Lehrer, und die Inhalte werden auch schon wieder umgekrempelt. Was bedeutet das für den Kreis Freudenstadt? Wir sprachen mit Wolfgang Held, Chef des Staatlichen Schulamts, und erhielten erfrischend klare, interessante und teils heitere Einblicke in die Schullandschaft.

Die erste Schulwoche nach den Ferien ist vorbei. Ist es im Kreis Freudenstadt überall glatt angelaufen?

Ja, das ist es. Alle Schulen waren zum Stichtag ausreichend mit Lehrern versorgt. Der Pflichtbereich ist zu 106,4 Prozent abgedeckt. Gerade komme ich von der Realschule Horb. Da gab es aber schon in der ersten Schulwoche vier längerfristige Ausfälle, die nicht absehbar waren. Da geht es gleich an die Reserve, und wir müssen Lehrer von anderen Schulen abordnen.

Wie gut ist die Lehrerversorgung im Kreis? Das Regierungspräsidium sagt, es gebe Mangelregionen. Ist Freudenstadt Mangelregion, und was kennzeichnet eine solche?

Das ist eine Definitionssache. Offiziell ist eine Region Mangelregion, wenn der Pflichtunterricht nicht abgedeckt werden kann. Freudenstadt ist demnach keine Mangelregion. Donaueschingen schon. Es ist allerdings schwierig, junge Lehrer für Freudenstadt zu gewinnen. Viele treten hier zwar ihre erste Stelle an, die sie drei Jahre lang innehaben müssen. Aber wir wissen, dass gleich danach ein Versetzungsantrag kommt. Sie sitzen geistig von Anfang an auf gepackten Koffern.

Laut RP gibt es drei offenen Lehrerstellen im Kreis. Das klingt nicht dramatisch.

Die Lage ist auch nicht dramatisch. Diese drei Stellen sind mittlerweile im übrigen besetzt, zum Teil nicht mit regulären Lehrkräften, sondern mit befristeten Verträgen für Lehrkräfte ohne erstes und zweites Staatsexamen. Sie haben entweder passende fachwissenschaftliche Vorkenntnisse, etwa als Informatiker, oder eine pädagogische Ausbildung. Das sind übrigens genau die befristeten Verträge, die über den Sommer gekündigt werden. Das Land möchte sie eben nicht ohne weiteres in ein unbefristetes Beamtenverhältnis übernehmen.

Der Pflichtunterricht ist auf dem Papier abgedeckt, bei zusätzlichen Angeboten gehen Zahlen runter auf teils um die 80 Prozent. Was bedeutet das für die Schulen?

Der Pflichtunterricht ist nicht nur auf dem Papier abgedeckt, sondern das ist so. Was darüber hinaus geht, etwa AGs, die können teils nicht alle angeboten werden, auch wenn sie pädagogisch sinnvoll wären. Dazu zählen auch zusätzliche Förderangebote. Am Geld liegt es nicht. Das Geld wäre da, aber wir bekommen die Stellen nicht besetzt. Es gibt zurzeit mehr offene Stellen als Bewerber. Außerdem will das Land auch nicht jeden einstellen, wenn beispielsweise die Abschlüsse sehr schlecht sind oder wenn schon von vorne herein absehbar ist, dass es mit ihnen Probleme gibt.

Vertretungskontingente sind teils bereits verplant. Eine echte Grippewelle darf da nicht kommen, oder?

Eine Grippewelle wäre jetzt nicht so das Problem, die ist erfahrungsgemäß nach drei Wochen auskuriert. Wir unterscheiden zwischen kurz- und langfristigen Ausfällen, die Grenze liegt bei drei Wochen. Innerhalb dieser Zeit muss sich die Schule selbst behelfen und beispielsweise AGs aussetzen. Danach versuchen wir zu helfen, durch Personalzuweisung aus dem Pool für Krankenvertretung. An einigen Schulen wird das spätestens ab Weihnachten so weit sein. Es wird Ausfälle geben, von denen wir jetzt schon wissen, etwa durch Mutterschutz.

