Ein Darsteller-Quartett bot mit dem Drama "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ein starkes Stück Schauspielkunst. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder Bote

Theater: Ein starkes Ensemble zeichnet im Drama "Virginia Woolf" plastische Charaktere

Gar nicht adventlich gab sich das Schauspiel "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", das von der Komödie im Bayerischen Hof München im Theater im Kurhaus Freudenstadt auf die Bühne gebracht wurde.

Freudenstadt. Statt vorweihnachtlicher Stimmung führte das vierköpfige Ensemble dem zahlreichen Publikum einen Geschlechterkampf vor Augen, der sich gewaschen hatte und wohl niemanden unberührt ließ. Dass gleich zwei Paare für die Inszenierung verantwortlich zeichnen, könnte durchaus eine besondere Bedeutung haben, ist doch der Stoff auf vertrackte Beziehungen zwischen Mann und Frau angelegt: Alissa und Martin Walser haben das Drama von Edward Albee ins Deutsche übertragen, Regie führen Claudia Prietzel und Peter Henning, ein Duo, das sich öfters bewährt hat.

So liegt es nahe, dass in die Bearbeitung geschlechterspezifische Ansätze eingeflossen sind. Beziehungskisten, die den Glauben an dauerhaft funktionierende (eheliche) Verbindungen erschüttern, sind zu einem guten Teil literarisch aufgearbeitet. Die "Virginia Woolf" reiht sich ein in eine Phalanx explosiver Mischungen, wie sie beispielsweise in den Dramen "Der Gott des Gemetzels", Martin Walsers "Zimmerschlacht" oder in naturalistisch-expressionistische Arbeiten skandinavischer Autoren angehäuft sind. Gut in so mancher Erinnerung ist die Filmversion der "Virginia Woolf" mit dem "Traumpaar" Elizabeth Taylor und Richard Burton. Leslie Malton als Martha, Felix von Manteuffel in der Rolle des George, Judith Hoersch als Honey und Urs Stämpfli, der den Nick verkörpert, lassen im Theaterstück höchst unterschiedliche Charaktere lebendig werden und brauchen sich schauspielerisch hinter den berühmten Hollywood-Mimen keineswegs zu verstecken.

Das Stück bestätigt wieder einmal mehr die Zerstörungskraft, die von dem Konglomerat aus Alkoholexzessen, Selbstbetrug, Narzissmus und sexueller Frustration ausgehen kann. Emotionale und durchaus auch handgreifliche Feldzüge gegen den jeweiligen Partner sind nicht nur in der Literatur häufig in Akademikerkreisen angesiedelt. Hinter der Maskerade bürgerlicher Wohlanständigkeit lauert das Böse, die Lust am Verletzen, das Präsentieren offener Rechnungen.

Moralische Schranken werden gebrochen

Leidenschaft und gegenseitige Liebe sind in 20 Ehejahren von Martha und George radikal verkümmert, der Triumph aus dem Duell ist lediglich ein Pyrrhussieg. Einmal in Fahrt, scheut Martha selbst vor der Bierkutscherdiktion nicht zurück: Ein "Dreckskerl" ist in ihren Augen der Geschichtsprofessor George, ein Versager auf der ganzen Linie. Selbstanklagend räsoniert Martha: "Ich dumme Pute verknallte mich in ihn!"

George hat sich zu einem Zyniker gewandelt, der in jeder Äußerung seiner Frau einen Angriff auf sich wittert. "Der Weg zum Herzen eines Mannes führt durch den Bauch einer Frau", wirft er hin. Schließlich obsiegt die Resignation und das Paar muss erkennen: "Es gibt keinen Augenblick mehr, an dem wir uns finden könnten." Katastrophal wirkt sich der Tabubruch aus, bei dem schonungslos die Imagination eines Sohns zertrümmert wird, dessen Existenz die zerbröselnde Zuneigung hätte kitten können.

Wenn Menschen hinter verschlossenen Türen ihre Rangordnungen mit vielerlei Stichwunden ausfechten, ist das zwar schlimm genug, bleibt aber noch im Verborgenen. Wenn sie jedoch Fremde, wie im vorliegenden Fall ein Besucherehepaar, mit hineinziehen, sind die moralischen Schranken gebrochen. Der aufstrebende Biologieprofessor Nick und seine Frau Honey – nomen est omen – geraten unversehens in den Strudel hinein und reißen letzlich selbst bereits verschorfte Wunden auf.

"Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" bot dank ausgezeichneter Leistungen mit einer ganzen Palette von Emotionen ein starkes Stück Theaterkunst in Kammerspielmanier, das seine Wirkung auch aus der zweckmäßig-anschaulichen Ausstattung von Dietrich von Grebmer bezog.