Interview: Ein Gespräch mit einer ehrenamtlichen Helferin und ehemaligen Vollstreckerin über Gebühren und Gerechtigkeit

Kreis Freudenstadt. Demotivation oder einfach nur gerecht? Die neue Höhe der Wohnheimgebühr für Flüchtlinge mit eigenem Einkommen hat im Landkreis eine Debatte über soziale Gerechtigkeit ausgelöst. Was ist davon wahr, was Gerücht? Wir sprachen mit Gabi Rapp (54). Sie wohnt mit ihrem Mann in Schönmünzach. Sie betreut ehrenamtlich Flüchtlinge im Dorf, aber sie weiß auch um die Not anderer Menschen: Sie arbeitet als Geologin beim Landratsamt in Rastatt, war davor aber neun Jahre lang als Vollstreckerin bei der Stadt Leonberg angestellt.

Frau Rapp, empfinden Sie die Wohnheimgebühr von 350 Euro im Monat für angemessen?

Ich finde es richtig, dass diejenigen Flüchtlinge, die arbeiten und ausreichend Geld verdienen, Wohnheimgebühren bezahlen. Sie haben ein Dach über dem Kopf, fließend Wasser, Heizung und Elektrizität. All das gibt es in Deutschland für niemanden kostenlos, der arbeitet. Müsste ich jedoch 350 Euro für ein Bett in einem Mehrbettzimmer in einer Wohnung mit Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbad bezahlen, würde ich das als Wucher empfinden. Besonders, wenn meine Zimmermitbewohnerin auch noch 350 Euro bezahlen müsste.

Weil?

Die arbeitenden Flüchtlinge haben auch schon in der Vergangenheit Wohnheimgebühren bezahlt. Bis November 2017 kostete das für eine alleinstehende Person 140 Euro im Mehrbettzimmer. Seit Dezember 2017 sollen nun dieselben Personen für dieselbe Leistung 350 Euro bezahlen. Zudem wundere ich mich, dass das Jobcenter eine Wohnheimgebühr in dieser Höhe akzeptiert. Laut Auskunft vom Landratsamt bezahlt das Jobcenter diese Wohnheimgebühr bei anerkannten Flüchtlingen, die nicht arbeiten und noch in Gemeinschaftsunterkünften wohnen.

Was sagen die Flüchtlinge selbst dazu?

Sie empfinden es so, wie ich es auch empfinden würde, und sie verstehen auch nicht, dass sie anteilig für einen Wachdienst bezahlen, den sie noch nie gesehen haben. Außerdem fragen sie sich, warum sie zu zweit in einem Zimmer und somit alle in einer Wohnung wohnen, wo drei weitere Wohnungen im Haus leer stehen. Einige der Männer haben mir gesagt, dass sie für ein eigenes Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft durchaus 350 Euro bezahlen würden.

Wie viele Flüchtlinge betreuen Sie und die ehrenamtlichen Helfer im Ort?

In Schönmünzach wurden im November 2015 zwölf Gambier durch das Landratsamt untergebracht. Danach folgten Familien aus dem Orient. Aktuell wohnen nur noch neun Gambier bei uns im Dorf.

Wie werden sie im Dorf unterstützt?

Am Anfang, als sie hier ankamen, brauchten sie viel Unterstützung, und die bekamen sie von vielen Menschen aus unserem Ort und eben auch von meinem Mann und mir. Inzwischen arbeiten fast alle. Sie melden sich bei uns, wenn sie den Inhalt von Briefen nicht verstehen oder sonst Unterstützung benötigen. Aber sie fragen auch bei anderen Menschen oder Institutionen um Hilfe. Zu manchen haben wir mehr Kontakt, andere sehen wir fast nicht mehr.

Ein Kritikpunkt im Kreistag war, dass die Flüchtlinge praktisch keine frei Wahl bei der Wohnung hätten und sich damit auch nicht selbst um eine wirtschaftlichere Lösung kümmern könnten. Würde es überhaupt Sinn machen, sie selbst auf Zimmer- oder Wohnungssuche gehen zu lassen, solange der Asylantrag nicht abschließend entschieden ist?

Bei fast allen Gambiern wurde der Asylantrag abgelehnt. Ich habe keine Ahnung, ob sie in naher Zukunft abgeschoben werden oder weiterhin bleiben und arbeiten dürfen. Unter diesen Umständen gehe ich davon aus, dass sie selbst keine Mietwohnung finden werden. Zudem hat das Landratsamt in der Vergangenheit nur einem Gambier, der weiter entfernt arbeitete, erlaubt, aus der Gemeinschaftsunterkunft auszuziehen. Diejenigen, die in der Nähe arbeiten, bekamen immer die Auskunft, dass sie nicht ausziehen dürfen.

