"Auch meine persönliche Welt wird nach der Corona-Pandemie sicher nicht dieselbe sein wie zuvor": Landrat Klaus Michael Rückert. Foto: Landratsamt

Klaus Michael Rückert: "Werden den Herausforderungen gewachsen sein." Der größte Druck in neun Jahren im Amt.

Freudenstadt - Jede Entscheidung wird verfolgt und kommentiert, hat direkte Auswirkungen auf den Kreis – auch die, die nicht getroffen werden. Klaus Michael Rückert steht in der Corona-Krise unter Dauerstress. Er spürt nach eigener Einschätzung die Verantwortung im Amt "in einer Stärke und mit einem Druck" wie nie zuvor in seiner rund neunjährigen Zeit als Landrat. Wo steht der Kreis im Moment? Auf welcher Grundlage werden Beschlüsse gefällt? Wie geht es weiter? Er nahm sich die Zeit für ein längeres Interview.

Newsblog zur Ausbreitung des Coronavirus in der Region

Herr Rückert, auch an Sie die derzeit meistgestellte Frage: Wie geht es Ihnen?

Diese Frage ist in der momentanen Zeit nicht mit einem Wort oder einem Satz zu beantworten. Ich versuche es aber einmal: Ganz persönlich bin ich sehr dankbar dafür, dass meine Familie gesund ist und mir die Kraft geschenkt wird, meinen Aufgaben nachzugehen. In meiner Funktion als Landrat spüre ich die mir übertragene Verantwortung in einer Stärke und mit einem Druck, wie ich es trotz mancher schon gemeisterten Herausforderungen in meiner bisherigen Amtszeit noch nicht gekannt habe. Für viele wichtige Entscheidungen trage ich die letzte Verantwortung. Aber auch hier bin ich dankbar, von einem Team hochengagierter und kompetenter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgeben zu sein. Alles in allem trägt mich die Zuversicht, dass wir den Herausforderungen hier im Landkreis Freudenstadt gewachsen sind und auch in den nächsten Wochen gewachsen bleiben werden.

Haben Sie sich schon auf Corona testen lassen?

Nein, dazu bestand bisher kein Anlass.

Wie stufen Sie derzeit die Gefahrenlage im Landkreis Freudenstadt ein?

Die Gefahrenlage im Landkreis entspricht der im ganzen Land Baden-Württemberg. Wir müssen alles daransetzen, dass die Ausbreitung des Coronavirus weiter verlangsamt wird, und deshalb kommt es auf jede Mitbürgerin und jeden Mitbürger an. Daher wiederholt mein dringender Appell: So schwer es manchmal fallen mag – halten Sie sich bitte unbedingt an die Regeln, die derzeit gelten. Dies ist der Schlüssel dazu, die Krise gemeinsam zu überwinden und dies ist auch die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Einschränkungen in nicht allzu ferner Zeit wieder gelockert werden können.

Es werden auch Stimmen laut die besagen, Corona sei nicht schlimmer als eine gewöhnliche Grippewelle, die Jahr für Jahr viele Menschenleben koste, wovon aber kaum jemand Notiz nehme. Die Folgen der Einschränkungen für Wirtschaft und Bevölkerung seien härter als das Virus selbst. Was sagen Sie den Skeptikern?

Ich selbst bin weder Arzt noch Virologe. Ich stehe aber in ständigem Kontakt zu unserem Leiter des Gesundheitsamts, zum ärztlichen Direktor unseres Krankenhauses sowie zu außerordentlich engagierten niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten im Landkreis. Deren Einschätzungen und die Veröffentlichungen von Virologen zeigen, dass wir es mit einer ganz anderen Dimension als bei einer sonstigen Grippewelle zu tun haben. Wer die Augen nicht verschließt, muss das erkennen: Die Ausbreitung des Virus verläuft rasant, wenn keine Schutzvorkehrungen getroffen werden. Nachbarländer von uns melden, dass die dortigen Gesundheitssysteme maximal überlastet sind. Bei uns haben wir alles darangesetzt, Beatmungskapazitäten zu verdoppeln. Dies war bei einer "gewöhnlichen" Grippewelle noch nie erforderlich. Die Einschränkungen für die Bevölkerung sind hart, die Auswirkungen auf die Wirtschaft dramatisch. Auch ich habe Sorge, ob alle Betriebe im Kreis diese Situation überleben werden. Ich bin aber sicher, dass staatliche Hilfe und vor allem die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung dafür sorgen werden, dass die Auswirkungen schnellstmöglich überwunden sein werden.

