Der erste Prozess in dem Missbrauchsfall könnte bereits im Frühjahr beginnen. (Symbolfoto) Foto: dpa

Behörden und Justiz rechtfertigen sich für ihr Vorgehen. Festplatte des Verdächtigen aus See geborgen.

Freiburg - Erst kamen die  Enthüllungen, nun folgt die mühsame Aufklärung. Im Falle des Neunjährigen aus dem Raum Freiburg, der rund zwei Jahre lang missbraucht und zum Sex verkauft worden sein soll, melden sich nun die Behörden zu Wort. Sie standen in den vergangenen Tagen, seit der Fall an die Öffentlichkeit kam, in der Kritik. Insbesondere weil das Jugendamt schon einmal vor der Gefahr des sexuellen Missbrauchs gewarnt und den Jungen in Obhut genommen hatte. Das Familiengericht entschied aber, ihn zurück zu seiner Mutter zu schicken, wo er anschließend weiter missbraucht und vergewaltigt worden sein soll.

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hat diese Entscheidung inzwischen verteidigt. Die Mutter des Neunjährigen sei zuvor nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Das Gericht nahm wohl an, dass von ihr keine Gefahr ausgehe. Auch das in Freiburg ansässige Familiengericht habe das so gesehen.  Zudem gab es offenbar keine konkreten Hinweise auf sexuellen Missbrauch.

Der einschlägig vorbestrafte Lebensgefährte durfte laut einer Anordnung des Gerichts keinen Kontakt zu dem Kind haben und sich in der Wohnung nicht aufhalten, betonte die Sprecherin. Die Mutter akzeptierte dies auch in der zweiten Instanz. Daher – und weil alle Beteiligten davon ausgegangen seien, dass sie im Interesse ihres Sohnes handle – dachten die Richter, der Junge sei sicher. Allerdings soll das Gericht in der mündlichen Verhandlung offenbar sowohl die Mutter als auch das Jugendamt gehört haben, nicht aber das Kind selbst.  

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, forderte deshalb erneut, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, so dass sich Entscheidungen stärker am Vorrang des Kindeswohls orientierten.

Doch wie läuft ein solches Verfahren überhaupt ab? Wann dürfen Jugendämter Kinder aus der Familie nehmen und wie geht es dann weiter? Die sogenannte Inobhutnahme ist laut Bundesfamilienministerium eines der schärfsten Mittel, das Behörden bei Kindesgefährdung haben. Das Kind oder der Jugendliche kann zeitweise oder in schweren Fällen dauerhaft aus der Familie genommen werden, wenn es konkrete Hinweise auf eine Gefährdung gibt.

Grund für eine Inobhutnahme sind oft akute Notlagen, etwa wenn Kinder nicht richtig versorgt werden, weil Eltern drogen- oder alkoholkrank sind. Auch Misshandlungen und sexueller Missbrauch gelten als solche Gründe. Die Hinweise kommen zum Beispiel von der Polizei, vom Umfeld des Kindes oder auch vom Betroffenen selbst. Bei konkreten Hinweisen auf eine Krise gehen Mitarbeiter des Jugendamtes in die Familie und entscheiden, ob das Kind in Obhut genommen werden muss. Anschließend informieren sie das Gericht darüber. Stimmen die Eltern nicht zu, entscheidet das Familiengericht, ob die Kinder in Obhut genommen werden, oder zurück in die Familie kommen.

Festplatte des Hauptverdächtigen aus See geborgen

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig findet im »Morgenmagazin« von ARD und ZDF deutliche Worte über das Vorgehen: »Hier ist die Abwägung zugunsten des Kindeswohls nun völlig danebengegangen und das Zusammenspiel zwischen Jugendamt und Familiengericht war falsch.« Die Jugendämter bräuchten mehr Personal. Zudem fordert der Missbrauchsbeauftragte, dass Familienrichter entlastet und fortgebildet werden sollen, um besser mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche umgehen zu können.

