Manche kommen spontan, andere haben eine 2000-Kilometer-Tour akribisch geplant. Eines aber eint alle Camper auf dem Rottweiler Wohnmobil-Stellplatz.
Rottweil - Ruhe und Frieden beherrschen das Areal an der Stadionstraße. Kurz vor 9 Uhr haben sich hier auf dem Wohnmobil-Stellplatz Fuchs und Hase schon vor einem Weilchen einen guten Morgen und einen schönen Tag gewünscht. Das wird wohl klappen, an einem blauen Himmel strahlt heute wieder die Sonne.
Wach scheint hier zu dieser Stunde nur Anna Scheffler aus Bad Brückenau in der Rhön zu sein. Sie genießt die Stille, sitzt lesend am Tisch, beschattet von der Markise ihres Wohnmobils. Ein rosafarbenes und ein grünes Duschtuch hängen zum Trocknen in der Sonne. Das Camper-Idyll auf dem Asphalt vervollständigen Hündin Frieda unter sowie ein Töpfchen Basilikum auf dem Tisch. "Für die Nudeln", erklärt Anna, die gerade ihre erste Wohnmobil-Tour erlebt. Dazu gebracht hat sie ihr Freund Tim Moosdorf, der jetzt den Kopf aus der Wohnmobil-Tür steckt.
"Zehn Euro sind ein bisschen viel"
Ein Zufall, dass die beiden auf einer kleinen Deutschland-Rundfahrt in Rottweil gelandet sind. "Wir haben von der Autobahn aus den Test-Turm gesehen", berichtet Anna, "da mussten wir einfach hin." Der Ausflug hat sich gelohnt, auch die Stadt Rottweil wurde besichtigt und für schön befunden. Praktisch, dass der Stellplatz nicht so weit entfernt ist von der Altstadt. Einzig die zehn Euro Gebühr pro Nacht findet Tim doch ein bisschen viel, obwohl noch ein Gutschein für das Kletterzentrum K5 oder das Freibad im Preis enthalten ist.
Der Urlaub der beiden neigt sich dem Ende entgegen, denn Tim ist selbst Wohnmobil-Verkäufer und muss dringend zum Caravan-Salon in Düsseldorf, eine der weltweit wichtigsten Messen für Wohnwagen und Wohnmobile. Erst vor zwei Jahren, während eines Corona-Lockdowns, hat er selbst seine Leidenschaft fürs Campen entdeckt. "Da habe ich meinen Beruf zum Hobby gemacht", scherzt er. Am Urlaub im Wohnmobil gefällt Tim, dass man unterwegs immer wieder Menschen kennenlernt. Und die Unabhängigkeit. "Im Hotel", sagt Tim, und verzieht bei dem Gedanken das Gesicht, "müsste ich ja jetzt schon seit einer Stunde am Frühstücksbüffet stehen."
Bis zu 16 Wohnmobile oder 20 kleinere finden an der Stadionstraße Platz, bisweilen sind es aber auch mal mehr gewesen. Wenn es ganz eng wurde, wie im August 2018 oder im September 2019, durften sich Nachzügler kurzerhand auch auf einen benachbarten Parkplatz stellen. Eine Auslastung von 116 und 119 Prozent weist die Statistik für diese Monate aus. Heute aber beträgt sie exakt 50 Prozent.
Was Puccini mit Hund "Mimi" zu tun hat
Die wohl weiteste Anreise der aktuellen Gäste auf dem Stellplatz hatte wahrscheinlich die Familie auf dem Areal vorn rechts. Das zeigt sich schon am gelben Kennzeichen, das die Besitzer als Spanier identifiziert. "Nein, Katalanen", wird allerdings Anna Tarrats später lachend korrigieren, Tochter des rollenden Hauses aus Barcelona. Mit ihr unterwegs sind ihr Bruder Joan, Vater Xavier, die Mutter, die ebenfalls Anna heißt, sowie Hündin "Mimi". Letztere entlehnt ihren Namen der Oper "La Bohéme". Denn nur mit Puccinis Musik war sie als Welpe von herzerschütterndem Jaulen abzuhalten, erläutert Xavier.
Für die katalanische Familie ist es der erste Urlaub im Wohnmobil. Das Wagnis, damit gleich eine so weite Reise anzutreten, ist für Anna voll aufgegangen, sie genießt die Freiheiten. "Das ist ein toller Urlaub", sagt sie. Seit knapp einer Woche sind die vier plus Hund unterwegs und haben sich einige Orte in Frankreich angesehen, zuletzt unter anderem Colmar im Elsass. Der Aufenthalt in Rottweil stand von Anfang an im Plan.
