Soziales: Kreisjugendamt hat alle Hände voll zu tun / Verunsicherte Kinder und überforderte Eltern

Viel Kummer hinter Haus- und Wohnungstüren: Dem Kreisjugendamt Freudenstadt wurden voriges Jahr 426 Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung gemeldet. 134 Mal bestätigte sich aus Sicht der Behörde, dass etwas richtig im Argen liegt. Aber auch gesellschafltiche Umbrüche bringen viel Kummer und Arbeit mit sich.

Kreis Freudenstadt. Das geht aus dem Bericht hervor, den Jugendamstleiterin Charlotte Orzschig dem Jungendhilfeausschuss vorlegte. Demnach sei die Behörde allen Verdachtsfällen nachgegangen. Rund 400 Mal gaben andere Institutionen oder die Bevölkerung einen Hinweis. Bei den anderen Fällen kamen Mitarbeiter des Jugendamts darauf, dass es ernsthafte Probleme gibt. Bei 65 Kindern wurde die Behörde aktiv, obwohl die betreffenden Familien bereits vom Jugendamt betreut werden. In 101 Fällen leitete das Amt nach einer festgestellten Kindeswohlgefährdung "Hilfe zur Erziehung" ein. Um 55 Kinder aus 36 Familien zu schützen, wurde das Familiengericht angerufen. Die Zahl der Strafanzeigen stieg auf neun. 51 Kinder wurden behördlich in Obhut genommen.

Familienkrisen haben verschiedene Ursachen. Ein großes Problem stellen Trennungen oder Scheidungen von Eltern dar. Rund 280 solcher Fälle betreute das Jugendamt im vorigen Jahr. Was auffalle: Der Beratungsaufwand im einzelnen Problem-Trennungsfall steige. Orzschig führt dies auch auf eine "allgemeine Erziehungsunsicherheit von Eltern" zurück.

Um hier gegenzusteuern, bietet das Jugendamt verschiedene Hilfen an. Vier Familien erhielten beispielsweise Nachsorge von Hebammen über die normale Zeit hinaus. 239 Familien erhielten Unterstützung von der Interdisziplinären Frühförderstelle, um Kindern im Bedarfsfall medizinische, therapeutische oder heilpädagogische Unterstützung zukommen zu lassen. Werdende und frischgebackene Eltern wurden in 18 Kursen auf ihre Rolle vorbereitet. Trotzdem gab es fünf stationäre Aufnahmen, weil junge Mütter mit der Versorgung ihrer Babys überfordert waren. Fünf Familien erhielten Hilfe in Notsituationen. Viel Aufwand bringt auch die Jugendgerichtshilfe mit sich. 2018 kamen 14 Mal Kinder und 705 Mal Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt. Es ging meist um Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Drogendelikte, letztere Kategorie sei mit 111 Anzeigen "auffallend hoch". Das Jugendamt wertet die hohe Zahl als Beleg dafür, dass Polizei und Justiz zügig arbeiten. Offenbar gibt es viele Wiederholungstäter. "Manchmal hat man schon den Eindruck, man könnte das Geld auch gleich vergraben", so Orzschig. Sie und Richter Rainer Frank vertraten aber die Auffassung, dass manche Jugendliche länger brauchen, um in die Spur zu kommen. Die Gegenfrage ohne Antwort müsse lauten: Wie würden sich Problemfälle ohne Hilfe entwickeln?

Das Jugendamt geht davon aus, dass die Jugendhilfe weiterhin alle Hände voll zu tun hat. Dies entspreche einem bundesweiten Trend. Das Amt sieht zwei Zusammenhänge: der Zuzug von Familien aus dem Ausland mit ihren Problemen und dem Kulturschock sowie die "Individualisierung der Gesellschaft" mit Trend zur Abkehr von klassischen Familienmodellen und dem Zerfall dörflicher Gemeinschaften. Behörden und Schulen müssten sich auf mehr Problemfälle und "Systemsprenger" einstellen.