SC-Trainer Christian Streich hat Angst.  Foto: Wittek

Schrille Debatte und Jetzt-erst-recht-Stimmung nach Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken.

Freiburg - Die Aufregungswelle verläuft immer gleich. Begeht ein Flüchtling ein Verbrechen, ruft die AfD: Wir haben Euch ja gewarnt, viele Flüchtlinge sind Verbrecher. Politiker der Bundestagsparteien empören sich daraufhin über diese Art von Verallgemeinerung. Das war nach der Axt-Attacke eines jugendlichen Afghanen in Würzburg im Juli so. Und das ist jetzt nicht anders, nachdem in Freiburg ein Flüchtling als Tatverdächtiger nach einem Sexualmord festgenommen wurde. 2017 stehen Bundestagswahlen an. Das macht den Ton noch einmal schriller. Polizisten, Migrationsforscher und andere Experten wünschen sich eine sachlichere Debatte.

Doch es gibt auch Wortmeldungen, die man so nicht erwartet hat. Zum Beispiel bei einer Pressekonferenz einer Fußball-Mannschaft. So hat der Trainer des Bundesligisten SC Freiburg, Christian Streich, den ausländerfeindlichen Populismus nach der Ermordung der Studentin Maria L. (19) eindringlich kritisiert.

"Ich habe Angst", bekundete Streich gestern in Freiburg. Vor allem beim Gedanken an seine eigenen Kinder werde ihm bange, meinte der 51-jährige Fußballtrainer weiter. "Wir kennen die Generalverurteilung von Menschen gut in unserem Land. Damals waren es Juden, jetzt sind es die Afghanen oder die Ausländer." Er habe nicht gedacht, dass es innerhalb so kurzer Zeit so weit komme wie derzeit.

Dass der Vater der Getöteten von Seiten der AfD als "pathologisch" verhöhnt werde, weil er sich für Flüchtlingen engagiere, zeige, "was los ist" in Deutschland. Nun sei die Gesellschaft gefordert und gefragt: Man müsse es "als Herausforderung annehmen, sich bekennen und helfen", dass Menschen, die auf er Flucht waren, nicht angefeindet werden, forderte Streich.

Angst, dass die Stimmung in Freiburg kippen und die Hilfsbereitschaft nachlassen würde, habe er nicht, betonte Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) gestern bei Maybrit Illner im ZDF. "Die Freiburger sind es gewohnt, zu differenzieren", betonte er. Wichtig sei es, sachlich und nicht emotional zu argumentieren. Zugegenermaßen habe man mit unbegleiteten Flüchtlingen – derzeit sind in Freiburg 160 untergebracht – immer wieder Probleme, sagte Salomon, aber diese Tat sei natürlich etwas ganz anderes als Anmache in einem Klub. "Das war ein furchtbares Verbrechen, das entsprechend bestraft werden muss."

Obwohl sie von Hass und Hohn in den sozialen Netzwerken überzogen werden, wollen sich die ehrenamtlichen Freiburger Flüchtlingshelfer in der Tat nicht verunsichern lassen. Der pensionierte Schuldirektor Hans Lehmann ist nun ihr bekanntestes Gesicht: Der 68-Jährige berichtete am späten Mittwochabend in der ARD-Talkshow "Maischberger" von vielen anonymen E-Mails und Schmähbriefen, in denen er etwa beschuldigt wird, "für die Kloake von Multikriminalität in Freiburg" verantwortlich zu sein. "Ich kann damit umgehen", sagte er und schilderte, dass sich beim Helferfest am Abend zuvor unter den 150 Anwesenden eine Jetzt-erst-recht-Stimmung verbreitet hätte: "Jetzt stehen wir zusammen", sagte er.

