Die Freie Kunstschule feiert an diesem Dienstag ihr 90-jähriges Bestehen. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Die Freie Kunstschule ist nicht nur die einzige Stuttgarts, sondern auch die älteste Deutschlands. An diesem Dienstag feiert sie ihren 90. Geburtstag und eine bewegte Geschichte.

Stuttgart - Die unterschiedlich braungefärbten Treppen der ehemaligen Zuckerfabrik knarzen bei jedem Schritt unter den Füßen. Es riecht nach frischer Farbe, altem Papier und abgestandener Luft. Das Licht ist spärlich, die Räume kahl – abgesehen von den Werken der Studierenden, die in den langen Fluren hängen. Hin und wieder begegnet man Schülern, ansonsten ist es an der Freien Kunstschule ungewöhnlich still für einen Ort, an dem Kreativität gelebt werden soll. Ruhig ist es auch im Dachatelier, in dem an diesem Morgen „Strukturen per Kopf“ auf dem Programm stehen. Etwa 25 Studierende unterschiedlichen Alters haben sich dort um ein Modell herum angeordnet. „In diesem Kurs provoziert man die Studierenden dazu, ganz genau hinzuschauen. Das Wesentliche ist, die Strukturen zu erkennen“, erklärt Dozent Rolf Kilian, der im Jubiläumsjahr der Freien Kunstschule selbst sein 30. Dienstjubiläum feiert.

Strukturen, das merkt man im Gespräch mit dem Dozenten schnell, scheinen hier ein großes Thema zu sein. In all den Jahren habe er an der Schule viel erlebt, schwierige Phasen mitgemacht, finanzielle Nöte erfahren. Seit Martin Handschuh 2012 als Rektor an die Schule gekommen ist, würde es wieder strukturierter zugehen. „Nur weil das keine staatliche Einrichtung ist, heißt das nicht, dass man hier tun und lassen kann, was man will“, sagt Handschuh und es klingt fast, als würde er sich rechtfertigen wollen.

Stadt unterstützt Sanierung mit 1,8 Millionen Euro

In den vergangenen fünf Jahren hat es an der Freien Kunstschule viele Veränderungen gegeben – auf personeller, aber auch auf inhaltlicher Ebene. Dozenten wurden entlassen, eine neue Studienordnung eingeführt, das Anforderungsprofil an die Studierenden angehoben. Veränderungen, deren Auswirkungen nicht sofort sichtbar werden. Oder, wie es Handschuh zu formulieren weiß: „Das sind zarte Pflänzchen, die gehegt und gepflegt werden müssen.“ Von den Querelen, über die im Zusammenhang mit den Veränderungsprozessen berichtet wurde, möchte der junge Rektor nichts wissen. Diese seien von Außen an die Schule herangetragen worden. „Innerhalb des Hauses und auch mit der Stadt hat es schon damals keine Meinungsverschiedenheiten gegeben.“

Dafür spricht zum einen, dass seit vergangenem Oktober umfassende Sanierungsarbeiten an Dach und Fassade der Schule vorgenommen werden. In einem zweiten Bauabschnitt sind Arbeiten an Keller und Fluchtwegen geplant. Von der Stadt wird die Einrichtung dabei mit etwa 1,8 Millionen Euro unterstützt. „Dass die Stadt namhafte Beträge investiert, zeigt uns ihre Wertschätzung gegenüber unserer Einrichtung“, sagt Handschuh. Zum anderen soll nun im Frühsommer endlich die konstituierende Sitzung des Beirats stattfinden. „Dadurch ist auch gegeben, dass wir Kompetenz und Sachverstand maßgeblicher politischer Kräfte der Landeshauptstadt Stuttgart direkt im Hause haben.“

Atmosphäre eines experimentellen Laboratoriums

Als einzige Freie Kunstschule Stuttgarts und älteste ganz Deutschlands hat die Einrichtung eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Wurde sie am 2. Mai 1927 von Adolf Hölzel und dessen Schüler August Ludwig Schmitt gegründet, musste sie bereits sieben Jahre später während des Nationalsozialismus den Lehrbetrieb wieder einstellen, um ihn nur ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufnehmen zu können. Die Lehre Hölzels wird seit jeher hochgehalten, die Traditionen gelebt und, wie es Handschuh nennt, versucht, in die Zukunft weiterzuführen. „Hölzel ist nicht nur in künstlerischer Hinsicht vorbildhaft wegweisend gewesen, er war auch ein eifriger Kunstpädagoge“, sagt der Nürtinger, der neben Jura Musik- und Kunstgeschichte studiert hat.

„Er war nicht darauf fixiert, seinen Schülern einen bestimmten Stil nahezulegen, sondern ihre Freiheit in der stilistischen Entwicklung zu fördern. Wenn man die bildnerischen Mittel beherrscht, hat man die Möglichkeit, diese in ganz unterschiedlicher Weise anzuwenden – unabhängig von zeitgebundenen Erscheinungen, ästhetischen Positionen, Mode-, Geschmacks- oder Stilfragen.“ Anders als an den meisten Kunstakademien werden die Studenten deshalb auch nicht der Klasse eines Professors und damit dessen Position in der Kunst zugeordnet. Besonders sei auch die familiäre Atmosphäre.

So würden auf die etwa 60 bis 70 Studierenden 17 Dozenten kommen. Genau kann es der Rektor jedoch nicht sagen. „Dadurch, dass wir großzügige Atelierplätze einräumen und die Studierenden dort rund um die Uhr arbeiten können, entsteht hier die Atmosphäre eines experimentellen Laboratoriums“, fügt er hinzu. Langfristig hofft Handschuh darauf, dass seine traditionsreiche Schule die staatliche Anerkennung als Hochschule erhält. Zum Geburtstag darf man ja auch Wünsche haben.