Chirurg Ernst Stöhr (links) und der Vorsitzende des Ärztenetzes, Matthias Kraft Foto: Oehler

Ernst Stöhr und Matthias Kraft sprechen über Schließung. Langjährige Suche erfolglos.

Freudenstadt - Die chirurgische Praxis von Ernst Stöhr und Bernd Wittner ist seit vergangener Woche geschlossen. Ein Nachfolger konnte bislang trotz intensiver, langjähriger Suche nicht gefunden werden. Damit gibt es in Freudenstadt keinen ambulanten Chirurgen mehr. Wir haben mit Ernst Stöhr und Matthias Kraft, Vorsitzender des Ärztenetzes Kreis Freudenstadt, über die schwere Suche nach Nachfolgern, die medizinische und chirurgische Versorgung in Freudenstadt und mögliche Lösungsvorschläge für die Zukunft gesprochen.

Herr Stöhr, Sie haben vergangene Woche Ihre Praxis geschlossen, ohne einen Nachfolger gefunden zu haben. Warum?

Stöhr: Wir haben die Praxis aus Altersgründen geschlossen. Mein Kollege Bernd Wittner wird 65, ich selbst bin 68 und reif für die Rente. Zudem lief der Mietvertrag für die Praxis-Räume im Facharztzentrum aus.

Nach der Schließung der Praxis von Herbert Sieber Ende Mai, waren Sie und ihr Kollege die letzten ambulanten Chirurgen in Freudenstadt. Viele Patienten fragen sich nun bestimmt: Warum macht er dann nicht weiter?

Stöhr: Mir ist diese Entscheidung auch sehr schwer gefallen. Ich bedauere sehr, dass wir die Praxis, in die ich seit 1999 viel Engagement und Kraft investiert habe, nun schließen müssen. Wir haben zusammen mit unseren Mitarbeiterinnen die Hoffnung gehabt, dass sich bei den optimalen Voraussetzungen ein Team von qualifizierten Nachfolgern findet, um die Praxis weiterzuführen. Wir beide waren uns einig, dass es vor oder zum Ablauf des Mietvertrags Zeit ist, die Praxis aus Altersgründen gemeinsam zu übergeben.

Alleine Weitermachen ist keine Möglichkeit?

Stöhr: Nein, die Praxis war immer schwerpunktmäßig operativ ausgerichtet und kann nur von zwei Ärzten in Vollzeit wirtschaftlich betrieben werden. Wir haben ja das ganze Spektrum von der Allgemeinchirurgie bis zur Unfallchirurgie abgedeckt: von der Hernienchirurgie über die arthroskopische Gelenkchirurgie am Knie und der Schulter bis zur Hand- und Fußchirurgie. Dafür haben wir in der Praxis im Facharztzentrum optimale räumliche Arbeitsbedingungen mit modernsten OP-Einrichtungen geschaffen.

Und einen Nachfolger haben Sie nicht gefunden?

Stöhr: Schon vor dem Einstieg von Bernd Wittner 2014 haben wir lange gesucht. Sein Einstieg damals war ein wahrer Glücksfall. Seit mehr als fünf Jahren bemühen wir uns nun, eine Nachfolgeregelung zu finden. Bundesweit haben wir zahlreiche Anzeigen geschaltet und vier Agenturen mit Headhuntern auf die Suche geschickt – leider ohne Erfolg. Einige Male stand zwar eine Einigung kurz bevor, diese Hoffnungen haben sich aber alle wieder zerschlagen.

Woran liegt es, dass sich die Suche so schwer gestaltet?

Kraft: Studien in Fachzeitschriften zeigen, immer weniger Ärzte wollen wohl freiberuflich in einer eigenen Praxis arbeiten. Die jungen Kolleginen und Kollegen ziehen eine angestellte Tätigkeit vor. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern besser geworden sind. Zu unserer Zeit herrschte da noch eine andere Mentalität. Wir wollten damals möglichst schnell selbstständig werden.

Stöhr: Zudem wird die Medizin auch immer weiblicher. Das ist auf der einen Seite natürlich eine gute Entwicklung. Aber während im Studium die Frauen deutlich dominieren, kommen aus verschiedenen Gründen, wohl vor allem aus familiären Gründen, weniger Ärztinnen tatsächlich im Beruf an. Weiterhin konzentrieren sich Ärzte eher in den großen Städten. Und wenn sich ein interessierter Arzt findet, gibt es oft Schwierigkeiten, weil ihm die Ehefrau wegen ihrer beruflichen Bindungen nicht in die Provinz folgen will.

Herr Kraft, was bedeutet diese Situation ohne chirurgische Praxis für die Patienten in Freudenstadt und Umgebung?

Kraft: Früher hatten wir in Freudenstadt eine ambulante Versorgung, die hervorragend funktioniert hat. Man kannte sich untereinander. Da haben natürlich zuallererst die Patienten davon profitiert. Nun, mit dem Wegfall der chirurgischen Praxen, fehlt dieser Fachbereich ambulant. Knackpunkt ist da auch die Qualifikation als Durchgangs-Arzt. Nur ein D-Arzt darf im Auftrag der Berufsgenossenschaft Arbeits- und Schulunfälle behandeln, begutachten und weiterleiten.

Wo schicken Sie die Patienten dann hin?

Kraft: In Freudenstadt hat inzwischen nur noch Krankenhaus-Chefarzt Benjamin König die Qualifikation als D-Arzt. Wir Hausärzte müssen die Patienten also alle über die Notfallambulanz dorthin schicken. Da muss es gezwungenermaßen zu Engpässen und langen Wartezeiten kommen.

Gibt es noch eine Möglichkeit, dass Chirurgen in der Praxis im Facharztzentrum wieder die Arbeit aufnehmen?

Stöhr: Die Praxis bleibt vorerst komplett eingerichtet und wird über die Kassenärztliche Vereinigung noch mal neu für sechs Monate ausgeschrieben. Wir hoffen sehr, dass sich dann doch noch eine Nachfolgemöglichkeit findet. Eventuell wird von externer Seite an die Einrichtung eines medizinischen Versorgungszentrums mit personeller Unterstützung durch das Krankenhaus gedacht. Falls jedoch keine konkrete Nachfolge zustande kommt, sollte sich das Krankenhaus im Sinne einer qualifizierten Patientenversorgung unseres Erachtens nochmals ernsthaft überlegen, sich selbst aktiv bei der Organisation der ambulanten Chirurgie zu engagieren.

Zumal alle nötigen Strukturen in der Praxis vorhanden sind. Bei Bedarf bin ich auch bereit, in einer Übergangsphase mich zeitweise selbst einzubringen. Kraft: Wir vom Ärztenetz hoffen natürlich auch, dass die Struktur wiederbelebt wird und dass wieder eine ambulante chirurgische Versorgung gewährleistet ist. Man muss vorsichtig sein, sollten solche Strukturen endgültig wegbrechen. Eine wohnortnahe Versorgung hat ja auch immer eine hohe Bedeutung für den Landkreis.