Interview: Ausbildungsleiter Michael Vieth über Umbrüche in der Arbeitswelt, Nachwuchssuche und falsche Vorstellungen

Kreis Freudenstadt. Fachkräftesuche in Zeiten von Hochkonjunktur, geburtenschwächeren Jahrgängen und großen Umbrüchen in der Arbeitswelt: Ausbilder in den Betrieben im Kreis Freudenstadt haben’s derzeit auch nicht leicht. Was bereitet Probleme und wie gehen die Unternehmen damit um? Wir sprachen mit Michael Vieth. Er ist Ausbildungschef bei Arburg und engagiert sich auch überregional in der betrieblichen und akademischen Ausbildung.

Herr Vieth, Teile der Wirtschaft im Kreis Freudenstadt suchen händeringend Lehrlinge. Kann Arburg zum Start des Lehrjahrs alle Ausbildungsplätze gut besetzen?

Arburg konnte alle Plätze besetzen, teils mit Anstrengung, aber es ging gut. Das Bewerbungsverfahren läuft bei uns immer mit etwa einem Jahr Vorlauf. Aktuell hat schon die Bewerbungsphase für den Ausbildungsbeginn 2019 begonnen. 2019 wird wahrscheinlich spannender.

Worauf führen Sie das zurück? Auf geburtenschwächere Jahrgänge?

Da spielen viele Entwicklungen eine Rolle. Die Wirtschaft läuft sehr gut, dann ist der Arbeitsmarkt leer. Außerdem gibt es einen Trend hin zur höheren Schulbildung. Viele junge Leute mit guter Mittlerer Reife machen weiter, auch auf die Gefahr hin, vielleicht am Ende mit einem eher mäßigen Abitur dazustehen. Innerhalb von Familien wird oft auch ein veraltetes Bild von Ausbildungsberufen vermittelt. Ein Konstruktionsmechaniker ist eben keine Art Flaschner mehr, das ist mittlerweile ein hochtechnischer Beruf, in dem komplexe Anlagen bedient werden müssen. Das Image des Mechatronikers, einem jüngeren Berufsbild, ist weitaus besser. Heute gibt es in der Industrie keine Low-tech-Berufe mehr. Ein weiterer Aspekt ist, dass es Jugendliche gibt, die auf eine fundierte Ausbildung verzichten, um schneller mehr Geld zu verdienen. Ein großer Logistiker wirbt Jugendliche zum Beispiel direkt von der Schule ab. Dort können sie kurzfristig zwar gutes Geld verdienen. Aber mit einer guten Ausbildung sieht die eigene Zukunft doch ganz anders aus. Da müssen wir Aufklärung leisten.

Die Agentur für Arbeit im Nordschwarzwald spricht von einem Wandel hin zum Bewerbermarkt. Heißt das: Unternehmen sollen sich in Zeiten geburtenschwacher Jahrgänge stärker um Lehrlinge bemühen, nicht mehr der Lehrling um eine Stelle?

Die Unternehmen müssen sich bemühen und Initiative zeigen, darüber informieren, was sie leisten und welche Berufe es gibt. Das tun sie auch seit Jahren. Manche Firmen schicken Ausbildungsbotschafter an die Schulen. Das sind Azubis und Studenten, die den Jugendlichen aus ihrem Berufsalltag berichten und Fragen beantworten. Sie können viel mehr vermitteln als die teuerste Hochglanzbroschüre.

Täte man jungen Leuten damit einen Gefallen oder weckt das falsche Vorstellungen?

Betriebe sollten jedenfalls keine falschen Vorstellungen erzeugen. Wenn ich als Firma in Loßburg einem 16-jährigen Jugendlichen aus Enzklösterle eine gute Ausbildung verspreche, dann muss ich ihm auch einen Weg aufzeigen, wie er täglich pünktlich zur Arbeit kommen kann.

Mal rein spaßeshalber: Überzeugen Sie mich bitte davon, dass Ihr Unternehmen gut zu mir passt und ich bei Ihnen einen Ausbildungsvertrag überschreiben soll.

Arburg bildet nachhaltig und bedarfsorientiert, also mit einer großen Übernahmechance aus. Das heißt, wir bieten über die Ausbildung hinaus eine Perspektive. Junge Mitarbeiter können schon relativ schnell Verantwortung übernehmen. Das beginnt bereits in der Ausbildungszeit im Rahmen verschiedener Projekte. Arburg ist ein Familienunternehmen, das Vertrauen genießt, und das sein Wachstum durch junge Leute voranbringen muss.

Die Wirtschaft solle auch schulisch schwächeren Jugendlichen eine Chance geben. Sind die Firmen zu wählerisch?

Es gab sicher welche, die in der Vergangenheit zu wählerisch waren.

Welche Defizite können Ausbilder und Lehrmeister ausgleichen, welche nicht?

Manchmal stoßen Unternehmen an Grenzen, an denen Arbeitspädagogen notwendig wären, um in Einzelfällen individuelle Betreuung anbieten zu können. Es gibt junge Leute, die Schwierigkeiten haben, ihren Arbeitstag pünktlich zu beginnen. Das ist kein Scherz. Für lernschwache Jugendliche haben die Ausbildungsbetriebe im Kreis Freudenstadt zusammen mit der Berufsschule den Ausbildungsgang Metallfeinbearbeitung geschaffen, der auf drei Lehrjahre gestreckt ist und der besondere Betreuung bietet. Außerdem bieten wir bei Arburg Mathematik-Kurse zur Auffrischung an. Prozentrechnen, Geometrie und Winkelfunktionen wurden zwar mal in der Schule gelernt, sind aber oft nicht mehr präsent.

