Jessica Aberle mit dem vierjährigen Munene. Foto: Privat

Soziales: Jessica Aberle arbeitet drei Monate in Kinderheim / Projekt wird vom Förderkreis Kenia unterstützt

Sie ist 18 Jahre jung und von einem Virus befallen. Es ist kein Krankheitserreger, sondern das Afrika-Virus, das Jessica Aberle bei einem dreimonatigen Aufenthalt in einem Kinderheim in Kenia unweit von Nairobi nachhaltig beeinflusst hat.

Freudenstadt. Was motiviert eine junge Frau, kurz nach dem Abitur am Kepler-Gymnasium in Freudenstadt für drei Monate allein nach Ostafrika zu reisen? "Mir ist in den vergangenen Jahren in der Schule aufgefallen, wie selbstverständlich es für uns ist, einfach alles zu haben. Da wollte ich etwas an Menschen weitergeben, die nicht so viel haben", sagt Jessica Aberle.

Ihr Nachbar Wolfgang Decker ist im Förderkreis Kenia aktiv. Er stellte die Kontakte zu Fritz Dieter her, der von der Idee zwar begeistert war, doch auch an die Gefahren dachte. Eine so junge Frau allein in Afrika? Das birgt einige Risiken in sich. Fritz Dieter nutzte seine ganzen Kontakte in die Stadt Embu, wo der Förderkreis Kenia seit 25 Jahren das St. Stevens Children’s Home am Fuß des Mount Kenia, eine Einrichtung der anglikanischen Kirche, unterstützt, um für Jessica Aberle einen sicheren Boden zu bereiten. Er sprach auch mit den Eltern, die anfangs nicht sehr begeistert vom Vorhaben ihrer Tochter waren.

In Embu begann vor 25 Jahren die Hilfe des Freudenstädter Vereins mit einer Suppenküche, erinnert sich Fritz Dieter. Heute reist er mit einer Gruppe des Fördervereins Kenia einmal im Jahr nach Embu und in andere Einrichtungen, um sich zu überzeugen, dass die Hilfe aus Freudenstadt auch ankommt. Denn man wolle nicht nur Geld überweisen, sondern sehen, wie es verwendet wird, betont er. "Das ist eine Verpflichtung gegenüber unseren Spendern".

Das St. Stevens Children’s Home schien Fritz Dieter die richtige Einrichtung für Jessica Aberle zu sein. Am 8. August brach sie auf. "Sehr aufgeregt", wie sie sich erinnert, aber auch mit Vorfreude auf die Arbeit mit Kindern. Den ersten Tag verbrachte Jessica Aberle zunächst in Nairobi und besuchte eine Bekannte, bevor es 160 Kilometer weiter ging nach Embu. In dem Heim hatte es Jessica Aberle mit Kindern zu tun, deren Familien keine geeignete Unterkunft bieten können, mental nicht in der Lage sind, sich um ein Kind zu kümmern oder unbekannt beziehungsweise gestorben sind.

Während ihres dreimonatigen Dienstes in dem Heim lernte Jessica Aberle alle Arbeitsbereiche kennen. Kochen, Putzen, Hausaufgabenbetreuung oder das Spielen mit den Kindern an den Wochenenden gehörten dazu. Die Verständigung war anfangs nicht ganz einfach, weil die Kinder kein Englisch sprechen. Die Amtssprache ist Kisuaheli. Doch die älteren Heimbewohner brachten Jessica Aberle auf Englisch die wichtigsten Begriffe bei, mit denen sie sich mit den Kindern verständigen konnte. Nach einer Woche überreichte Jessica Aberle an die Heimbewohner kleine Geschenke und wurde begeistert gefeiert. Der Koch der Einrichtung wurde bald zu einer Art Ersatzpapa für die Freudenstädterin. Eins ihrer Kinder, die sie betreute, war Munene. "In ihn habe ich mich von Anfang an regelrecht verliebt", schreibt Jessica Aberle in ihrem Erfahrungsbericht über ihren Freiwilligendienst. Der Vierjährige ist seit Anfang des Jahres im Projekt und braucht viel Zuwendung.

