"critical mass": Eine weltweite Bewegung fasst in Freudenstadt Fuß. "Wir wollen niemand provozieren".
Freudenstadt - "Klingeln statt hupen", dieses Motto gilt seit diesem Frühjahr jeden ersten Montag im Monat in Freudenstadt. Menschen, die gerne mit dem Fahrrad unterwegs sind, treffen sich und radeln gemeinsam los – einfach aus Spaß und um zu zeigen, dass Radfahrer auch zum Verkehrsgeschehen gehören.Wie in vielen Städten auf der ganzen Welt hat sich auch in Freudenstadt eine "critical mass" gebildet. So heißt laut Wikipedia eine Aktion, "bei der sich mehrere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um mit gemeinsamen und unhierarchischen Fahrten durch Innenstädte, ihrer bloßen Menge und dem konzentrierten Auftreten von Fahrrädern auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam zu machen."
Felix Funk (31) wohnt in Freudenstadt, ist Sportwissenschaftler und laut eigenem Bekunden ein "Rad-Enthusiast". Er war im Internet auf die "critical mass" aufmerksam geworden und hatte die Idee, auch in Freudenstadt solch eine Aktion anzuregen. Das gelang ihm mittels kleinen Handzetteln und selbst geklebten Plakaten, einer Menge Mund-zu-Mund-Propaganda und per E-Mail auf Anhieb.
Am ersten Montag im Mai kamen spontan um die 35 Radler zum Rathaus. Am 2. Juni waren es trotz regnerischen Wetters immerhin etwa 25 Teilnehmer. "Es gibt keine festgelegte Route", erklärt Felix Funk. Derjenige, der gerade an der Spitze der Gruppe fährt, bestimmt, wo es lang geht. Hintergrund der Aktion ist, dass die Radler zeigen wollen, dass die Straße nicht nur den Autofahrern gehört. "Es ist aber kein Protest", darauf legt Felix Funk großen Wert. Ab 16 Personen dürfen sich Radfahrer zu einem Verband zusammenschließen und müssen nicht einzeln hintereinander fahren.
Das nutzen die "critical mass"-Teilnehmer aus. "Doch wir wollen niemand provozieren", sagt Funk. Die Radler sehen sich als Verkehrsteilnehmer mit Rechten, aber auch mit Pflichten. So ist jeder Teilnehmer dafür verantwortlich, dass sein Drahtesel verkehrstauglich ist.
Beim Radeln durch die Stadt gelten für einen Verband von Radlern ein paar besondere Regeln. Dazu gehört, dass wenn der erste Radler der Truppe bei Grün eine Ampel passiert, auch der Rest des Pulks durchfahren darf, auch wenn die Ampel dazwischen auf Rot springt. Autofahrer dürfen den Verband auch nicht sprengen, sondern nur dann überholen, wenn sie an der gesamten Gruppe vorbeikommen. Somit müssen sich Autofahrer unter Umständen dem Tempo der Radler anpassen.
Dass das nicht jedem passt, ist klar. "Doch hupende Autofahrer gibt es eigentlich selten", sagt Funk. "Das Ganze ist sehr kommunikativ", weiß er, und stoße überwiegend auf positive Resonanz. Manchmal bekomme die Gruppe sogar Applaus von Fußgängern.
Gefahren wird nur in der Kernstadt von Freudenstadt. Das ist der Zweck der "critical mass". "Man kommt ins Gespräch und fühlt sich im Verband auch sicher", schildert Funk seine Empfindungen.
Auch zahlreiche Kinder sind bei den Radelterminen dabei. "Das ist schon fast grenzwertig", sagt Felix Funk. Denn für Kinder sei das Fahren in einem großen Verband nicht ungefährlich. Die "critical mass" sei primär keine Kinderveranstaltung.
Felix Funk ist bisher mit der Resonanz sehr zufrieden. Wenn an den weiteren vier Terminen in diesem Jahr jedes Mal über 16 Radler kommen, hat er sein Ziel erreicht. In Stuttgart starten bei den einzelnen Terminen jeweils um die 300 Fahrradfahrer. Sie benutzen aber stets die gleiche Strecke, die inzwischen sogar von der Polizei abgesichert wird. Das wollen die Freudenstädter Radler nicht. Sie gondeln gemütlich durch die Innenstadt und an mancher Kreuzung wird gerne mal geklingelt statt gehupt.
Weitere Informationen: Teilnehmer an der "critical mass" treffen sich jeden ersten Montag im Monat um 18.30 Uhr auf dem Marktplatz beim Rathaus. Die weiteren Termine in diesem Jahr sind am 7. Juli, 4. August, 1. September und 6. Oktober.