Das RP empfiehlt, an Schulen "organisatorische Maßnahmen" zu ergreifen, wo Stellen auf absehbare Zeit nicht besetzt werden könnten. Welche Schulen sind das, und was sind "organisatorische Maßnahmen"?

Es kann sein, dass Schulen vom Klassenteiler abweichen müssen, der aktuell bei 28 Schülern an Grund- und Gemeinschaftsschulen liegt, ansonsten bei 30. Dabei gehen die Schulen aber behutsam vor, legen Klassen in Nebenfächern zusammen, nicht gerade in Mathe oder Deutsch. Die Heterogenität vor allem an Grundschulen ist sehr anspruchsvoll für Lehrkräfte. Einige Schüler sind hochbegabt, andere können nicht mal richtig Deutsch. Welche Schulen umorganisieren müssen, kann man nicht pauschal sagen. Kleine Schulen mit weniger Lehrkräften können einen Ausfall natürlich schlechter verkraften als große.

Teilzeitstellen wurden aufgestockt, Lehrer versetzt, Pensionären der Weg zurück in den Dienst geebnet, ungelernte Kräfte dürfen als Quereinsteiger unterrichten. Klingt so, als würden alle verfügbaren Kräfte mobilisiert.

So ist es.

Kann das funktionieren?

Bei Pensionären, die 30 bis 40 Jahre unterrichtet haben, ist das kein Problem. Mit Seiteneinsteigern ist es anders. Bei einem Teil von ihnen werden die Verträge mit Kusshand verlängert, von anderen muss man sich wieder trennen.

Die Kultusministerin beklagte kürzlich das räumliche Verharrungsvermögen von Junglehrern. Warum ziehen viele eine unsichere Stelle in einer Großstadt einer sicheren Stelle im ländlichen Raum vor?

Das räumliche Verharrungsvermögen ist bei Lehrern generell extrem stark ausgeprägt. Manche tun sich schon schwer mit einer Versetzung von Freudenstadt nach Dornstetten. Das ist eben so. Junge Leute, die aus dem Studium kommen, wollen in Großstädten bleiben, wenn man Heidelberg, Karlsruhe und Freiburg mal als Großstädte bezeichnen will. Sie wollen an ihre Studentenzeit anknüpfen, haben ihren Freundeskreis und unterstellen Städten einen höheren Freizeitwert als dem ländlichen Raum. Freizeit hat in der Lebensplanung heute einen viel größeren Stellenwert. Einige müssen nicht unbedingt arbeiten, weil der Lebenspartner eine gut bezahlte Stelle in der Stadt hat. Dann ziehen sie eben die Familienphase vor. Eine Stelle in der Rheinebene zu besetzen, ist kein Problem. Hier oben schon. Für einen Lehrer aus Baden ist Freudenstadt Schwäbisch-Sibirien. Ich sage Junglehrern immer: Lest die Lokalzeitung, damit ihr das Umfeld kennenlernt, das im Übrigen auch das Umfeld eurer Schüler ist. Kommt nicht erst am Montag zum Unterrichtsbeginn in die Stadt und am Freitag mit gepacktem Auto an die Schule. Ich sage das ohne Vorwurf, sondern nur mit einer Bitte: Wenn ihr unterrichtet, dann engagiert. Und das tun 90 Prozent auch. Viele fühlen sich an den Schulen im ländlichen Raum übrigens sehr wohl und haben plötzlich zu kämpfen, wenn sie dann in Mannheim unterrichten. Die Klientel von Schülern und Eltern dort ist einfach eine andere.

Deutsch und Mathe erhalten an allen Schulen wieder mehr Gewicht, der Einstieg in die erste Fremdsprache wird auf die dritte Klasse verlegt. Es hieß ja immer, Kindergehirne sögen Wissen wie ein Schwamm auf. Waren die Reformpädagogen zu euphorisch?

