Sind guter Dinge für den Landkreis Freudenstadt: Hartmut Keller (links) und Christopher Hermann. Foto: Rath Foto: Schwarzwälder Bote

Gesundheit: AOK-Spitze sieht Freudenstadt mit aktuellen Konzepten auf dem richtigen Weg

Kreis Freudenstadt. Die medizinische Versorgung im ländlichen Raum steht vor einem Umbruch. Aber der Kreis Freudenstadt ist auf dem richtigen Weg. Zu dieser Einschätzung kommen Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, und Hartmut Keller, Geschäftsführer der AOK Nordschwarzwald.

Der Kreis Freudenstadt steigt jetzt ein in den Umbau des Krankenhauses in Freudenstadt. Ist das der richtige Weg?

Hermann: Das ist der richtige Weg. Die Region braucht ein starkes Krankenhaus, die Wege sind weit im Kreis. Mit rund 250 Betten bekommt das Haus eine Größe, die trägt. Spezialisten, Wirtschaftlichkeit und Personalgewinnung – das bekommt ein kleines Haus schon heute kaum noch hin. Die Hälfte der Krankenhäuser im Land hat maximal 100 Betten. Sie werden sich kaum halten können, nur wenn sie sich spezialisieren.

Ein Haus zu schließen, damit tun sich Kreistage sehr schwer, aus kommunalpolitischen Gründen. Der Kreis Calw versucht es mit zwei Standorten. Kann das funktionieren?

Hermann: Diese Diskussionen um Standorte gibt es immer wieder. Wir sind froh, wenn sie geführt werden. Die Frage ist, ob eine Entscheidung für mehrere Standorte in zehn bis 15 Jahren noch trägt. Die Situation im Kreis Calw muss man innerhalb des Klinikverbunds Südwest sehen. Das Konzept mit dem Neubau in Calw und der Sanierung in Nagold kann funktionieren, wenn sich die Häuser innerhalb des Verbunds spezialisieren.

Trotzdem wird dort die Zentralklinik wieder ins Spiel gebracht. Und auch in Freudenstadt ebbt die Diskussion im Kreistag nicht ab, ob der jetzt eingeschlagene Weg der beste sei.

Keller: Wir unterstützen das Modell im Kreis Freudenstadt. Wenn nach Jahren mal eine Entscheidung getroffen ist, so wie in Freudenstadt, dann sollte man diese auch umsetzen und die Debatte nicht ewig führen. Man sieht ja: Für Horb ist schon jetzt kein Arzt mehr von auswärts zu bekommen. Medizinstudenten suchen sich ganz genau aus, wo und wie sie ausgebildet werden wollen. Auch dieser Aspekt muss in der Diskussion berücksichtigt werden.

Die Trägergesellschaft Krankenkhäuser Landkreis Freudenstadt schreibt trotz aller Sparbemühungen weiter tiefrote Zahlen. Wird das besser?

Hermann: Das Haus in Freudenstadt ist rein architektonisch unwirtschaftlich. Die Wege sind ewig lang. Da bleibt tatsächlich viel auf der Strecke. Die Effizienz der Abläufe wird sich durch den Teilneubau deutlich steigern.

Auch die AOK verändert sich bald räumlich in Freudenstadt. Was ist geplant?

Keller: Auf dem Areal am Stadtbahnhof hat sich eine Möglichkeit ergeben, die uns gut zupass kommt. Das bestehende Kundencenter bleibt am bisherigen Standort, das Gesundheitszentrum zieht dann in ein bis zwei Jahren um. Wir werden dort als Mieter auftreten. Das bisherige Angebot, beispielsweise mit Rückenschule und Ernährungsberatung, soll erhalten und weiter ausgebaut werden. Dafür fehlt uns am jetzigen Standort der Platz.

Wie gut funktioniert die neue Pflegeversicherung?

Hermann: Das klappt sehr gut, aber wir haben damit alle Hände voll zu tun. Die neuen fünf Pflegegrade sind viel feingliedriger und werden dem zu Pflegenden in seiner ganz persönlichen Situation viel gerechter als die früheren drei Pflegestufen. Die Zahl der zu Pflegenden, die Leistungen in Anspruch nehmen, ist dadurch sprunghaft gestiegen, im Kreis Freudenstadt von 2900 auf 3700. Der Beratungsbedarf für die Angehörigen und die zu Pflegenden ist enorm. Ein Laie kann das nicht mehr überschauen, er braucht professionelle Beratung. Wir haben unsere Mitarbeiterzahl deutlich aufgestockt, jeder Berater investiert 400 Fortbildungsstunden.

Wie geht es ihrer Einschätzung nach weiter mit der Hausarzt-Versorgung im ländlichen Raum?

Hermann: Jeder dritte Hausarzt im Land ist über 60 und wird in wenigen Jahren seine Praxis aufgeben. Die flächendeckende Versorgung zu erhalten, ist ein Kraftakt, bei dem alle Beteiligten an einem Strang ziehen müssen. Wir als Kasse haben Mitverantwortung. Dazu gehören jedoch auch die Kassenärztliche Vereinigung, das Land, der Landkreis, die Kommunen. Es gibt keine Patentrezepte, es müssen regional passende Lösungen gefunden werden. Die Regio-Praxis in Baiersbronn hat sich toll entwickelt, und als verlässlicher Ankermieter tragen wir als AOK dazu bei, den Standort zu sichern. Insgesamt ist der Kreis Freudenstadt mit der Regionalen Gesundheitskonferenz auf einem guten Weg.

Wie wird die Versorgung im Kreis in zehn Jahren sein?

Keller: Hervorragend. Die Wege werden für den Einzelnen vielleicht etwas länger sein. Die Digitalisierung wird Verbesserungen bringen, wenn der Hausarzt vor Ort mit dem Patienten in Kontakt steht, er in der Diagnostik und Therapie jedoch online von einer Uniklinik unterstützt wird. Was wir im Kreis Freudenstadt ebenfalls angehen müssen, ist die fachärztliche Versorgung, etwa mit Gynäkologen oder Hautärzte. Dafür müssen Facharztzentren geschaffen werden. Die AOK unterstützt das.

Die AOK Nordschwarzwald gibt es jetzt seit zehn Jahren, die Zahl der Versicherten stiegt. Woher kommt das Wachstum? Die Einwohnerzahl stagniert ja eher.

Keller: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unsere Haus- und Facharztverträge spielen da sicher eine Rolle. Es ist sicher auch durch die Verlässlichkeit der AOK bedingt. Wichtig ist: Wir sind vor Ort, und wir bleiben vor Ort. Individuelle Gesundheitsfragen sind mittlerweile oft so komplex, dass sie nicht per Internet oder Telefon geklärt werden können. Wenn es notwendig ist und gewünscht wird, beraten wir unsere Versicherten auch zu Hause. Das sind unsere Stärken.

 Die Fragen stellte Volker Rath