Weil Anästhesisten fehlen, kann Freudenstädter Krankenhaus renovierte Ebene 3 nur beschränkt nutzen.
Freudenstadt - Drei Jahre ist es her, seit das neue Mutter-Kind-Zentrum im Krankenhaus Freudenstadt eröffnet wurde. Im neuen Kreißsaal hat seither nicht ein Kind das Licht der Welt erblickt. Der Grund ist so einfach wie erschütternd: Personalmangel.
Auf dem Gang vor der schweren grauen Tür mit dem gelben Schild "Kreißsaal" wartet ein Vater mit seiner Tochter. Die beiden sind ungeduldig – vermutlich, weil die Mutter nur wenige Meter hinter der schweren Tür gerade in einem der alten Kreißsäle in den Wehen liegt. Der graue Flur, in dem die beiden warten, sieht noch immer ein wenig nach Baustelle aus.
"Wenn die Mutter Wehen hat, kümmert sie es nicht, ob über ihr ein Sternenhimmel leuchtet", kommentiert eine der Hebammen, als Gerald Hellstern, Chef der Kinderstation, die Tür zu einem der alten Kreißsäle auf der noch nicht renovierten Ebene 2 öffnet. Orangefarbene Wände. Ein Kunstdruck von Rodin. Ungemütlich ist anders. Und dennoch. Die Patienten wundern sich, warum ihnen der neue, moderne Kreißsaal verwehrt bleibt.
"Sehr gelungen und funktionell. Eine Philosophie der kurzen Wege und gut funktionierender Prozesse." So hatte im Herbst 2011 der damalige Geschäftsführer der Krankenhäuser Landkreis Freudenstadt gGmbH, Christian Roppelt, das neue Mutter-Kind-Zentrum mit neuem Kreißsaal, Kaiserschnitt-OP, Kinderintensivstation, integrativer Wochenstation und gynäkologischer Station auf Ebene 3 des Freudenstädter Krankenhauses über den Klee gelobt. Drei Jahre und einen Geschäftsführer später sind die Kinderintensivstation und die Geburtshilfe in Benutzung. Im neuen Kreißsaal im dritten Stock aber wurde bislang kein einziges Baby geboren. Im neuen Kaiserschnitt-OP werden septische OPs, also Operationen an infizierten Wunden, vorgenommen.
Von einer Fehlplanung, die sein Vorgänger verschuldet hat, will Geschäftsführer Peter Mast nicht sprechen. Er weißt vielmehr auf die positiven Aspekte hin, die mit der etwa 30 Millionen Euro teuren Investition erreicht worden seien. "Wir gewähren absolute Patientensicherheit", betont er.
Die neue Kinderintensiv-Station und die Geburtshilfe machten das Haus auch für Gebärende aus den Nachbarkreisen attraktiv, meint der Chef der Kinderklinik im Gespräch. Und: Freudenstadt hat einen prenatologischen Schwerpunkt. Das heißt, Kinder können in Freudenstadt bereits ab der 32. Schwangerschaftswoche und ab 1500 Gramm geboren werden, ohne, dass die Frühchen in eine spezielle Kinderklinik gebracht werden müssen. "Bei Infektionen kommen Frühchen in den Inkubator. Das Kind kann hier versorgt werden", erklärt Gerald Hellstern, ärztlicher Leiter der Kinderklinik. Das sei ein klarer Standortvorteil.
Für die Anwerbung von Arbeitskräften aber wohl nicht Standortvorteil genug. Denn die Inbetriebnahme des Kreißsaals scheitert seit drei Jahren am Personalmangel. "Man hätte für Notfall-OPs weitere Anästhesisten für eine zweite Dienstreihe gebraucht", erklärt Hellsten im Gespräch mit unserer Zeitung. Schon bei der Einweihung habe man gewusst, dass die Inbetriebnahme der gesamten neuen Station dauern könnte. Also sei vorgesehen gewesen, die Patientinnen im neuen Kreißsaal gebären zu lassen, im Notfall aber im alten Kaiserschnitt-OP zu operieren. "Da hat der Versicherer aber nicht mitgespielt", erinnert sich Hellstern. Eine Notfallpatientin, bei der es um Sekunden geht mit den alten Fahrstühlen einen Stock abwärts zu kutschieren – zu riskant. Also blieb alles beim alten.
Ist der Personalschlüssel des Freudenstädter Krankehauses unterm Strich der Casus knacksus? Wie will der Landkreis weitere Umbaumaßnahmen oder gar den Neubau einer Klinik planen, wenn die Personalsituation nicht planbar ist? Die Geschäftsführung bemüht sich auf Nachfrage um Schadensbegrenzung: "Wir arbeiten intensiv daran, die offenen Stellen besetzen zu können", sagt Mast. Er rechnet mit einer kompletten Inbetriebnahme des Mutter-Kind-Zentrums Anfang 2015. Hellstern ist da weniger optimistisch. Zum einen seien Anästhesisten auf dem Arbeitsmarkt rar. Die Facharztausbildung dauert vier zusätzliche Jahre. Das schrecke Mediziner ab. Auch aus dem Ausland habe kein passendes Fachpersonal angeworben werden können. Zum anderen sei der ländliche Raum aus Kliniksicht ein echter Standortnachteil. Hellstern: "Die attraktiven Stellen sind in den größeren Städten. Dort zieht es die jungen Mediziner hin."