Bevor Jessica Aberle zu ihrer Reise aufgebrochen war, hatte sie noch bei ihrer Familie und Freunden über 3000 Euro gesammelt, die sie vor Ort sinnvoll ausgeben wollte. Sie kaufte einer Frau eine neue Waschmaschine und schaffte für die Einrichtung eine weitere Kuh an, da das einzige Tier zu wenig Milch spendete.

Auch Kurioses erlebte die junge Frau aus dem Schwarzwald. "Auf dem Weg in die Stadt wurde ich von fünf Männern angesprochen, ob ich sie heiraten will", erinnert sich Jessica Aberle und lacht. Sie lehnte dankend ab. "Weiß bedeutet für die Menschen dort reich", weiß Fritz Dieter. Mit einer Weißen verheiratet zu sein, sei etwas Besonderes.

Zwei Wochen hatte die Freudenstädterin Urlaub. In der Zeit besuchte sie Nairobi, Mombasa und ein weiteres Projekt des Förderkreises Kenia. Auch eine Safari durfte nicht fehlen. Fritz Dieter hatte von Freudenstadt aus tagelang organisiert, damit sie mit Flugzeug, Zug oder Bus reisen konnte, denn ein Auto stand nicht zur Verfügung. Die vielen Kontakte von Fritz Dieter machten es möglich. Am Ende freute sich Jessica Aberle auch wieder auf Freudenstadt. "Doch die Kinder sind mir ans Herz gewachsen", sagt sie. In Afrika habe sie auch von den Erwachsenen eine ganz andere Hilfsbereitschaft erfahren, als man es in Deutschland kennt.

Es gebe wenige junge Menschen, die im Alter von 18 Jahren einen Dienst in Afrika leisten wollen. Für den Förderverein sei es ebenso wie für Jessica Aberle eine Herausforderung gewesen, resümiert Fritz Dieter. Jessica Aberle ist längst wieder im deutschen Alltag angekommen. Zurzeit arbeitet sie in einem Industrieunternehmen, "um erstmal Geld zu verdienen". Dann möchte sie ein duales Studium der Pflegewissenschaft absolvieren und in diesem Zusammenhang den Beruf der Kinderkrankenschwester lernen. In Afrika hat sie Menschen kennengelernt, die ihr für immer in Erinnerung bleiben werden. Will sie wieder mal ins St. Stevens Children’s Home nach Embu reisen? "Ja", sagt sie ohne zu zögern.

  Gründung: Der Verein wurde als ökumenische Initiative am 22. Mai 1992 in Freudenstadt gegründet.

  Ziele sind unter anderem die Übernahme von Schulpatenschaften für mittellose Schüler, die Unterstützung von Schulen mit Lehr- und Lernmitteln, sozialdiakonische und medizinische Hilfe für AIDS-Waisen und Straßenkinder, deren Eltern an AIDS verstorben sind und die Unterstützung von Kleinbauern bei Ernteverlust.

 Hilfsprojekte: Aktuell werden zwölf Hilfsprojekte unterstützt.

 Spendenaufkommen: In 26 Jahren hat der Verein nach eigenen Angaben rund 500 000 Euro gesammelt. Pro Jahr werden etwa 25 000 Euro benötigt. Alle Spenden erreichen direkt die Hilfsprojekte, Sachausgaben finanziert der Verein aus den Beiträgen der derzeit 83 Mitglieder.

  Vereinsleitung: Es gibt drei gleichberechtigte Vorsitzende. Fritz Dieter ist dabei die treibende Kraft. Er absolvierte eine Ausbildung als Sozialdiakon, studierte Theologie, Pädagogik, Sozialarbeit und Erwachsenenbildung, war von 1969 bis 1973 kirchlicher Entwicklungshelfer im Auftrag des CVJM in Kenia und war sieben Jahre Referent im Dienst für Mission und Ökumene der evangelischen Landeskirche in Württemberg. In den Kirchengemeinden lernte Fritz Dieter während seiner beruflichen Laufbahn Menschen kennen, die sich für die Menschen in Afrika einsetzen und konkret helfen wollten. Um dieses Bemühen auf mehrere Schultern zu verteilen, kam es zur Gründung des Vereins.

Weitere Informationen: www.foerderkreis-kenya-freudenstadt.de