Chor und Orchester der Martinskirche sowie Solisten bei bei der Aufführung von "Stabat mater". Foto: Stawenow Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Beim "Stabat mater" von Joseph Haydn trifft Latein auf Arabisch / Junge Sängerinnen geben Debüt

Joseph Haydns Passionswerk "Stabat mater" wurde in der Stadtkirche Freudenstadt von Chor und Orchester des Martinskirche zusammen mit vier bekannten Solisten aufgeführt.

Freudenstadt. Ungewöhnlich für ein Passionskonzert: Zwischendrin traten Jugendliche mit zeitgenössischem syrischen Gesang und mit westafrikanischen Trommeln auf. Die Leitung hatte Werner Wilms. "Bitte keinen Beifall spenden", gab Chorleiter Werner Wilms dem Publikum mit auf den Weg. Nach dem Konzert sollten alle der großen Gloriosa-Glocke der Stadtkirche lauschen, wie in der Passionszeit üblich.

Für die Passionszeit hatte Joseph Haydn 1767 sein erstes großes Kirchenwerk geschrieben. Das Gedicht "Stabat mater", von zahlreichen weiteren Komponisten vertont, handelt vom größtmöglichen Schmerz. Maria weint über den Tod Jesu, eine Mutter beweint den Tod ihres Sohns. Trauer, Verzweiflung, Hoffnung – starke Gefühle werden hier beschrieben.

Die vier Solisten des Abends hielten die Emotionen gekonnt im Zaum. Begleitet von Chor und Orchester der Martinskirche lenkten sie formvollendet auf Höhepunkt und Schluss des Stückes hin, wo das lyrische Ich "des Paradieses Herrlichkeit" herbeisehnt. Den Sopran sang die wunderbar lockere Esther Haarbeck, selbst Chorleiterin im schweizerischen Tessin. Für den Alt hatte man Livia Kretschmann verpflichtet, die aus Freudenstadt stammt und sichere stimmliche Präsenz zeigte. Christian Wilms mit seinem warmen Tenor eröffnete die erste Strophe, Bass Kai Preußker brillierte unter anderem mit einem dramatischen Presto.

Das Kontrastprogramm dazu boten zwei Schülerinnen aus Syrien, Btool Al Khuzaei (13) und ihre Schwester Bruj (14). Bislang hatten sie nur in ihren eigenen vier Wänden geprobt und gaben an dem Abend ihr Debüt als Sängerinnen. Ihre herzerfrischenden Unbefangenheit überstrahlte den Ernst des Passionskonzerts. "Mein Gesicht lacht, aber in meinem Herzen sieht es ganz anders aus" sangen sie auf Arabisch, und: "So viele Menschen sind traurig, aber ich möchte Menschen finden, die glücklich sind."

Moderne Lieder aus ihrem Heimatland waren es, die traurig waren, aber fröhlich und frei vorgetragen wurden. In Jeans, Turnschuhen und Kopftuch traten die Mädchen vor das Mikrofon. Pop auf Arabisch versus Kirchenchor auf Latein: Dieser Clash der Kulturen war provoziert. Absicht des Chorleiters Wilms war es, Menschen eine Bühne zu bieten, die in ihrem Leben bereits großes Leid erfahren haben – und damit den Bogen zu schlagen von der mittelalterlich-biblischen Maria aus "Stabat mater" zu den Menschen von heute. Dabei waren die Beiträge der Migranten durchweg mitreißend.

Auch die drei Trommler der Gruppe "Dimbaayaa" wendeten innerhalb von Sekunden das Blatt. In einem Moment der heilige Ernst des "Flammis orci ne succendar", gesungen von Kai Preußker, im nächsten unbotmäßige Ekstase, ausgelöst durch die westafrikanischen Rhythmen. "Wir wollen zeigen, dass sich unsere Kulturen gegenseitig befruchten. Musik ist dabei ein Mittel", erläuterte hinterher Erika Sauter-Bartholomä, Trommlerin bei "Dimbaayaa". Die Gruppe wird beim nächsten Afrikafest zu hören sein.

Angesichts solcher Darbietungen mag es dem einen oder anderen schwer gefallen sein, nicht zu applaudieren, oder auch nur ganz ruhig auf seinem Platz sitzenzubleiben. Doch als nach dem Schlusston anstatt des Applauses die Gloriosa-Glocke der Stadtkirche erklang, bekam man eine Ahnung davon, wie wertvoll die Besinnung auf das Wesentliche sein kann. Die tiefe Glocke klang weltumspannend und tröstend. Wie eine entfernte Antwort aus dem soeben besungenen Paradies.