Ganz anders sei das Bild, das Michaela Berrin T. auf ihn gemacht habe, berichtet der Gutachter weiter: Eine pädophile Neigung liege bei ihr nicht vor. Vor dem Missbrauch an ihrem Sohn und der kleinen Tochter einer Freundin habe die Frau nie ein Interesse am Thema Sex mit Kindern gehabt. T. sei vielmehr eine Frau ohne große Regungen und Gewissensbisse. Sex sei für sie nicht an ein Wertesystem gebunden.
Den Missbrauch ihres Sohnes habe sie womöglich einfach wie eine weitere Erfahrung für sich verbucht, "ähnlich wie sie auch schon einen Swinger-Klub besucht hat", sagt Pleines. Eine Wiederholungsgefahr sei aber eher unwahrscheinlich bei der Frau, die aufgrund von Schwangerschaftsproblemen ihrer an Epilepsie erkrankten Mutter möglicherweise einen Sauerstoffmangel im Mutterleib erlitten hat.
Der Intelligenzquotient bei Berrin T. liegt bei knapp unter 70 Punkten, irgendwo im Bereich zwischen Lernbehinderung und Minderbegabung. Gleichzeitig sei die Frau sehr durchsetzungsfähig, meint Pleines: Das habe beispielsweise ihr bestimmtes Auftreten gegenüber den Sozialbehörden gezeigt, als man ihr den Sohn wegnehmen wollte. Zweifel an ihrer Schuldfähigkeit gebe es nicht.
Der Vormittag des Verhandlungstages hatte noch einmal unerträgliche Details vor allem über Christian L. ans Licht gebracht: Aus Chat-Protokollen mit einer damals 13-Jährigen, die L. 2009 in rund zwei Dutzend Fällen missbraucht und vergewaltigt hatte, erfuhr die Öffentlichkeit, dass er es auch auf die damals erst zweieinhalb Jahre alte Schwester seines Opfers abgesehen hatte und das Kleinkind ebenfalls einmal missbrauchte.
Hinweise der Lehrerin des Buben auf eine mögliche Misshandlung gehen bei Richterin Eva Voßkuhle nicht ein.
Er wurde für die Taten 2010 zu vier Jahren und drei Monaten Haft und einer Schmerzensgeldzahlung von 6500 Euro verurteilt. Eine Sicherungsverwahrung wurde nicht verhängt, weil der Gutachter im damaligen Prozess zu dem Ergebnis kam, dass die pädophilen Neigungen des Mannes "nicht eingeschliffen" seien.
Nach der Entlassung 2014 stand L. unter Führungsaufsicht und durfte sich Kindern und Jugendlichen nicht nähern, da er als rückfallgefährdet galt. Als er dann im November 2014 im Tafelladen in Staufen (Kreis-Breisgau-Hochschwarzwald) Berrin T. kennenlernte, machte er seiner neuen Freundin gegenüber denn auch schnell klar, wo seine sexuellen Interessen liegen und ließ sich von ihr die kleine Tochter einer Freundin als Opfer zuführen. In drastischen Details schilderte er Berrin T. im Chat den "Druck" unter dem er stehe und was er mit dem Mädchen alles anstellen wolle: "Ich muss auch meine Neigung leben können", schreibt Christian L. dort, "ich kann’s nicht einfach abstellen. und Du besorgst mir jetzt was Kleines." T. antwortete ihm, dass sie ihn liebe und zu ihm stehe, mit all seinen Fehlern: "Das bist halt Du, Stinker".
Nach außen hin gab sich die Mittäterin hingegen ganz anders: Als das Staufener Amtsgericht L. zu einer Haftstrafe verurteilte, weil er gegen seine Führungsvorschriften verstieß, legten er und T. Widerspruch ein: Man habe schließlich ein "Recht auf einen Neuanfang", meint Berrin T., der es auch gelang, sich vorm Familiengericht und dem Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe als liebende Mutter darzustellen, woraufhin Richterin Eva Voßkuhle ihr ein "ernsthaftes Bemühen" bescheinigte, ihren Sohn vor möglichen Übergriffen durch Christian L. zu schützen.
Kurios dabei: Voßkuhle ist die gleiche Richterin, die L. auch schon 2010 wegen der Taten an dem 13 Jahre alten Mädchen und seiner kleinen Schwester verurteilt hatte. Sie wusste um die Gefahr, die von dem Mann ausgeht. Dennoch glaubte sie Berrin T., als sie ihr "in die Hand versprach", dass sie ihren Sohn vor L. schützen werde. Vom Hinweis der Lehrerin des Buben, dass dieser möglicherweise missbraucht werde, wusste Voßkuhle nichts: Das Jugendamt im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald habe sie nicht darüber informiert, erklärt die Richterin in einem Aussageprotokoll, das am Montag im Gericht verlesen wurde.
Am kommenden Freitag und Montag werden in dem Prozess die Plädoyers erwartet. Das Urteil ergeht nach jetzigem Stand am 20. Juli. Ende Juli beginnt der letzte Prozess gegen einen der Täter im Staufener Missbrauchsfall. Der Spanier Xavier G. gilt als einer der Haupttäter in dem Fall. Der Mann, der sich von seinem Opfer "Onkel Luke" nennen ließ, ist ebenfalls geständig. Ihm werden mehr als ein Dutzend Missbrauchstaten an dem mittlerweile zehn Jahre alten Jungen aus Staufen vorgeworfen.
Kommentare
Artikel kommentieren
Bitte beachten Sie: Die Kommentarfunktion unter einem Artikel wird automatisch nach sieben Tagen geschlossen.