Wo arbeiten die Flüchtlinge eigentlich, die Sie betreuen?

Drei Männer arbeiten in der Gastronomie, einer putzt in einem Altenheim, ein weiterer Gambier ist in einer Wäscherei tätig, einer arbeitet in einem Betrieb, der Sitzbänke herstellt, und ein anderer macht gerade ein Praktikum in einem metallverarbeitenden Betrieb und hofft, dass er dort in Zukunft arbeiten kann.

Was verdienen sie im Monat?

Ich habe nicht die Lohnzettel von allen Männern gesehen. Bei denen, die ich gesehen habe, war der niedrigste Nettolohn etwa 1000 Euro und der höchste Nettolohn rund 1250 Euro. Hier handelt es sich um Vollzeitarbeitsplätze. Flüchtlinge, die in Teilzeit arbeiten, verdienen entsprechend weniger.

Was kommt an sonstiger staatlicher Unterstützung dazu?

Wer arbeitet und sich selbst ernähren kann, bekommt keine Unterstützung vom Staat. Und jeder bezahlt wie andere Arbeitnehmer Beiträge ins Sozialsystem ein. Es gab das Gerücht, dass alle Flüchtlinge in Deutschland zu Weihnachten 700 Euro vom Staat bekommen hätten. Das ist aber ein Gerücht, das keiner Überprüfung standhält.

Müssen die Flüchtlinge arbeiten oder wollen sie? Was ist ihre Motivation?

Alle durften die ersten drei Monate nach ihrer Ankunft in Schönmünzach nicht arbeiten und lagen uns damals schon ständig damit in den Ohren, dass sie arbeiten wollen. Wobei ihnen sicher nicht klar war, welche Anforderungen an Arbeitnehmer in Deutschland gestellt werden. Sie fanden es ohne Arbeit sehr langweilig. Und sie wollen auch ihre Familien in Afrika mit Geld unterstützen. Einer der Männer in Schönmünzach ist ein sogenannter Dublin-Fall. Er durfte noch nie arbeiten, da er keine Arbeitserlaubnis erhält. Mich interessiert, wie viele Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen und wie viel das den Kreis kostet.

Im Kreis scheint eine Debatte darüber entbrannt, dass Flüchtlinge vom Sozialstaat besser gestellt seien als Alleinerziehende oder Rentner. Was sagen Sie dazu?

Flüchtlinge bekommen annähernd so viel Unterstützung vom Staat wie deutsche Hartz-IV-Empfänger, wenn sie nicht arbeiten. Bei Einzelpersonen ist das nicht viel. Familien sind da schon besser gestellt. Rentner, die wenig Rente bekommen, können, wenn sie kein schuldenfreies Wohneigentum haben, Grundsicherung beantragen. Das ist auf alle Fälle mehr Geld als Hartz IV. Dass aber Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben und dennoch sehr niedrige Renten erhalten, sich fragen, warum Rentenerhöhungen immer gering ausfallen und plötzlich Geld für Flüchtlinge da ist, kann ich verstehen.

Kritik kam auch von einer Alleinerziehenden.

Ich kenne viele Frauen und einen Mann, die alleinerziehend waren oder sind. Das Leben als alleinerziehende Mutter oder Vater ist sicher nicht leicht. Aber alle, die ich kenne, konnten einige Zeit nach der Geburt ihrer Kinder eine Ausbildung machen oder in ihrem erlernten Beruf arbeiten. Sie haben dabei Unterstützung vom Staat bekommen. Aber fast alle wurden dabei auch sehr stark von der eigenen Familie unterstützt. Diese Unterstützung haben Flüchtlinge nicht.

Können Sie diese Gerechtigkeitsdebatte verstehen?

Menschen, die selbst ganz knapp mit ihrem Einkommen oder ihrer Rente kalkulieren müssen, haben verständlicherweise Angst, dass sie durch die Zunahme der Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, vielleicht selbst weniger bekommen. Rentner, die ein Leben lang gearbeitet und etwas für den deutschen Staat geleistet haben, aber nur eine kleine Rente bekommen, fragen sich zu Recht, warum sie nur eine geringe Rente und Fremde eine ausreichende staatliche Unterstützung bekommen. Aber diese Rentner bekommen deshalb eine sehr kleine Rente, weil ihr Einkommen bereits sehr gering war, und dafür können die Flüchtlinge nichts. Ich persönlich ärgere mich über internationale Konzerne, die in Deutschland gut verdienen, die gesamte Infrastruktur nutzen und trotzdem keine Steuern bezahlen. Deshalb denke ich, dass es besser wäre, dafür zu kämpfen, dass diese Konzerne ihren Beitrag leisten, anstatt auf die Flüchtlinge zu schimpfen, die nicht viel haben.