An welchen Vorkehrungen arbeiten Sie und Ihr Stab derzeit?

Mit meinem Corona-Stab arbeite ich aktuell daran, hinreichend Schutzkleidung in den Landkreis zu bekommen. Da Bundes- und Landeslieferungen bisher nur schleppend anlaufen, haben wir selbst Schutzausrüstungen bestellt und aus ersten Bestellungen bereits Verteilungen vornehmen können. Darüber hinaus unterstützen wir das Krankenhaus in der Zusammenarbeit mit Rehakliniken, um dort zusätzliche Bettenkapazitäten zu schaffen. Auch treffen wir Vorkehrungen, wie wir eine deutlich ansteigende Anzahl stationärer Patienten versorgen können. Außerdem hat der Landkreis die Errichtung der Infektpraxis nicht zuletzt finanziell massiv unterstützt und hat für die verschiedenen Verwaltungsaufgaben in dieser Pandemiezeit entsprechende schlagkräftige Teams innerhalb des Landratsamts gegründet. Weiterhin arbeiten wir daran, die volle Handlungsfähigkeit des Landratsamtes aufrechtzuerhalten, was uns bisher auch gut gelungen ist.

Wer gehört dem Krisenstab an, und wie oft tagt er?

Dem von mir geleiteten Stab gehören mein Stellvertreter und Vize-Landrat Reinhard Geiser sowie die Dezernentin und der Dezernent, Kolleginnen und Kollegen der Stabsstelle Kommunikation und Kreisentwicklung und des Kommunalamts, die Leiter des Gesundheitsamts und der Personalverwaltung sowie Vertreter der Katastrophenschutzbehörde an. Wir tagen mindestens einmal am Tag.

Über welche Quellen halten Sie sich auf dem Laufenden, um die Grundlagen für Entscheidungen zu sammeln?

Wie bereits gesagt, sind wichtige Entscheidungsgrundlagen die Einschätzungen der bei uns im Landkreis tätigen Mediziner. Darüber hinaus bekommen wir über unsere Dachorganisation, den Landkreistag Baden-Württemberg, viele erforderlichen Hinweise und Informationen. Schließlich sind die Ministerien, insbesondere das Innen- und Sozialministerium, mit ihren Hinweisen und Verordnungen für uns bindend. Und auch die baden-württembergische Krankenhausgesellschaft ist gerade in dieser Situation ein wichtiger Partner.

Wenn Sie jenen denkwürdigen Freitag vor rund drei Wochen ins Gedächtnis rufen, als die Krise in der öffentlichen Wahrnehmung ankam: Was blieb Ihnen im Gedächtnis haften?

An diesem Freitag bin ich mit allen Oberbürgermeistern, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern des Landkreises zusammengesessen. Wir haben weitreichende Entscheidungen getroffen wie beispielsweise den Appell, nicht nur Veranstaltungen, sondern sogar Gottesdienste ab sofort nicht mehr stattfinden zu lassen.

Die Ärzteschaft lobt Sie für den Mut, Einschränkungen schneller als andere umzusetzen, etwa die Schulen sofort zu schließen und nicht erst einen Tag später wie fast alle anderen Kreise im Land. Wann und in welchem Moment fiel diese Entscheidung?

