Schon an der Treppe im Rathaus fangen die Tücken an. OB Osswald muss mit seinem Rollstuhl getragen werden. Foto: Breitenreuter

Gruppe um Oberbürgermeister Julian Osswald erlebt die Probleme, mit denen Rollstuhlfahrer kämpfen müssen.

Freudenstadt - Verwunderte Blicke ernteten am Donnerstag Freudenstadts Oberbürgermeister Julian Osswald und Bürgermeister Link, als sie mit dem Rollstuhl in der Innenstadt unterwegs waren. Dabei mussten sie mit allerlei Tücken kämpfen.

Ob E-Bike oder Segway – der Freudenstädter OB hat schon etliche Fortbewegungsmittel getestet. Doch aus einem Rollstuhl sieht die Welt ganz anders aus. Dies war die Erfahrung, die er sowie Bürgermeister Gerhard Link, Geschäftsführer Hartmut Keller von der AOK Nordschwarzwald und Fritz Franz vom Stadtseniorenrat nach einer Rollstuhl-Schnitzeljagd in Freudenstadt mitnehmen konnten.

Die Idee zu dieser außergewöhnlichen Tour hatte Stefan Wurster, Inhaber des gleichnamigen Freudenstädter Sanitätshauses. Er und sein Mitarbeiter Andreas Gruber-Beck hatten einige Rollstühle ins Rathaus mitgebracht. Und zwar sogenannte Aktiv-Rollstühle, wie sie von behinderten Menschen verwendet werden, die noch aktiv am Leben teilhaben können und nicht geschoben werden müssen.

Schon bei der Einweisung im ersten Obergeschoss des Rathauses wurde schnell deutlich: sich mit dem Rollstuhl fortzubewegen ist nicht ganz einfach. Bürgermeister Gerhard Link ging etwas forsch ans Werk, und ehe er sich versah, lag er schon auf dem Rücken. Es hieß also vorsichtig sein mit den sensiblen Fortbewegungsmitteln.

Es wurden zwei Gruppen gebildet. OB Osswald machte sich mit Fritz Franz auf den Weg. Bürgermeister Gerhard Link begab sich mit Hartmut Keller und Stefan Wurster auf Tour. Jede Gruppe hatte zwei kleine Aufgaben zu lösen. Der OB musste mit seinem Partner ein Päckchen Brause im Edeka-Markt Rentschler in der Ringstraße kaufen und sich anschließend im Schuhhaus Kappler das neue Lurchi-Heft besorgen. Bürgermeister Link und seine Mitfahrer mussten sich bei der Polizeidirektion erkundigen, ob in der Nacht zum Donnerstag Anzeigen eingegangen waren, und im Café Fontaine am unteren Marktplatz eine Brezel kaufen.

Nach dem Startkommando wartete bereits im Rathaus die erste große Hürde: die Treppe ins Erdgeschoss. Nachdem der Aufzug aus den 50er-Jahren nicht für Rollstühle konzipiert ist, mussten zwei städtische Mitarbeiter alle fünf Teilnehmer ins Erdgeschoss tragen, denn es gab nur eine einzige Regel bei der Rolli-Schnitzeljagd: Die Teilnehmer durften nicht aus dem Gefährt aufstehen.

Ins Freie ging’s durch den Hintereingang des Rathauses über die dortige behindertengerechte Rampe. Ein Pluspunkt für das Rathaus. Als Hindernisse erwiesen sich gleich die gepflasterten Streifen zwischen den roten Platten auf dem Marktplatz. Darin verfingen sich die kleinen Vorderräder der Rollis leicht. Einiges Geschick war erforderlich, um solche, noch relativ kleine Hürden, zu überwinden. Ähnliche Herausforderungen gab es an den Übergängen über die Straßen, trotz abgesenkter Bordsteine.

Bei der Polizei hinderten Treppenstufen die Behinderten auf Zeit, ins Gebäude zu kommen. Doch es gibt ja eine Klingel. Nachdem etwas Zeit verstrichen war, kam auch ein freundlicher Polizeibeamter und beantwortete die Fragen der Besucher. Nach einem kleinen Umweg, um die Treppen zum Zebrastreifen zu umfahren, kam die Gruppe um Gerhard Link am Café Fontaine an und war dabei schon ganz schön ins Schwitzen gekommen. "Auch in den Oberarmen spür ich es", bemerkte der Bürgermeister. Eine Mitarbeiterin des Cafés nahm die Bestellung von Gerhard Link an und brachte ihm die Brezeln nach draußen. Sie erläuterte zudem, dass man gerne behilflich sei, wenn Gehbehinderte Probleme mit den Treppenstufen haben. Bei Bedarf kann sogar eine kleine Rampe über die Stufen gelegt werden.

Der OB und sein Partner Fritz Franz kämpften auf dem Weg zum Supermarkt mit denselben Problemen wie die Gruppe um Gerhard Link, konnten aber ihre Aufgabe im Markt problemlos bewältigen. Am Schuhhaus Kappler machten sie winkend auf sich aufmerksam, und eine Verkäuferin wies darauf hin, dass man durch den Hintereingang ohne Stufen ins Geschäft gelangen kann. Doch selbst der kleine Absatz an der Tür war nicht einfach zu überwinden. Geschäftsinhaber Matthias Kätel versprach spontan, durch eine kleine Rampe Abhilfe zu schaffen.

Zurück im Rathaus und froh, wieder auf den eigenen Beinen zu stehen, dankte OB Julian Osswald Stefan Wurster und seinem Team für die Idee dieser Rolli-Schnitzeljagd: "Es ist eine interessante Erfahrung, die Stadt aus dieser Perspektive zu erleben." Nahezu jedes Geschäft um den Freudenstädter Marktplatz sei nur über Stufen zu erreichen, so Osswalds Beobachtung. Zwar seien in der Innenstadt die meisten Bordsteine abgesenkt, doch gebe es im übrigen Stadtgebiet auch noch viele Stellen, wo dies nicht der Fall ist, gab das Stadtoberhaupt zu.

Wenn heute etwas gebaut werde, müsse man auf die Barrierefreiheit achten, merkte Bürgermeister Gerhard Link an. Hartmut Keller bezeichnete es als wichtig, dass Rollstühle individuell an den jeweiligen Benutzer angepasst werden, damit er aktiv am Leben teilnehmen kann. Er selbst hatte mit seinem Gefährt zu kämpfen, weil es für ihn viel zu klein war.

Fritz Franz sagte: "Freudenstadt hat’s nicht einfach. Schon allein durch die Topographie." Fazit der Rollstuhl-Schnitzeljagd: Das Thema Barrierefreiheit will OB Osswald bei künftigen Entscheidungen noch schärfer ins Bewusstsein rücken.