Lehmann ist Vorsitzender des Bürgervereins Oberwiehre-Waldsee. Am Rande des von diesem betreuten Areals war die Leiche der Medizinstudentin gefunden worden. Doch betont er: "Das wird Freiburg nicht umhauen." Bei einer Kundgebung am Sonntag hätten 30 AfD-Anhänger 300 Gegendemonstranten gegenübergestanden – "Freiburg-typisch", wie Lehmann mit Verweis auf die liberale Gesinnung in der Stadt meint. Man sei dran, Frauentaxis wieder einzuführen sowie die Fahrrad- und Gehwege besser zu beleuchten. Dies alles sei aber "nicht in zehn Minuten erledigt". Die Reaktionen wären aus seiner Sicht nicht so kontrovers ausgefallen, wenn ein gebürtiger Deutscher die Tat begangen hätte. Hier werde ein Einzelfall zum Massenphänomen hochstilisiert. Die (politische) Giftspritze sei "angesetzt".

Lehmann berichtete von einem ihm bekannten Schuldirektor, in dessen Berufsschule der tatverdächtige 17-jährige Afghane gegangen ist. Demnach ist die Bluttat für dessen Lehrer völlig unerwartet gekommen – er sei ein "fleißiger" und "liebenswerter" Schüler gewesen. In der Schule lernte er Deutsch. "Nicht nachvollziehbar" nennt Lehmann die Tat.

Die AfD-Politikerin Alice Weidel hatte dagegen bei "Maischberger" behauptet, wenn ein Flüchtling, der von der Politik der offenen Grenzen profitiert hat, einen Menschen tötet, dann sei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Befürworterin der liberalen Flüchtlingspolitik von 2015 dafür "indirekt" mit verantwortlich. AfD-Chef Jörg Meuthen identifizierte "Tausende junger Männer aus patriarchalisch-islamischen Kulturkreisen" als Risikofaktor.

Die Befürworter der "Willkommenskultur" weisen darauf hin, dass die Kriminalitätsrate unter jugendlichen Migranten in den vergangenen Jahren gesunken sei. Modern denkende Zuwanderer müssen als Beispiele dafür herhalten, dass nicht jeder türkische Familienvater ein Mädchenunterdrücker und nicht jeder Araber ein potenzieller Vergewaltiger ist.

Natürlich würden die Menschen in verschiedenen Staaten unterschiedlich sozialisiert, sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD). Auch einige Einwanderer aus der Türkei hätten schließlich die Freiheiten, die Frauen in Deutschland oder Skandinavien haben, anfangs nicht richtig interpretiert, "aber das heißt ja nicht, dass jeder, der kommt und der so etwas redet, sich auch an einer Frau vergreift". In der öffentlichen Darstellung werde auch das Phänomen der Gewalt in der Ehe bei türkischstämmigen Frauen in Deutschland stark übertrieben, auch wenn es teilweise "mit Erziehung, mit familiären Strukturen zu tun hat, warum diese Frauen überhaupt Gewalt erfahren".

Der Villinger Psychologe Jan Ilhan Kizilhan kümmert sich in Baden-Württemberg um Jesidinnen, die von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verschleppt worden waren. Er sagt: "Die arabische oder die türkische Kultur ist natürlich nicht irgendwie aggressiv, angriffslustig oder menschenverachtend." Trotzdem warnt er davor, die Herkunftskultur bei der Gewaltprävention zu vernachlässigen.

Für ihn beginnt "die Verteidigung unserer Werte, der Gleichberechtigung, der Emanzipation und der Demokratie" nicht erst im Integrationskurs, sondern "in Mossul, in Al-Rakka und in Istanbul". Dass sein Aufruf an die Muslime, lauter zu sagen, dass sie Kinderehen, Vergewaltigung und andere Grausamkeiten ablehnten, politisch instrumentalisiert wird, will er unbedingt vermeiden. Kizilhan betont: "Ich will nicht für die AfD hier sprechen."

Auch die Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates hält es für falsch, Gewaltprobleme unter den Tisch zu kehren, nur damit Rechtspopulisten kein Futter haben. Sie sagt, man müsse "das Kulturelle auf jeden Fall herausarbeiten", dürfe "gleichzeitig aber nicht vergessen, dass wir über eine Situation sprechen, die zeitverschoben ist". Schließlich seien die ersten Frauenhäuser in Deutschland nicht für Einwanderinnen gegründet worden.