Diese Entscheidung habe ich am Samstag um die Mittagszeit getroffen, als die Zahl der Infizierten im Landkreis von zwei auf zehn hochgeschnellt ist und nachdem ich mich mit dem Leiter des Gesundheitsamtes, einigen niedergelassenen Ärzten und meinem Stellvertreter Reinhard Geiser beraten hatte.

Haben Sie dafür Kritik hinnehmen müssen oder gar zwischenzeitlich an dieser Entscheidung gezweifelt?

Ich habe für diese Entscheidung durchaus auch Kritik einstecken müssen. Ich bin aber heute, wie auch zum Zeitpunkt der Entscheidung, der festen Überzeugung, dass diese richtig und dringend erforderlich war.

Die Stürme vor ein paar Wochen hatten ja schon einmal zu Schulschließungen geführt, wenngleich in sehr viel kleinerem Ausmaß. Damals wurde als Manko empfunden, dass es kein einheitliches Vorgehen der Städte und Gemeinden im Landkreis gebe und keine durchgängige Kommunikation. Ist das Problem seither gelöst?

Bei den Stürmen "Sabine" und "Bianca" war die Situation völlig anders. Die Auswirkungen waren in den einzelnen Kreisgemeinden sehr unterschiedlich. Aber dennoch haben die Bürgermeister und ich versucht, sehr kurzfristig eine möglichst der jeweiligen Gemeinde angepasste Lösung zu finden. Da eine Kreiszuständigkeit damals nicht gegeben war, konnte meine Entscheidung daher nur die kreiseigenen beruflichen Schulen und die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren betreffen. Beim Thema Schulschließung wegen Corona konnte ich auf eine Zuständigkeit des Landkreises nach dem Infektionsschutzgesetz zurückgreifen und habe für den gesamten Kreis entschieden.

Für eine Nachbereitung ist es sicher noch ein bisschen früh. Aber gibt es schon Punkte, von denen Sie sagen: Das muss nach der Krise anders werden, da war das System schlecht vorbereitet?

Für eine Nachbereitung ist es ganz sicher deutlich zu früh. Ich bin aber schon heute überzeugt, dass wir eine intensive Debatte über die Bevorratung von Materialien, insbesondere medizinischer Schutzausrüstung, und über die erforderliche Anzahl von Betten, insbesondere Intensivbetten und Beatmungsplätzen, deutschlandweit führen werden.

Was glauben Sie, wann im Kreis Freudenstadt wieder so etwas wie Normalzustand eintritt?

Ich wäre sehr dankbar, wenn ich hierauf eine verlässliche Antwort geben könnte. Optimistisch stimmt mich derzeit, dass offensichtlich die Anzahl der Erkrankungen auch bundes- und landesweit verlangsamt werden konnte. Ich hoffe sehr, dass wir in nicht allzu langer Zeit wieder so etwas wie einen Normalzustand erleben dürfen. Dies ist aber eine Frage, die zumindest landesweit, wenn nicht gar bundesweit zu entscheiden ist. Und wie gesagt: auch abhängig von uns allen ist.

Eine persönliche Frage zum Abschluss: Wird die kleine Welt, die im Nordschwarzwald und die des Klaus Michael Rückert ganz persönlich, danach dieselbe sein wie zuvor?

Auch meine persönliche Welt wird nach der Corona-Pandemie sicher nicht dieselbe sein wie zuvor. So eine Phase werden auch meine Familie und ich nicht so schnell vergessen. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass der Landkreis Freudenstadt auch in Zukunft ein lebenswerter und liebenswerter Kreis sein wird, in dem zu leben und zu arbeiten eine ganz besondere Freude ist. Wir werden weiter großartige mittelständische Wirtschaftsunternehmen in Handwerk, Industrie und Landwirtschaft haben. Wir werden weiterhin ein großartiger Tourismusstandort sein. Meine Familie und ich werden uns hier weiterhin außerordentlich wohl fühlen, und für mich wird es auch in Zukunft eine Ehre sein, gerade in diesem Landkreis als Landrat Verantwortung tragen zu dürfen.