Sie waren beruflich als sogenannte Vollstreckerin tätig. Gibt es echte Armut im Land?

Es gibt Menschen mit sehr niedrigem Einkommen oder kleiner Rente. Ob das zu echter Armut führt, hängt von verschiedenen Dingen ab. Wie hoch ist die Miete? Gibt es Verwandte oder Freunde, die Menschen mit kleinem Einkommen unterstützen, oder können diese Personen Unterstützung vom Staat bekommen?

Welche sozialen Schichten sind knapp bei Kasse und woran liegt das?

Während meiner Zeit als Vollstreckerin waren die meisten Menschen mit sehr geringen Renten Frauen, deren Ehe irgendwann geschieden wurde und die selbst nie oder nur kurz berufstätig waren. Zudem war das Geld meist bei Menschen sehr knapp, die in jungen Jahren krank wurden. Nach meiner Erfahrung haben Menschen ein niedriges Einkommen, die keinen Schulabschluss und keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Arbeitnehmer, die im fortgeschrittenen Alter arbeitslos werden, finden häufig nur noch schlechter bezahlte Jobs. Alleinerziehende Mütter haben wenig Geld zur Verfügung, wenn sie keine Kinderbetreuung haben und deshalb nicht arbeiten können und keinen Unterhalt vom Vater des Kindes bekommen. Außerdem machen Süchte Menschen arm.

Also Schicksal oder Pech?

Es gibt auch Menschen, die nie richtig gelernt haben, mit ihrem Einkommen auszukommen. Sie leben permanent über ihre Verhältnisse und stecken irgendwann in der Schuldenfalle. Ich habe in meinem privaten Umfeld auch Menschen kennengelernt, die ein niedriges Einkommen hatten und trotzdem nicht darben mussten. Sie waren gut vernetzt, haben sich gegenseitig unterstützt, und materielle Werte waren nicht so wichtig. Allerdings finde ich es schlimm, wenn Menschen, die Vollzeit arbeiten, Hartz IV beantragen müssen, um ihre Familie ernähren zu können.

Warum engagieren Sie sich in der Flüchtlingsarbeit?

Zunächst wollte ich etwas dafür tun, dass es zu keinen größeren Konflikten in unserem Ort kommt. Als dann die vielen Familien aus dem Orient in unser Dorf kamen, musste ich an die Geschichten denken, die ich in unserem Viertel in Leonberg gehört hatte. Wir lebten dort in einem Stadtteil, der 1952 überwiegend für Flüchtlinge aus dem Osten gebaut wurde. Die betagten Bewohner erzählten viel von ihrer Ankunft im Westen und wie schwer es war, ohne Habe neu anzufangen. Dieses Viertel wurde übrigens lange Zeit "Klein Moskau" genannt. Auch die Neugier, wie diese fremden Menschen sind, begründete mein Engagement. Inzwischen sagen mein Mann und ich, dass wir in den letzten zwei Jahren viele positive, aber auch negative Dinge gelernt haben. Und wir haben Deutschland neu kennengelernt. Auch dafür hat sich der Einsatz gelohnt.

Werden Flüchtlinge eines Tages hier ganz normal und integriert leben?

Das kommt auf den einzelnen Menschen an. Aber auch auf die Umwelt. Bei der Frage nach der Integration muss man jedoch bedenken, dass ein großer Teil der Flüchtlinge aus Syrien nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis hat. Und ein großer Teil der Flüchtlinge aus Afrika wird kein Asyl bekommen. Wo werden diese Menschen in einigen Jahren sein? Das ist für mich vollkommen offen. Ich frage mich häufig, ob es Pläne gibt, was mit den Syrern passiert, wenn der Krieg in ihrem Heimatland zu Ende ist. Wenn all die Geflüchteten, die momentan in Deutschland leben, hier bleiben dürfen, dann wird es eine längere Sache, die Menschen zu integrieren. Dann ist es nach meiner Meinung aber noch wichtiger, dass diese Menschen Kontakt zu hier geborenen Menschen haben, denn nur so können sie verstehen, wie unser Land funktioniert. Und nur so können wir ihnen unsere Werte vermitteln.

 Die Fragen stellte Volker Rath