Walle Sayer (rechts) beim Signieren. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder Bote

Lesung: Der Horber Dichter Walle Sayer inspiriert sein Publikum im Foyer des Landratsamts

Freudenstadt. Walle Sayer, Literat aus Horb, las im Foyer des Landratsamts aus seinen zuletzt erschienenen Bänden "Was in die Streichholzschachtel passte. Feinarbeiten" (2016) und "Mitbringsel" (2019). Der Schwerpunkt lag auf der zuletzt genannten Lyriksammlung. Sayers Auftritt war Begleitmusik zur noch laufenden Ausstellung mit dem Titel "Nirgendwann" im Landratsamt. Kreisvolkshochschuldirektor Sascha Falk verwies darauf, dass diese Gemeinschaftspräsentation von Künstlerin Katrin Kinsler aus Horb und Walle Sayer um Textgestaltung und -wirkung kreise und somit Sayers Lesung in diesem Kontext zu sehen sei.

Sayer ist ein Autor, der nicht viel Aufhebens um seine Person macht. Auch wenn ihm der Erfolg seit Jahren treu bleibt, ist er noch immer jener sympathische, zugewandte Mensch, der er von Anfang an gewesen ist. Das Publikum weiß dies zu schätzen und sucht gerne das Gespräch mit ihm. Die vielen Auszeichnungen, die dem Dichter zuteil geworden sind, haben ihn zwar erfreut, aber nicht kopflos werden lassen.

Das Wort ist für Sayer ein Anker im fließenden Alltag, ein Medium, mit dem er dem scheinbar Banalen eine Bedeutung zuschreibt. Er drückt es so aus: "Beim Gedichteschreiben gerät man in einen anderen Zustand." Begebenheiten, Eindrücke, Stimmungen lassen sich poetisch einfrieren. Da ist beispielsweise das aufgeschnappte Stammtischgespräch "Tischnachbarschaft". Mit der "Zeitschaltuhr" ergründet Sayer die Mechanismen des erwachenden Tages. In "Dinggedichten" zeigen die Gegenstände "ihr Antlitz", lässt er verlauten.

Kein Zweifel: Lyrik lässt sich ohne einen Rest an Undeutbarem in der Regel nicht ergründen. Dazu ist sie zu sehr individualisiert. Auch im Werk von Walle Sayer bleibt mancher Vers im Dunkeln, ist in Kopf und Herz eingeschlossen. Ansonsten ist er überzeugt davon, dass viele Gedichte für ihr Verständnis doch "ein Fernrohr oder eine Lupe" erfordern.

Erinnerungen an eigene Erfahrungen

Sayer ist dort am stärksten, wo er sich als Meister der Anschauung zu erkennen gibt. Es sind jene Texte, die beim Publikum Erinnerungen an eigene Erfahrungen hervorbringen: Das "Schäufelchen" am Strand, die "aufgehängten Trikots" (von Müttern reihum gewaschen) oder "Das Geheimnis des Kartoffelsalats", bewahrt in einer alten Schüssel.

Sascha Falk sprach es an: Walle Sayers Lyrik ist auch ein Postament des "Anrührigen". Es offenbare sich in den "Grabbeigaben", sichtbar gemacht in einer Museumsvitrine, oder dem "Suchbild", das die Sorge der Eltern um die Tochter auf Weltreise aufgreift. Der fünfte Zyklus in "Mitbringsel" ist dem Andenken Walle Sayers verstorbenen Vater gewidmet. In dreizehn Texten verdichten sich Erinnerungen, die unter Sachlichkeit viel Anteilnahme und Zuwendung erahnen lassen, zu einem plastischen Lebenslauf. Auch sie belegen, dass es Sayers aufs Äußerste verknappte Diktion schafft, dem Leser einen ganzen Kosmos zu erschließen.

Den Einband der Gedichtesammlung "Mitbringsel" ziert ein Tempera-Gemälde des Freudenstädter Malers Ewald Walz, 2012 verstorben, mit dem Titel "Verschachtelt" aus dem Jahr 1990.

Das Buch: Walle Sayer, Mitbringsel, Gedichte, Verlag Klöpfer, Narr, Tübingen, 2019, 121 Seiten, Hardcover, 20 Euro.