Bundestagswahl: Saskia Esken rutscht grade noch rein / Drei Abgeordnete für die Region

Aufatmen bei der SPD im Wahlkreis Calw/Freudenstadt: Saskia Esken hat ihr Bundestags-Mandat behalten. Aber die Nachwehen über das Ergebnis der AfD sind bei den anderen Parteien spürbar. Freude herrscht darüber, dass die Region künftig drei Abgeordnete in Berlin hat – wenn man Michael Theurer mitzählt.

Kreis Freudenstadt. Für Esken (56) war es eine richtige Zitterpartie: Gegen 0.30 Uhr hatte sich angedeutet, dass sie ihr Mandat gehalten hat, am Montagmorgen schien es nach dem vorläufigen Endergebnis gesichert: 16 SPD-Kandidaten von der Landesliste in Baden-Württemberg sind im neuen Bundestag dabei, Esken steht auf Rang 15.

Nach "durchwachter Nacht" stand die Abgeordnete aufgrund des Rechtsrucks im Land "insgesamt noch unter Schock". Im Wahlkreis Calw/Freudenstadt ist die AfD mit ihrem Zweitstimmen-Anteil zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Sie holte 15 Prozent und überholte die SPD (14,4 Prozent). Es sei "gruselig", was auf das Land im Allgemeinen und die Politik im Besonderen zukomme, findet Esken. Damit meint sie, dass sich die Aufmerksamkeit mehr um die AfD drehe als um die Politik für das Land. Einen Vorgeschmack biete der Austritt von Frauke Petry aus der AfD-Fraktion. "Dabei liegen wichtige Aufgaben vor uns", so Esken.

Dass sie dem neuen Bundestag angehören darf, macht Esken "froh und dankbar". Auf die SPD-Fraktion komme eine andere Rolle zu, weil sie deutlich kleiner sei als bislang und Opposition, nicht mehr Regierungspartei. Die Arbeit im Parlament werde "spannend", einerseits, was die Koalitionsbildung betrifft, andererseits, was die AfD macht. "Wir können sie nicht ignorieren, aber auch nicht den Fokus ständig nur auf sie legen." Mit dem CDU-Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel – mit dem sie über Jahre in der Großen Koalition zusammengesessen hat – werde sie weiter zusammenarbeiten. "Wir werden professionell und anständig miteinander umgehen. Da wird es keinen Clinch geben", versichert Esken. Gleiches gelte im Übrigen auch für die Zusammenarbeit mit Michael Theurer von der FDP, der zwar für einen anderen Wahlkreis antrat, aber auch als Abgeordneter des Landkreises Freudenstadt betrachtet wird.

Ihre Erkenntnisse aus den Verlusten auch auf Wahlkreisebene: "Wir müssen wieder besser ins Gespräch kommen mit den Leuten." Viele Bürger hätten offenbar das Gefühl, nicht wahrgenommen zu sein, und die einzige Lösung in der AfD gesehen. "Die Botschaft der Wähler ist für mich klar: Wir sind da, kümmert euch um uns", so Esken. Welche Aufgabe ihr in der neuen Fraktion zukommt, weiß sie noch nicht. "Ich warte mal ab", sagt sie. Am Montagabend nahm sie an Gesprächen der Landes-SPD teil, am Dienstag reist sie wieder nach Berlin.

Ihr CDU-Parlamentskollege Hans-Joachim Fuchtel war schon am Wahlabend dort. Und der 65-Jährige machte angesichts der herben Verluste auch keinen Hehl aus seiner Enttäuschung: "Ich hatte ein besseres Ergebnis erwartet." Aber er sieht die wichtigsten Ziele erfüllt: Rot-Rot-Grün sei verhindert worden, und Angela Merkel bleibe Kanzlerin. Eine Jamaika-Koalition mit Grünen und Liberalen sieht das "Gewicht in Berlin" ganz pragmatisch: "Politik ist die Kunst des Möglichen. Solange man keine Alleinregierung stellen kann, muss man immer Kröten schlucken." Eine Botschaft – vor allem der Protestwähler – glaubt Fuchtel verstanden zu haben: "In Flüchtlingsfragen müssen wir Lösungen aufzeigen, die funktionieren." Der bisherige Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium zieht zum neunten Mal in den Bundestag ein, in dem er seit 1987 den Wahlkreis vertritt.

Licht und Schatten sieht ein Tag nach der Wahl auch Landrat Klaus Michael Rückert (CDU). Hans-Joachim Fuchtel habe einen "ungefährdeten und verdienten direkten Wiedereinzug" in den Bundestag geschafft, wo er sich seit Jahren "mit großem Engagement und unglaublicher Energie für die Interessen seines Wahlkreises" einsetze. Gemessen an "diesen schwierigen Zeiten" sei Fuchtels Wahlergebnis "sehr respektabel".

Mit "großer Freude" reagiert Rückert auf den Einzug des Freudenstädter Kreistagsmitglieds Michael Theurer in den Bundestag. Er freue sich ferner "sehr", dass Saskia Esken im Parlament bleibt. Der Landkreis Freudenstadt werde künftig "von drei kompetenten und engagierten Abgeordneten" vertreten sein. "Dies wird sich positiv auf viele Projekte, vor allem auf die wichtigen Straßenbauprojekte, auswirken", so Rückert.

"Entsetzen" löse bei ihm das Ergebnis der AfD aus. Gleichzeitig stelle er "mit Erleichterung fest", dass das AfD-Ergebnis in manchen Gemeinden des Landkreises unter dem Ergebnis der Landtagswahl von 2016 liege. Es sei nun "eine wichtige Aufgabe aller demokratischen Kräfte", sich mit der AfD auseinanderzusetzen "und die Menschen, die die AfD aus Enttäuschung gewählt haben, wieder zurückzugewinnen". Die Politik müsse den Bürger wieder mehr für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat begeistern und für eine tolerante und pluralistische Gesellschaft werben. Er dankte ferner den "vielen ehrenamtlichen Wahlhelfern", die am Sonntag "einen wichtigen Beitrag" für die Demokratie geleistet hätten.

 Am Freitag, 29. September, findet ab 9 Uhr im kleinen Sitzungssaal des Landratsamts Calw die Sitzung des Kreiswahlausschusses statt. Dann wird das offizielle Ergebnis im Wahlkreis ermittelt und festgestellt.

u Horb