Noch eine Dosis Schwarzwald in Triberg
Und wo ist es schöner, Anna, in Frankreich oder in Deutschland? Ganz klar, sagt Anna, in Deutschland! Vor allem der Schwarzwald lässt ihre Augen leuchten. "So eine zauberhafte Landschaft", schwärmt sie begeistert, "ganz anders als bei uns." Auch den Stellplatz in Rottweil findet sie super. Eine weitere Dosis Schwarzwald werden die Katalanen sich noch abholen, denn für die Weiterfahrt stehen auf jeden Fall die Triberger Wasserfälle auf dem Programm, bevor es zurück nach Hause geht.
Schon seit 40 Jahren zählen sich Esther und Karl-Heinz Helde zur Camper-Szene. Das Wohnmobil, in dem sie gerade mit den beiden Enkeln Mran und Esra unterwegs sind und mit dem sie schon halb Europa bereist haben, hat jetzt auch schon 30 Jahre auf dem Buckel. Mit viel Pflege hat das Rentnerpaar aus Emmendingen es in Würde altern lassen. Obwohl ihr Wagen mit vier Personen an die Kapazitätsgrenze kommt, sieht es innen blitzsauber und perfekt aufgeräumt aus. "Ja, Ordnung muss man sich schon gönnen", erklärt Karl-Heinz lachend.
Entsorgung ist für Camper das Wichtigste
Die beiden Enkel packen das Paar immer wieder mal für eine Reise ein, mindestens 15-mal sind sie schon gemeinsam unterwegs gewesen. Der zwölfjährige Mran kann sich zwar spontan nur an fünf Touren erinnern. Aber die Großeltern hatten ihn auch schon im zarten Alter von einem Jahr erstmals mitgenommen. In Rottweil sind Esther und Karl-Heinz schon vor einigen Monaten gewesen, damals hatten sie beschlossen, auch die Enkel einmal hierher zu entführen. Ob die beiden Spaß haben mit den Großeltern, diese Frage beantworten Mran und Esra mit einem überzeugenden und unüberhörbaren "Jaaaa!"
Die zehn Euro Stellplatzgebühr findet Karl-Heinz "fair", schließlich sei die Entsorgung gewährleistet, das sei eben für Camper das Wichtigste. Da kann Rottweil punkten, schließlich sind die Säulen für Strom, Wasser und Abwasser erst im Dezember 2021 erneuert worden. Karl-Heinz sagt allerdings auch: "Mehr kosten sollte es nicht."
Mit Rottweiler Kennzeichen auf dem Stellplatz
Das Enkel-Großeltern-Team will noch durch die Stadt bummeln und mit dem Bus zum Test-Turm fahren. Weiter geht es dann nach Immendingen und Donaueschingen. Und dann mal sehen. "Mit dem Camper ist man ja flexibel", stellt Karl-Heinz fest.
Was aber macht eigentlich ein Wohnmobil mit Rottweiler Kennzeichen auf dem Rottweiler Stellplatz? "Das Kennzeichen haben wir aus Nostalgie so gewählt", erläutert Monika Rowers, die mit ihrem Partner Wolfgang Vöge unterwegs ist. Inzwischen ist es 11 Uhr geworden, Frühstückszeit bei Monika und Wolfgang. "Nach sechs Minuten umdrehen", gibt Monika Anweisungen fürs Aufbacken der Brötchen.
Freiheitsgedanke ganz weit vorn
Die beiden wohnen in Endingen am Kaiserstuhl. Monika Rawers hat zwar 30 Jahre in Deißlingen gelebt. Aber als sie und ihr Partner das Rentenalter erreicht hatten, machten sie ihren Plan wahr: "Alles verkaufen und in den Kaiserstuhl ziehen." Aktuell besuchen die beiden Monikas Kinder, die in Deißlingen und Oberndorf leben, in ihrem brandneuen und großzügig für ein Paar ausgelegten Wohnmobil. "Unserem Letzten", wie Monika vermutet. Mit etwas Glück sind die beiden dabei, wenn Monikas zweiter Enkel zur Welt kommt. Aktuell könnte es jeden Tag so weit sein.
Praktisch, die Familie mit dem Wohnmobil besuchen zu können. "Da fällt man niemandem zur Last und kann sich bei Bedarf zurückziehen", sagt Monika. Sie und Wolfgang sind weit in Europa herumgekommen, waren unter anderem am Mittelmeer und in Dänemark. Ganz oben auf ihrer Anforderungsliste: "Man muss gescheit Rad fahren können." Fahrräder sind auf ihren Reisen stets dabei, rund 2000 Kilometer legen die beiden pro Jahr darauf zurück. Auch bei ihnen steht beim Campen der Freiheitsgedanke ganz weit oben: "Wenn man mal genug hat", resümiert Monika, "dann fährt man einfach weiter."