Bon Iver in Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Bon Iver verzaubert 3500 Gäste auf der Freilichtbühne Killesberg mit seiner Musik, die gar nicht so sanft ist.

Stuttgart - Popstars sehen anders aus. Nicht so wie Justin Vernon, der sich als Künstler Bon Iver, französisch ausgesprochen für „guter Winter“, nennt. Als er aber zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr am Dienstag die Freilichtbühne im Killesbergpark betritt ist der Applaus enorm. So wie bei einem Popstar eben.

Sein Kopfhaar ist schütter, der Backenbart opulent. Der 31-Jährige trägt ein taubenblaues Hemd und eine rostrote Hose. Man erkennt ihn aber vor allem sofort an der sanften Kopfstimme, die manche vielleicht als Gewimmer bezeichnen mögen. Das erste Lied ist „Perth“ – und es ist der perfekte Auftakt zu diesem kurzweiligen Sommerabend, an dem es endlich auch mal Sommertemperaturen gibt. Das Lied beginnt leise, Vernon singt mit Kopfstimme, dann zieht die Instrumentierung an. Alles wird lauter und entwickelt eine Sogwirkung, wie es vielleicht nur die Musik von Bon Iver kann.

Im vergangenen Jahr hat Bon Iver eine Hallentour in Deutschland gespielt. Die Konzerte waren ausverkauft. Also hängt er nun noch ein paar Shows unter freiem Himmel dran. In Stuttgart ist das Konzert mit 3500 Menschen sehr gut besucht. Vernon freut sich, bedankt sich immer wieder und sagt, wie „beautiful“, wie schön, das doch alles sei. Die Kulisse der Freilichtbühne ist es unbenommen. Man hat sogar eine Fledermaus im dunkelblauen Nachthimmel flattern sehen. Unten auf der Bühne leuchten Fackeln, die man zu Beginn noch nicht wirklich einsetzen kann, weil es erst ab Mitte der Show zu dämmern beginnt. Von der Decke hängen grobe, braune Fischernetze, die ein bisschen den Eindruck von „Fluch der Karibik“ vermitteln.

„Skinny Love“, eine Liebeskummerhymne

Vernon scheint überrascht von der großen Anteilnahme. Die jungen Menschen sind hergekommen, weil sie sich in sein Debüt „For Emma, Forever Ago“ verliebt hatten. Darauf sind leise Lieder, die der romantische Poet nur mit seiner Gitarre darbietet. Die Legende besagt, dass er die Lieder in einer einsamen Jagdhütte in tristen Wintermonaten im US-Bundesstaat Wisconsin eingespielt hat. Legenden sind gut für die Popmusik. Auf dem Album ist auch das Lied „Skinny Love“, eine Liebeskummerhymne, die es zu enormer Popularität gebracht hat. Nicht ganz unschuldig daran war die Präsenz des Songs in der Arzt-Serie „Grey’s Anatomy“. Natürlich spielt er „Skinny Love“ auch an diesem Abend. Die Stimme ist nicht mehr nur sanft, die Instrumentierung opulent. Die achtköpfige Band besteht aus Multi-Instrumentalisten, die zwei Schlagzeuge, Bass, Gitarre, Geige, Trompete, Oboe, Xylophon, Posaune, Keyboard und Saxophon bedienen. Das wirkt hier anders als auf den Alben, die doch eigentlich der Soundtrack für wolkenverhangene Momente im Leben sind.

Auf das Debüt folgte das Album „Bon Iver, Bon Iver“, das dieses Jahr mit zwei Grammys ausgezeichnet wurde. Rap-Superstar Kanye West fand ebenfalls Gefallen an den verträumten Liedern mit vertrackter Lyrik und lud Vernon ins Studio ein. Auch beim Konzert auf der Freilichtbühne jagt Vernon bei „Woods“ seine Stimme durch den Vocoder, verzichtet aber auf Beats.

Das Konzert ist aber nicht nur Musik. Es ist auch eine Studie in Sachen Konzertunterhaltung. Es gibt da diese Zeichnung, die immer wieder in diesen sozialen Netzwerken die Runde macht. Sie zeigt, wie sich das Konzertpublikum sich im Laufe der Zeit verändert hat. In den 1960er Jahren sind die Finger zum Peace-Zeichen gespreizt. In den 80er Jahren sind der kleine Finger und Zeigefinger zur Metaller-Gabel geformt, in den 90er Jahren ist es einfach die Faust und heute? Das Smartphone ist gezückt. So ist das auch am Dienstagabend. Nur wenige haben die Augen geschlossen, lassen sich ganz ein auf die melancholischen, warmen Klänge. Irgendwann sind alle dann wirklich bei Bon Ivers Musik. Alle haben ihre Fotos gemacht, Videos aufgenommen. Der Blick geht erst ganz am Schluss wieder auf das Telefon. Für die Uhrzeit. Nach 75 Minuten ist alles vorbei. Schade.