Es gibt für jeden Standpunkt eine wissenschaftliche Begründung. Dass Kinder eine Fremdsprache schneller lernen, das ist schon so. Das sieht man auch bei Flüchtlingskindern nach einem Jahr im Kindergarten. Für viele Kinder an den Schulen ist Deutsch mittlerweile nicht mehr Muttersprache, sondern erste Fremdsprache. Aber die Entscheidung ist umstritten. Die Grundschule Loßburg ist die einzige im Kreis, an der noch Englisch in Klasse eins unterrichtet wird. Es wird später Vergleiche geben. Man will herausfinden, ob sich das aufs Erlernen anderer Grundkenntnisse wie Mathe auswirkt. Ein großes Problem ist, dass Kinder Texte runterlesen, dabei aber den Inhalt nicht erfassen können. Manchmal hakt es aber auch an anderen Stellen: Bei Vergleichstests aus Berlin schnitten süddeutsche Kinder auffällig schlecht ab, weil sie die Textaufgaben nicht verstanden haben. Das lag auch an einzelnen Wörtern. Hier sagt man eben Beil statt Axt und Metzger statt Fleischer. Auch deshalb muss man Vergleichstests immer sehr differenziert betrachten.

Der Ausbildungschef eines Industriebetriebs erklärte kürzlich, junge Leute könnten heute eine dreiviertel Pizza nicht mehr ohne weiteres auf drei Leute verteilen, dafür aus dem Stegreif eine 20-minütige Präsentation halten. Produziert Schule mittlerweile, entschuldigen Sie den Begriff, digitale Fachidioten?

Der Vorwurf kommt oft, und wir müssen drüber nachdenken. Es gab eine Zeit, da wurde großer Wert auf Präsentation gelegt. Mittlerweile werden Grundfertigkeiten wie Rechtschreibung und Mathe wieder höher gewichtet. Das halte ich für richtig. Schüler sollen ja nicht nur labern können, es soll auch was dahinter stecken. Die Welt der Schüler ist komplexer geworden, und sie werden nicht nur an der Schule geprägt, sondern auch durchs Elternhaus und die Gesellschaft, etwa durch das Handy oder neue Medien. Ein Problem ist das Konzentrationsvermögen, das sich verkürzt hat auf die Länge eines Youtube-Clips von drei Minuten. Veränderungen bei Lerninhalten gab es hingegen schon immer. Mein Schwiegervater wusste deutlich mehr als ich über Heimatgeschichte, konnte aber keine Fremdsprache. Vielleicht wurde zuletzt doch zu viel Bewährtes für neue Inhalte geopfert.

Ist auf mittlere Frist eine Besserung in Sicht bei der Lehrerversorgung?

Nach Berechnungen des Ministeriums tritt 2020 und 2021 eine Entspannung ein. Aktuell sind wir auf dem Höhepunkt einer Pensionierungswelle der Lehrer, die in den 70er-Jahren eingestellt wurden. Diese Lücke müssen wir nun schließen. Entwicklungen wie Flüchtlingskinder konnte man vor fünf Jahren nicht kommen sehen. Aber es wurden auch Planungsfehler gemacht. Dass Gemeinschafts- und Ganztagsschulen zu mehr Lehrerstunden führen würden, das war vorhersehbar.

Wie verbringt eigentlich ein Schulamtsleiter die Sommerferien?

Wir Schulräte haben keine Ferien, sondern 30 Tage Jahresurlaub, wie andere Beamte oder Angestellte auch. Ein Lehrer würde im Übrigen auch nicht von Ferien sprechen. Ein engagierter Lehrer hat im Sommer keine sechs Wochen am Stück frei, ein Schulleiter sowieso nicht.

 Die Fragen stellte Volker Rath