Der erste Ansatzpunkt im Quartiersgedanken: Das Haus in der Moosstraße. Auch die darum liegende Stadtecke bietet sich für die Bürgeraktion als Quartier an. Es gibt leere Plätze, langweilige Hochhäuser, aber mit der angrenzenden Lebenshilfe auch einen ersten sozialen Akteur und Multiplikator. Foto: Eberhardt

Quartiersgedanke ist da, nun hält die Partei Ausschau nach einem idealen Platz innerhalb der Stadt.

Freudenstadt - Leben in kleinräumigen Strukturen, selbstständig und doch in sozialen Netzen, miteinander statt nebeneinander. Für dieses Wohnkonzept gibt es einen Namen: das Quartier. Und es gibt einen wachsenden Bedarf – meint die Bürgeraktion (BA). Die BA möchte die Entwicklung eines Quartierskonzepts anstoßen. Schon seit Längerem macht sie sich dafür stark. Freudenstadt braucht ein Quartierskonzept, erklären die Fraktions-Mitglieder des Gemeinderats im Gespräch mit unserer Zeitung. "Anders werden wir den demografischen Wandel nicht in den Griff bekommen", meint BA-Stadträtin Elisabeth Gebele.

In einem Quartierskonzept wohnen die Bürger nicht mehr nach Planprinzip in Reihenhäusern oder abgegrenzten Wohnsiedlungen geordnet. Stattdessen entwickeln sich stadtgebietsweise autonome Strukturen, wie sie bis heute auf den Dörfern existieren. Dort vermischen sich Generationen und Gesellschaftsschichten nicht nur sozial, sondern auch wohnraumtechnisch. Gleichzeitig besteht ein Bewusstsein der gegenseitigen Verantwortung und Fürsorge. Junge Menschen und Familien finden dort heimelige Strukturen, der Vereinsamung wird vorgebeugt, und ältere Menschen können ihre Selbstständigkeit in dem stabilen sozialen Netzwerk im Idealfall bis zum Lebensende bewahren.

Wiedererwecken des Miteinanderlebens

In Ballungsräumen ist das Konzept schon lange im Einsatz. Oft, um degenerierende Stadtviertel wieder auf die Beine zu bringen. Anstoß für die Initiative der Bürgeraktion war hingegen der Widerstand im Neubaugebiet Kohlstätter Hardt, als dort gegen die Ansiedlung einer Sozialeinrichtung protestiert wurde. "Uniformisierung", beschreibt Elisabeth Gebele das Klima solch abgezirkelter Wohnsiedlungen, wo an der Bebauungsplangrenze oft auch die gesellschaftliche Diversität endet. Für eine kurze Zeit ist eine solche Idylle attraktiv, doch häufig gibt es wenig soziale Treffpunkte, der nächste Laden liegt weit entfernt, irgendwann folgen die ersten Leerstände. Quartierskonzept heißt daher auch: Städtebaulich müssen Voraussetzungen für das Wiedererwecken des Miteinanderlebens geschaffen und durch eine lebensbedarfsgerechte Infrastruktur ergänzt werden.

"Architektur ist wichtig", erklärt BA-Fraktionssprecherin Bärbel Altendorf-Jehle. Dazu gehören offene Gebäudestrukturen und Integration der Natur, aber auch Straßen, auf denen nicht nur Autos, sondern auch Rollator und Bobby-Car Raum haben. Ein solches Konzept braucht Zeit, um sich zu entwickeln und Anlaufzentren, aus denen heraus das Prinzip wachsen kann. Das Haus in der Moosstraße 5 war hierbei für die Bürgeraktion ein idealer Kandidat, bis dieser Traum an der Gebäudesubstanz scheiterte. Ein Rückschlag ist es für die Initiative nicht, denn Quartiersarbeit muss ohnehin aus dem Sozialraum heraus wachsen. Normalerweise bestehen dabei erst Probleme und dann wird das Konzept zur Hilfe eingesetzt. "Wir zäumen das Pferd aber von hinten auf", meint Elisabeth Gebele.

Der Quartiersgedanke ist da, nun will man schauen, wo dieser den idealen Platz finden könnte. Eine Vision ist in Gebeles Kopf schon vorhanden: Die Stadt kauft eine Ecke mit einigen Reihenhäusern und entwickelt daraus das erste Quartier. Dass es sich längst nicht mehr um idealistische Gedankenspiele handelt, zeigt sich auch am Marschplan der Initiative. Von der Stadtverwaltung wurde mittlerweile der Besuch des Franzosen-Viertels in Tübingen, einem Vorzeige-Objekt in Sachen Quartierskonzeption, zugesichert; inklusive Austausch mit einem Quartiersmanager. "Wir wollen Inspirationen für den Gemeinderat", erklärt Bärbel Altendorf-Jehle. "Wie man anfängt, wie man die Bevölkerung aktiviert und welche Probleme es geben kann." Denn Quartierskonzepte sind kompliziert, stadtplanerisch Chaos statt Kosmos – und für die Verwaltung daher oft ein Hemmnis, wie Walter Trefz meint: "Solche Strukturen sind nicht kontrollierbar." Dabei soll der Verwaltung durchaus eine aktive Rolle zukommen: nämlich Prozesse lenken und steuern. Überdies bieten Quartiere weitere Chancen. "Es sind Mischgebiete", erklärt Elisabeth Gebele. Wie man sie etwa noch aus der Alfredstraße kennt, wo sich Kleinbetriebe zwischen Wohnräume streuen. Ohnehin gilt: "Quartiere entstehen immer da, wo schon soziale Akteure vor Ort sind", erklärt Gebele.

Dass die Kleinräumlichkeit funktioniert, beweisen für Walter Trefz bis heute Ortsteile wie Kniebis. Deshalb könnte in den Augen der Bürgeraktion auch für Freudenstadt die Zukunft im Quartier liegen.

Bei der Quartierskonzeption geht es um die lebens-, familien- und altersgerechte Gestaltung des Lebensumfelds in Stadtgebieten. Dabei werden gebietsweise autonome Strukturen entwickelt, in denen die Bürger städtebaulich und infrastrukturell alles vorfinden, um unabhängig aber zugleich sozial aufgehoben und integriert zu leben. Das Quartier ist dabei Bindeglied zwischen dem einzelnen Wohnobjekt und der umgebenden Stadt. Anders als bei Gebäuden oder Grundstücken gibt es bei Quartieren aber keine fest definierten Grenzen. Wo ein Quartier anfängt und aufhört wird durch die Sozialraum-Strukturen innerhalb der Stadt festgelegt.