Dem Paar werden unter anderem schwere Vergewaltigung und Zwangsprostitution in jeweils knapp 50 Fällen zur Last gelegt. (Symbolfoto) Foto: dpa

Behörden und Justiz stehen in der Kritik. Prozess gegen die beiden Hauptbeschuldigten beginnt.

Mit der Schilderung schwerer Sexualstraftaten gegen einen Jungen hat am Montag der Prozess gegen die beiden Hauptbeschuldigten im Missbrauchsfall von Staufen bei Freiburg begonnen. Der 48 Jahre alten Mutter des Opfers und ihrem einschlägig vorbestraften 39-jährigen Lebensgefährten wird vorgeworfen, den heute Neunjährigen mehr als zwei Jahre lang regelmäßig missbraucht und an andere Männer verkauft zu haben. In der mehr als 100 Seiten langen Anklageschrift ist die Rede von Fesselungen, extremen Demütigungen und Beschimpfungen, Drohungen sowie körperlicher Gewalt und Vergewaltigungen.

Dem Paar werden unter anderem schwere Vergewaltigung und Zwangsprostitution in jeweils knapp 50 Fällen zur Last gelegt. Angeklagt sind Taten zwischen Mai 2015 bis Ende August 2017. In dem Fall gibt es insgesamt acht Tatverdächtige. Die Mutter und ihr Lebensgefährte, beide Deutsche, gelten als die zentralen Figuren in dem Missbrauchsfall.

In Prozessen gegen Freier des Jungen hatte der 39-Jährige zuvor als Zeuge ausgesagt und sich bereits als Haupttäter bezeichnet. Die Mutter schweigt. Ob sie aussagt, ist nach Worten ihres Anwalts Matthias Wagner noch nicht entschieden. Dem Paar wird auch der mehrfache Missbrauch einer Dreijährigen zur Last gelegt. Die Schwere und Vielzahl der Verbrechen sowie die Rolle der Mutter machen diesen Fall außergewöhnlich.

Die Mutter des Opfers und ihr Lebensgefährte hätten sich Ende 2014 oder Anfang 2015 bei der Tafel kennengelernt, sagt die Staatsanwältin. Die schweren Sexualstraftaten beginnen dann rasch. Erst soll eine Dreijährige, Tochter einer Bekannten, missbraucht worden sein. Wenig später nur noch der Junge. Mehr als zwei Jahre lang soll er seinen Peinigern ausgeliefert gewesen sein, wird anderen Männern zum Vergewaltigen und Ausleben ihrer Sexfantasien überlassen, wird regelrecht verkauft.

Die schier endlos erscheinende Anklageschrift verlesen zwei Staatsanwältinnen abwechselnd. Der Junge wird mit harschen Worten wie "Halt die Fresse" eingeschüchtert und gefügig gemacht, er wird mit üblen Schimpfwörtern belegt. Er wird gedemütigt, erniedrigt und bedroht, er wird geschlagen. Einmal muss er nackt ein Schild in die Höhe halten für einen Kunden mit der Aufschrift: "Hallo". Die Mutter soll die Täter mitunter angefeuert haben.

Der Junge leidet Schmerzen, er hat Angst, er muss Strumpfmasken, Handschellen, eine Sturmhaube tragen. Die Fantasie der Verdächtigen ist so unerschöpflich wie die Taten unfassbar. Neben dem Publikum haben auch im Saal anwesende Gerichtsbedienstete Mühe, ihr Entsetzen zu verbergen.

Kritik gegen Behörden und Justiz

Behörden und Justiz stehen dabei in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, den Jungen nicht geschützt zu haben - obwohl sie von der Liebesbeziehung der Mutter zu dem wegen schweren Kindesmissbrauchs vorbestraften Mann wussten. Das Kind lebt seit der Festnahme des Paares und der weiteren mutmaßlichen Täter im vergangenen Herbst bei einer Pflegefamilie.

Die großen körperlichen Schmerzen des Jungen, sein offensichtlicher Ekel bis hin zum Brechreiz, seine Abwehr und Panik - all das interessiert die Täter laut Anklage nicht im Geringsten. Auf Filmaufnahmen, so liest es die Staatsanwaltschaft weiter vor, ist zu sehen, wie das sich sträubende Kind festgehalten wird, wie es geschlagen, unterworfen und gezwungen wird: Das zu tun, was Mutter und Männer wollen. Am Anfang sei die Mutter nicht begeistert gewesen vom Missbrauch, sagt der 39-Jährige. "Aber dann hatte sie Angst, dass ich sie verlasse."

Der Junge wird in dem Prozess nicht aussagen müssen, heißt es. Er lebt inzwischen bei einer Pflegefamilie. "Er bemüht sich in seinem neuen Leben, ohne Gewalt und sexuellen Missbrauch Tritt zu fassen", erzählt Staatsanwältin Nikola Novak. Kontakt zu seiner Mutter oder deren Lebensgefährten habe er, seit die beiden im vergangenen Herbst festgenommen wurden, nicht mehr.

Wie es dazu kommen konnte, dass das Kind nach ersten Hinweisen zwar vorübergehend aus der Familie herausgenommen wurde, später aber wieder zur Mutter zurückkam, wird das Gericht nicht klären können. Die Behörden wollen ihre fatale Fehleinschätzung auf lokaler Ebene untersuchen. Auf Ebene des Landes soll einen Arbeitsgruppe den Fall aufarbeiten.

"Ich erhoffe mir, auch wenn es vielleicht unrealistisch ist, von der angeklagten Kindsmutter vielleicht mal eine Erklärung zur Motivation", sagte die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Katja Ravat, der Deutschen Presse-Agentur. Ravat vertritt in dem Prozess den missbrauchten Jungen.

Ziel von Anklage und Nebenklage sei neben langjährigen Haftstrafen eine anschließende Sicherungsverwahrung, vor allem für den wegen schwerer Kindesmisshandlung vorbestraften Lebensgefährten der Mutter. "Dass ich dem Kind rückmelden kann, dass der Mann auf absehbare Zeit nicht mehr aus der Haft entlassen werden wird", sagte Ravat.