Jurist setzt sich in Buch für Legalisierung ein. Suchthilfenetzwerk sieht darin falsches Signal.

Kreis Freudenstadt - Die Ablehnung ist eindeutig: Das Kommunale Suchthilfenetzwerk Freudenstadt befürchtet die "Gefahr missbräuchlichen Konsums", würden Cannabisprodukte legalisiert. Dies ist das Ergebnis einer Sitzung des Arbeitskreises.

Das Suchthilfenetzwerk ist ein Zusammenschluss von Landkreis Freudenstadt und allen Institutionen, die in der Prävention oder in der Versorgung suchtkranker Menschen tätig sind. Wesentliches Ziel der Einrichtung ist es, Sucht in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken und die Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern.

Zwar räumt das Suchthilfenetzwerk ein, dass es "viele berechtigte Argumente für eine Legalisierung von Cannabisprodukten" gebe, dennoch sehen die Fachleute in der Freigabe des Stoffs "ein falsches Signal". Junge Menschen könnten dem Irrtum unterliegen, "was legal ist, ist automatisch harmlos".

Die Ablehnung speist sich aus den Erfahrungen von Fachexperten und in der Selbsthilfe Tätigen, die zur Überzeugung gelangt sind, dass "Suchtmittel eben gerade nicht kontrolliert und reflektiert konsumiert werden", wie Befürworter meinen.

Das sieht der Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin, Andreas Müller, ganz anders. In seinem neuen Buch "Kiffen und Kriminalität" (Herder Verlag Freiburg 2015) kommt er zu einer ganzen Reihe von Schlüssen. So prophezeit er beispielsweise, dass sich nach anfänglichem Anstieg des Cannabis-Konsums die Situation auf das "normale Maß" reduzieren werde. Dann nämlich, wenn Konsumenten nach einer Probe feststellen, dass der Stoff "nichts für sie ist". Mit einer Legalisierung von Cannabis würden Polizei und Justiz befreit von jährlich mindestens 150 000 Ermittlungsverfahren. Sie könnten sich "wichtigeren Dingen" widmen, meint der Autor.

Millionen Menschen, so der streitbare Jurist, könnten ein Stück Freiheit zurückgewinnen, Eltern könnten gezielter mit ihren konsumierenden Kindern sprechen. Schließlich hätten Millionen Menschen die Möglichkeit, "ihre Krankheit durch den Eigenanbau von Cannabis zu mildern". Profitieren würde nach Müllers Überzeugung auch der Staat durch steigende Steuereinnahmen, während die Sozialsysteme entlastet werden könnten. Es würden weniger teure und von den Krankenkassen zu bezahlende Medikamente verschrieben.

Andreas Müller, der durch sein erstes Buch "Schluss mit der Sozialromantik" bundesweite Prominenz erfahren hat, ist mit dem Prädikat "der Jugendrichter" versehen worden. Sein neues Werk ist eine engagierte, mit großem juristischen Sachverstand ausgestattete und mit vielerlei internationalen Bezügen versehene Analyse nicht nur zur Cannabis-, sondern auch zur Drogenproblematik insgesamt. Die Legalisierung von Cannabis sei sein "zweites großes Lebensthema", bekennt er. Hervorgerufen wurde dieses drängende Anliegen durch den Tod seines Bruders Jonas, der vor zwei Jahren als "Opfer der Cannabiskriminalisierung" in Folge "einer verfehlten Drogenpolitik" starb. Als Fazit von Müllers Überlegungen kann gelten: "Die Angst vor einer massenhaften Ausbreitung der Droge Cannabis ist schlicht irrational."

In einem umfänglichen Papier greift auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in die Diskussion ein: Sie bekräftigt einen Grundsatz der Suchtpolitik, der die "Verhinderung und Reduzierung von Schäden durch Suchtmittelkonsum" fokussiert. Die DHS tritt für die Einsetzung einer Enquete-Kommission Cannabis ein und gibt dafür zwölf Gründe an. So bezieht sie sich unter anderem auf die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Diese lehnt die bisherige Kriminalisierung der Konsumierenden ab und schlägt stattdessen die Regulierung sowohl von Alkohol, Tabak als auch Cannabis über Verfügbarkeit und Preis vor. Dabei betont sie den "notwendigen Schutz von Kindern und Jugendlichen". Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin betrachtet das Betäubungsmittelgesetz von Beginn an als "eine Fehlkonstruktion" wegen ihrer "einseitigen Fokussierung auf Strafverfolgung".