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) spricht sich gegen ein vorschnelles Urteil gegenüber der Justiz und den Behörden aus. Zuerst müssten die Vorfälle gründlich und zügig untersucht werden, betont er. »Soweit ich die Sachlage bis jetzt kenne, war es ja nicht so, dass die Behörden nicht auf die Missstände in der Familie hingewiesen hätten. Deshalb müssen wir nun auch mit den Kollegen der anderen Ministerien, also auch dem Justizministerium überprüfen, wo hier etwas schiefgelaufen ist.« Wichtig sei zudem, dass dem neunjährigen Opfer nun optimal geholfen werde, »damit der Junge überhaupt noch die Chance auf eine eigene Biografie hat«.

Auch ein Sprecher des baden-württembergischen Landesjustizministers Guido Wolf (CDU) sagte eine Prüfung zu. »Wir werden schauen, ob es gesetzlichen Handlungsbedarf gibt.«

Unterdessen kommen immer mehr Details über den Hauptverdächtigen, Christian L. ans Licht. Polizeibeamte fanden laut Medienberichten eine Festplatte des Lebensgefährten der Mutter des Opfers in einem See nahe seiner Wohnung im südbadischen Staufen. Bei der Durchsuchung derselben  sei den Beamten dem Bericht zufolge aufgefallen, dass die Festplatte einer der Computer fehle. Zwei Tauchgänge von Polizeitauchern im Staufener Stadtsee blieben ohne Ergebnis. Ende November wurde dann im See das Wasser abgepumpt – die Festplatte konnte gefunden werden. Sie gilt als wichtiges Beweismittel in dem Missbrauchsfall, der in Baden-Württemberg als beispiellos gilt.

Die Mutter von Christian L. sagte in einem Interview mit »Spiegel TV«, dass ihr Sohn schon immer ein Außenseiter gewesen sei. Der mutmaßliche Straftäter habe selbst eine schwere Kindheit gehabt, sei ungewollt aus einer Vergewaltigung entstanden und vom Vater geschlagen worden,  erzählt Angelika L. im Gespräch mit »Spiegel TV«. Von dem Missbrauch an dem neunjährigen Sohn seiner Lebensgefährtin habe sie nichts mitbekommen. »Für mich ist er gestorben«, betont sie.

Der erste Prozess in dem Missbrauchsfall könnte bereits im Frühjahr beginnen. Dem Landgericht liege bereits eine  Anklage vor, sagt ein Sprecher. Derzeit werde geprüft, wann eine mögliche Verhandlung starten könne. Dies wird voraussichtlich noch vor dem Sommer sein, unter Umständen im April. Es hänge jedoch davon ab, ob noch Gutachten eingeholt werden müssten. Um welchen Angeklagten es sich handelt, wollten Gericht und Staatsanwaltschaft zunächst nicht öffentlich machen.
Unabhängig davon kam es derweil in Dänemark zu massenweisen Anklagen wegen der Verbreitung von Jugendpornografie. 1000 junge Dänen sollen pornografische Videos und Bilder von 15-Jährigen verbreitet haben und wurden deshalb angeklagt. »Wir nehmen das sehr ernst, da es große Konsequenzen für die Beteiligten hat, wenn sich solches Material ausbreitet«, erklärte die Reichspolizei. Es gehe um zwei Videos und ein Foto, die über den Facebook-Dienst Messenger vor allem unter jungen Leuten geteilt wurden.
 
Facebook habe die amerikanischen Behörden eingeschaltet, die den Fall via Europol nach Dänemark weitergegeben hätten. Das dänische Gesetz verbietet das Teilen von pornografischen Videos und Fotos von Unter-18-Jährigen. Eine Verurteilung könne bedeuten, dass man nicht mehr in einem Kindergarten arbeiten oder Fußballtrainer sein dürfe, erklärte die Polizei. Außerdem könne es Probleme geben, wenn die Verurteilten in die USA einreisen wollten.