Mit der Anklage gegen einen 37-jährigen Schweizer ist der Missbrauchsfall in Staufen noch immer nicht erledigt. Demnächst folgt das Hauptverfahren. Foto: Deckert

Staufener Missbrauchsfall: 37-jähriger Schweizer steht vor Gericht. Mit Pommes für Vergewaltigung bezahlt.

Freiburg - Was für ein perfides, zynisches Arrangement: Zwei Männer treffen sich Anfang Dezember 2016 in Staufen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) am Waldrand. Sie haben sich verabredet, um ein Kind zu vergewaltigen. Einer der beiden, der vorbestrafte Kinderschänder Christian L. (39), hat das Opfer "organisiert", es ist der Sohn seiner Lebensgefährtin Berrin T. (48). Der andere Mann ist der "Kunde", ein 37 Jahre alter gelernter Maurer aus der Schweiz namens Jürgen W., der den neun Jahre alten Jungen vergewaltigen will. Die beiden Männer haben ihre Tat im "Darknet", der anonymen, finstersten Ecke des Internets, miteinander vereinbart.

Mutmaßlicher Vergewaltiger gab sich als Polizist aus

Das Opfer wird von der eigenen Mutter zum Tatort gebracht. Dass es den Freund der Frau sexuell befriedigen muss, ist dem Kind bereits geläufig, seit fast zwei Jahren schon hat der Bub die Übergriffe, Beleidigungen und Erniedrigungen über sich ergehen lassen müssen.

Doch dann springt mitten im Tatgeschehen der dem Jungen bis dahin unbekannte 37-jährige Schweizer aus dem Gebüsch. Er tut so, als sei er ein Polizist, der zufällig vorbeikommt. Und er droht dem Kind, dass er dessen Mutter verhaften werde, wenn der Bub nicht auch ihn sexuell befriedigt. Bei der Tat, erläutert Staatsanwältin Nikola Novak in ihrer Anklage am Mittwoch vor dem Freiburger Landgericht, musste der Junge eine Strumpfmaske tragen.

In den Wochen darauf wurde er noch zwei weitere Male von dem Schweizer, der sich weiterhin als Polizeibeamter gegenüber dem Kind ausgab, vergewaltigt: Einmal wurde er dabei mit Paketband an einen Klappstuhl gefesselt, damit er sich nicht wehren konnte. Ein weiteres Mal ist der Junge in einem Auto zwischen die Vordersitze geklemmt worden, damit er nicht entkommen konnte. Für die Taten erhalten das Kind und der Lebensgefährte der Mutter 50 Euro, einen gebrauchten Laptop und eine Einladung zu Hamburgern und Pommes Frites in einem Schnellrestaurant in Bad Krozingen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald).

Angeklagten sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus

Der 37-Jährige hat am Mittwoch zu Beginn der Verhandlung angekündigt, zu seiner Person und zu den Taten aussagen zu wollen. Für diese Aussagen sowie für das psychiatrische Gutachten über den Mann aus dem Kanton St. Gallen wird die Öffentlichkeit aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Täters vom Prozess ausgeschlossen. Auch die Plädoyers und die Sichtung des Beweismaterials erfolgen nicht öffentlich: Wie schon bei den beiden bereits verurteilten Tätern Markus K. (41) und Knut S. (50) wurden von den Vergewaltigungen des Kindes Videos angefertigt, die Beweislast gegen Jürgen W. ist erdrückend.

Der ledige Mann mit der hageren Gestalt, dem schütteren, dunklen Haar und den rosigen Wangen gilt als Ersttäter, ein juristisch "vollkommen unbeschriebenes Blatt", wie Verteidiger Robert Phleps zu Beginn des Prozesses am Mittwoch sagte. Phleps hatte zunächst einen kompletten Ausschluss der Öffentlichkeit für das Verfahren gefordert.

Dem war das Gericht unter Vorsitz von Richter Stefan Bürgelin allerdings, wie bereits im Verfahren gegen Knut S., nicht gefolgt: Das öffentliche Interesse an dem Fall wiege hier schwerer als der Schutz der Person des Angeklagten. Dieser wurde am 28. November 2017 beim Grenzübertritt von der Schweiz nach Österreich verhaftet, knapp drei Wochen nachdem er europaweit zur Fahndung ausgeschrieben worden war. Seit dem 12. Dezember 2017 sitzt Jürgen W. in Untersuchungshaft in Waldshut-Tiengen. Dem Prozessbeginn folgte der Mann gestern mit hoher Aufmerksamkeit, aber äußerlich eher unbeteiligt.

Die Anklage wirft ihm unter anderem schwere Vergewaltigung, Nötigung und sexuellen Missbrauch eines Kindes, Besitz von Kinderpornos auch mit Kleinkindern, besonders schwere Zwangsprostitution und Körperverletzung vor. Staatsanwältin Nikola Novak betonte in ihrer Anklage gestern zudem, dass die Voraussetzungen für einen Verbleib in der Sicherungsverwahrung im Fall des Angeklagten gegeben seien. Bis zum geplanten Urteil am 22. Juni sind vier Verhandlungstage vorgesehen, sechs Zeugen und ein psychologischer Sachverständiger werden aussagen.

Verfahren gegen Mutter ab Montag

Ab kommendem Montag werden in Freiburg zudem die Mutter des Neunjährigen und ihr Lebensgefährte als Hauptangeklagte im Staufener Missbrauchsprozess vor Gericht stehen. Die beiden haben sich im Spätjahr 2014 kennengelernt, zuvor hatte Christian L. eine vierjährige Haftstrafe verbüßt, weil er ein Kind vergewaltigt hatte. L. stand unter Führungsaufsicht und durfte eigentlich keinen Kontakt zu Kindern haben. Trotzdem zog er bei seiner neuen Freundin in Staufen ein. Die beiden sollen den Sohn der Frau ab Anfang 2015 wieder und wieder gemeinsam vergewaltigt haben und in der Folge die Idee entwickelt haben, den Jungen im Internet für Geld auch anderen Tätern zum Missbrauch anzubieten. Um das Kind für kommende Qualen zu präparieren, soll das Paar den Jungen systematisch mithilfe von "Sexspielzeug" und anderen Hilfsmitteln körperlich "vorbereitet" haben, lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.

Statistik: Sexueller Kindesmissbrauch im Land

Mehr als 1600 Kinder sind im Jahr 2017 in Baden-Württemberg Opfer von Misshandlungen und sexuellem Missbrauch geworden. Das teilte das baden-württembergische Innenministerium in Stuttgart mit. Demnach gab es im vergangenen Jahr 1637 Fälle. Im Vergleich zum Jahr 2016 sei dies ein leichter Rückgang (1697 Fälle). Sexueller Missbrauch von Kindern mit 1334 Fällen (2016: 1393) stellte den größten Teil dar. 303 Kinder (2016: 304) wurden demnach misshandelt. Neun Kinder seien dabei schwer verletzt (2016: 21) worden. Die Zahl der leicht verletzten Kinder habe wie im Vorjahr bei 171 gelegen.