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Kanadas Indiepop-Kunstexpertin Leslie Feist führt in Stuttgart Songverwandlungen auf.

Stuttgart - Zu dem stolpernden Bluesriff, den sie auf der Akustikgitarre zupft, wagt sie sich in eine der dunkleren Ecken der Seele vor, erzählt vom Ende einer Beziehung, vom Trösten, das nicht wirklich tröstet, und davon, dass das wahre Leben manchmal in einem einzigen Haiku aufgeht. Die Leslie Feist, die am Mittwochabend dieses intim-traurige „Comfort Me“ singt, scheint eine ganz andere zu sein als die, die sich mit dem niedlichen Abzählreim „1234“ vor fünf Jahren in einen Apple-Werbespot verirrt hat und so auch Leuten auffiel, die sonst nicht unbedingt durch guten Musikgeschmack auffallen. Auch auf „Life’s A Happy Song“, die Nummer, die die Kanadierin kürzlich im „The Muppets“-Film gesungen hat, warten die 2000 Besucher auf dem Killesberg vergeblich. Das Leben, so wie es Leslie Feist sieht, ist nicht wirklich ein lustiges Lied, sondern eine traurig-schöne Ballade, die manchmal auch richtig bösartig werden kann.

Vor allem live. Denn viele der Songs, die die 36-Jährige in Stuttgart spielt, sind kaum wiederzuerkennen, entwickeln nun eine Dringlichkeit, die man auf den Platten manchmal vermisst. Zum Beispiel die Nummer „Undiscovered First“, der die Leichtigkeit ausgetrieben wurde. Das Schlurfen ist jetzt Stampfen. Und der Song windet sich so lange um einen widerspenstigen Beat, bis er von einem verwunschenen Gitarrensolo erlöst wird. Ein verschrobener Beat ersetzt die Süßlichkeit von „Mushaboom“, eine zäh-psychedelische Gitarre mischt die Bluesballade „Anti-Pioneer“ auf.

Ständig wechselt Feist zwischen Akustik- und E-Gitarre

Auch das Stück „How Come You Never Go There“ verliert die Sanftheit, die es auf dem aktuellen Album „Metals“ noch hat, knurrt böse, hadert mit seinem Schicksal, und die Songwriterin, die als Zwölfjährige bei der Eröffnung der Winterolympiade zu Hause in Calgary mal einen Auftritt als Tänzerin hatte, dreht sich so energisch im Kreis, dass sie am Ende fast ihre Gitarre fallen lässt.

Ständig wechselt Feist zwischen Akustik- und E-Gitarre; beschert ihren drei Backgroundsängerinnen immer wieder tolle Auftritte; holt Joel Gibbs von den Hidden Cameras auf die Bühne, um mit ihm erst Joan Baez’ Folksong „Wagoner’s Lad“ und dann den knuffigen Smashhit „I Feel It All“ zu singen; vergisst bei „Lonely Lonely“ charmant ihren Text; flirtet mit dem Publikum, macht ihm seltsame Komplimente („Ihr seht ja so gemütlich aus!“) und fragt sich vergnügt, wie man die Menschen hier wohl korrekt anzusprechen hat: „Stuttgardians?“, „Stuttgards?“, „Stuttgarderers?“

Zeitlupennummer „Let It Die“ wird zum Walzer

Und auch wenn ihre Mitsingspiele ein bisschen albern sind, gelingen ihr ansonsten doch weitgehend klischeefreie Popinszenierungen. Der „Free Pussy Riot!!!“-Schriftzug, den sie auf die Bühne geklebt haben, ist jedenfalls der einzige Slogan, der einem an diesem Abend vorgesetzt wird. Stattdessen versucht sie sich immer wieder in betörend empfindlicher Naturbeschreibung, die der romantischen Tradition folgend stets auch den Zustand des eigenen Ichs protokolliert. Etwa im impressionistischen „Get It Wrong, Get It Right“ oder in „The Circle Married The Line“, in dem sie davon erzählt, dass sie sich nichts mehr als einen Horizont wünscht, ein Meer, das in der Ferne eine ruhige Linie darstellt und ihr endlich Klarheit gibt.

Doch genau gegen diese vermeintliche Klarheit, gegen die Eineindeutigkeit singt sie dann doch immer wieder an, verwandelt die Zeitlupennummer „Let It Die“ in eine mit einem hämmernden Klavier verzierten Walzer, interpretiert „The Limit To Your Love“ im Sinne von James Blake mit einem hochdramatisch-verschleppten Loop. Und alles bleibt anders.