Am Freudenstädter Rathaus setzten sich Menschen mit einer Mahnwache für die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen im Mittelmeer ein. Foto: Freundeskreis Asyl

70 Personen versammeln sich vor Rathaus. "Es wäre verrückt, nichts zu tun".

Freudenstadt - Während viele Menschen beim Freudenstädter Kunst- und Genussmarkt an den Ständen vorbeiflanierten, versammelten sich etwa 70 Personen vor dem Rathaus zu einer Mahnwache für die Seenotrettung Geflüchteter.

Mit Bannern, einer Peace-Fahne und Europaflaggen kamen die Interessierten, darunter auch Freudenstädter Stadträte, zu der Mahnwache. Eingeladen hatte der Freundeskreis Asyl Freudenstadt. Über die Situation auf dem Mittelmeer informierte der Freudenstädter Arzt und Psychotherapeut Jan Vogel. Er ist Mitglied der Bewegung "Seebrücke" und unterstützt seit vielen Jahren ehrenamtlich die Organisation "Refugio" Stuttgart in der Betreuung traumatisierter Flüchtlinge. Hierdurch hat er Einblick in die Grausamkeiten und Schrecklichkeiten, die Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer erlebt haben.

Jan Vogel unterstützt ferner die von seinem Bruder, dem Hochsee-Kapitän Klaus Vogel, gegründete europäische Organisation zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer, "SOS Méditerranée". Wenn damals sein Bruder, so berichtete er, zu hören bekommen habe, es sei doch verrückt, Geld für solch eine unrealistische Unternehmung zu sammeln, habe er entgegnet: "Es wäre verrückt, nichts zu tun". Mittlerweile habe diese Organisation das Rettungsschiff "Aquarius" gechartert. Dieses Schiff habe im zentralen Mittelmeer bei mehr als 230 Rettungseinsätzen 29.523 Menschen aus Seenot gerettet.

Zur aktuellen Situation sagte Jan Vogel: "In den letzten Monaten wurde mit allen politischen Mitteln gezielt versucht, die Rettungseinsätze des Rettungsschiffs zu stoppen". Wenn die zivilen Rettungsschiffe ihre Einsätze nicht fortsetzen dürfen, würden mehr Menschen vor den Toren Europas sterben.

Eine neue Flagge für die "Aquarius"

Als Konsequenz seien die Teilnehmer der Mahnwache auf den Freudenstädter Marktplatz gekommen, um ihre Stimme zu erheben, betonte Vogel. Sie wüssten sich vereint mit vielen Tausenden, die an diesem Tag in verschiedenen europäischen Städten auf die Straße gingen, um sich für die zivile Seenotrettung einzusetzen. Von wiederholtem Applaus unterbrochen, rief Jan Vogel den Teilnehmern der Mahnwache zu: "Wir rufen die Staaten Europas dazu auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, die es allen zivilen Seenotrettungsschiffen erlauben, ihren lebensrettenden Einsatz so schnell wie möglich fortzusetzen. Wir fordern die unverzügliche Bereitstellung einer neuen Flagge für die ›Aquarius‹ durch die europäischen Staaten."

Jan Vogel nannte auch die traurige Zahl von 1586 im Mittelmeer Ertrunkenen allein in diesem Jahr. Ein aus dem Hintergrund durch Passanten formulierter Kommentar wie "gut so, die sollen alle verrecken", stieß auf großes Entsetzen. "Wir wissen ja eigentlich, dass es diese Meinung leider gibt, dennoch läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich so etwas höre", bemerkte Stadträtin Elisabeth Gebele. Andere meinten auch, dass man nur so denken könne, wenn man persönlich nicht betroffen ist und niemanden kennt, der so etwas erlebt hat.

Pfarrer Stefan Itzek aus Kniebis begleitete mit seiner Gitarre die Veranstaltung mit drei Liedbeiträgen und Gesang. Ein Lied hatte er extra textlich auf das Thema zugeschnitten. Es gelang ihm sogar, mit den Teilnehmern einen kleinen Kanon zu singen. Das Mitgefühl der Teilnehmer für die betroffenen Flüchtlinge und deren Angehörige kam durch die Konzentration der Teilnehmer, die eingelegte Schweigeminute für die Ertrunkenen und durch den wiederholten Beifall beim Schlussteil zum Ausdruck. Spontan ergab sich ein "Kreis der Solidarität", in dem sich alle an den Händen hielten und gemeinsam "We shall overcome" sangen.

Weitere Informationen: https://seebruecke.org; https://sosmediterranee.de; https://freundeskreis-asyl-fds.de