Sind Jugendliche heute dümmer als früher?

Nein, keinesfalls. Sie sind heute viel breiter aufgestellt. Vielleicht ist die Schulbildung mittlerweile auch zu überfrachtet, und die Zeit fehlt, Wissen zu festigen. Zudem haben Jugendliche heutzutage 24 Stunden am Tag die Möglichkeit, alles nachzuschauen, und brauchen sich auf gelerntes Wissen nicht mehr zu verlassen. Manche schaffen es daher nicht, spontan eine Dreiviertel-Pizza gerecht zwischen vier Leuten aufzuteilen. Dafür sind sie in der Lage, praktisch aus dem Stegreif eine 30-minütige Powerpoint-Präsentation zu halten.

Worauf achten Sie eigentlich bei der Auswahl der Bewerber?

Die richtige Einstellung ist von großer Bedeutung. Bei Arburg gibt es ein vierstufiges Auswahlverfahren. Stufe eins ist der Blick auf die Noten für Verhalten und Mitarbeit im Zeugnis. Sie sagen viel aus. Fachliche Noten sind auch wichtig, aber kein K.o-Kriterium. Phase zwei ist ein Online-Test um herauszufinden, ob der Bewerber geeignet ist. Stufe drei ist ein Test bei uns im Haus, Stufe vier das klassische Vorstellungsgespräch, um sich kennenzulernen.

Was geht gar nicht?

Fehlender Antrieb und mangelnde Eigenverantwortung. Die jungen Leute sollen sich bei uns schließlich stetig verbessern, jeder nach seinen ganz persönlichen Möglichkeiten. Ein Dreier-Kandidat, der sich auf die Note zwei verbessert, ist in unseren Augen besser als einer, der seinen Zweier hält.

Arburg erklärt, bei jedem Lehrling oder Studenten in dualer Ausbildung stehe von vorneherein fest, wo er später arbeiten werde. Wie kann man das vorher so genau wissen, ob das für beide Seiten passt?

Wir planen unser Personal langfristig und bieten eine entsprechende Anzahl an Ausbildungsplätzen. Absolventen eines Dualen Studiums werden eins zu eins ihrer späteren Stelle zugeordnet. In der dualen Ausbildung kristallisiert sich in der Lehrzeit heraus, wo die jeweiligen Stärken und Fähigkeiten liegen. Wenn jemand vom Naturell her eher schüchtern ist und nicht improvisieren kann, tut man ihm nicht unbedingt einen Gefallen damit, ihn als Servicetechniker mit Kundenkontakt einzusetzen.

Ist der ländliche Raum Vor- oder Nachteil als Standort für ein Industrieunternehmen?

Wir müssen manchmal schon das Bewusstsein schaffen, dass auch im Schwarzwald High-tech eine große Rolle spielt. Das betrifft vor allem Hochschulabsolventen. Informatiker bleiben eher in Stuttgart bei den ganz großen Unternehmen hängen. Das mag anders aussehen, wenn sie in die Familienphase kommen, da hat eine ländliche Region dann durchaus Vorteile. Für die gewerbliche Ausbildung sind wir eine sehr gute Gegend, in der eine gesunde Einstellung zur dualen Ausbildung herrscht.

Die duale Ausbildung gilt manchmal als Exportschlager, dann heißt es wieder, es gäbe zu wenig Akademiker im Land. Wie sehen Sie das?

Ich bin ein Fan der dualen Ausbildung. Sie bietet eine Breite, die man sonst nirgends bekommt. Und man hat Zeit. Die Ausbildung verändert sich gerade massiv. Die Digitalisierung ist ein spannendes Thema für uns Ausbilder. Wir sollen heute die Leute ausbilden, wissen aber auch noch nicht so genau, wie die Arbeitswelt in fünf Jahren aussehen wird.

Werden Digitalisierung und weitere Automatisierung Jobs in der Industrie schaffen oder überflüssig machen?

Eher schaffen oder zumindest erhalten. Um die Produktion am Standort zu halten, müssen Unternehmen aber in der Lage sein, diesen Wandel zu gestalten. Die Arbeitswelt wird sich verändern. Wir brauchen Mitarbeiter, die dazu fähig sind, flexibel zu denken und zusammenzuarbeiten, und das über Berufsbilder hinweg. Auf gut Schwäbisch gesagt: Sie müssen mehr miteinander schwätzen.

Wenn Sie selbst noch mal jung wären: Was würden Sie lernen, und welchen Weg würden Sie gehen?

Ich habe zuerst eine duale Ausbildung absolviert und anschließend in der Elektrofertigung gearbeitet. Erst später habe ich ein Studium draufgesattelt und war dann im Bereich Leittechnik für die IT-Vernetzung von Spitzgießproduktionen und das Thema Industrie 4.0 verantwortlich. Das war für mich genau der richtige Weg. Meine Kinder habe ich dazu verdonnert, erst Praktika zu machen, bevor sie sich für einen Beruf entscheiden. Meine Empfehlung: Wenn jemand entsprechend veranlagt ist, soll er Abi machen und studieren, wenn nicht, dann lieber eine duale Ausbildung absolvieren. Es gibt so viele Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen. Dazu muss man nicht zwingend studiert haben.

 Die Fragen stellte Volker Rath