Die Männer sollen laut Anklage Mitte Oktober 2018 eine 18-Jährige nachts in einem Gebüsch vor einer Diskothek vergewaltigt haben. Foto: (dpa)

Männer müssen in Haft. Meiste Täter sind Flüchtlinge. Prozess dauerte länger als ein Jahr. 

Freiburg - Im Prozess um eine Gruppenvergewaltigung an einer 18-Jährigen hat das Freiburger Landgericht mehrere Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt. Das Strafmaß reicht bis zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe, wie der Vorsitzende Richter am Donnerstag verkündete. Angeklagt waren elf Männer, die zur Tatzeit im Oktober 2018 zwischen 18 und 30 Jahre alt waren.

 

Der Medienrummel ist groß. Der Zuschauerandrang hält sich, anders als zu Prozessbeginn, in überschaubarem Rahmen – corona-bedingt: Nur 30 Besucher sind aufgrund der Bestimmungen zugelassen. Im Freiburger Paulussaal hat am Donnerstag die Jugendkammer am Landgericht Freiburg unter dem Vorsitz von Richter Stefan Bürgelin die Urteile im Prozess um die Gruppenvergewaltigung im Oktober 2018 der zur Tatzeit 18 Jahre alten Anne B. (Name geändert) gesprochen.

Die 18-Jährige ist damals mit einer Freundin zum Feiern in der Diskothek Hans-Bunte-Areal im Freiburger Norden unterwegs, als sie auf Majd H. und Alaa al M. trifft, der ihr eine Ecstasy-Pille und möglicherweise ein Getränk mit K.-o.-Tropfen gibt. Die junge Frau verlässt mit Majd H. die Disco, angeblich will er ihr ein Tattoo zeigen. Dann fällt er in einem Gebüsch über Anne B. her und missbraucht sie, bevor er Alaa al M. einlädt, es ihm gleichzutun.

Fünfeinhalb Jahre wegen Vergewaltigung

Wie so oft in den vergangenen Monaten verzögert sich auch dieser auf 11 Uhr festgesetzte letzte Termin in dem Mammutprozess ein wenig. Dann ist klar: Nach 13 Verhandlungsmonaten und mehr als 40 Verfahrenstagen wird der Hauptangeklagte Majd H. wegen Vergewaltigung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Damit entspricht das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Verteidiger Jörg Ritzel hat einen Freispruch gefordert, Opferanwältin Christiane Steiert hingegen sechs Jahre und neun Monate. Der heute 23-jährige Majd H., dem noch ein weiterer Vergewaltigungsprozess in einem anderen Fall bevorsteht, nimmt das Urteil mit Tränen in den Augen auf.

Dem Hauptangeklagten hält Bürgelin vor: "Sie haben die Sache ins Rollen gebracht und ausgenutzt." Majd H.habe die junge Frau nach der ersten Vergewaltigung ganz bewusst den anderen Tätern zugeführt. "Deshalb haben Sie die höchste Strafe verdient", erklärt Bürgelin. "Das Urteil ist für mich keine Überraschung", sagt der Anwalt des 23-Jährigen.

Für Alaa al M., den Freund von Majd H., der dem Opfer vor der Tat die Ecstasy-Pille gegeben hat, verhängt das Gericht vier Jahre und drei Monate Haft wegen Vergewaltigung. Auch für ihn hat Verteidigerin Kerstin Oetjen, wie alle weiteren Anwälte für ihre Mandanten ebenfalls, einen Freispruch gefordert.

Geschädigte kann sich nur bruchstückhaft an die Tatnacht in Freiburg erinnern

Vier Jahre Haft erhält Timo P., der einzige Deutsche unter den elf angeklagten jungen Männern, die zur Tatzeit im Herbst 2018 alle zwischen 18 und 30 Jahre alt gewesen sind. Timo P. schüttelt bei der Urteilsverkündung den Kopf und drückt damit seine Missbilligung aus. Er hat in dem Prozess vehement behauptet, dass das Opfer ihn verführt und massiv Sex von ihm eingefordert habe.

Doch das Gericht schenkt diesen Ausführungen keinen Glauben: Die Aussagen von Anne B., die an weite Teile der Tat nur noch bruchstückhafte Erinnerungen hat, sind glaubhaft gewesen. Die These vom freiwilligen Sex hingegen weist der Vorsitzende Richter Bürgelin als Schutzbehauptung zurück: "Das ist in so einem Fall eine Standardeinlassung, die nicht originell ist", erklärt er.

Gutachter haben in dem Verfahren geschildert, dass das Opfer durch den Ecstasy-Rausch so überrumpelt gewesen sein müsse, dass es überhaupt kein Interesse an Sex gehabt haben könne. Vielmehr sei die Frau wehr- und hilflos ihrem Martyrium ausgesetzt gewesen, was sich die Täter zunutze gemacht hätten. Die 18-Jährige hat zudem Alkohol und Koffein im Körper gehabt. Sie habe jegliches Zeitgefühl verloren und habe nicht mehr über das Gefühl verfügt, in ihrem eigenen Körper zu sein.

Über Anne B. wurde zuletzt im Prozessverlauf bekannt, dass sie durch die Vergewaltigungen in der Tatnacht schwer traumatisiert und nicht vernehmungsfähig ist. "Die Tatfolgen sind schwer", sagt Bürgelin. Sie leidet einem ärztlichen Attest zufolge weiter unter der Tat. Bis heute habe sie mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und Schlafproblemen zu kämpfen.

Für fünf weitere Angeklagte verhängt das Gericht Haftstrafen zwischen 14 Monaten Jugendstrafe und dreieinhalb Jahren Haft wegen Vergewaltigung. Bei Ahmed al H. wird in die dreijährige Jugendstrafe auch eine Verurteilung wegen Drogenhandels einbezogen. Für den Angeklagten Muhanad M., der dem Opfer in der Tatnacht geholfen hat und bereits im Herbst 2019 aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, wird eine Jugendstrafe von elf Monaten wegen Drogenbesitzes ausgesprochen. Von allen anderen Anklagepunkten wird er freigesprochen.

Der Vorsitzende Richter Stefan Bürgelin redet den Verurteilten mehrfach ins Gewissen

Zwei weitere Angeklagte, die ebenfalls seit dem vergangenen Herbst auf freiem Fuß sind, werden wegen unterlassener Hilfeleistung zu vier Monaten Haft beziehungsweise sechs Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt, aber vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Durch die lange Untersuchungshaft dürften sie ihre Strafen bereits verbüßt haben. Objektive Beweise für eine Tatbeteiligung, wie beispielsweise die DNA-Spuren der verurteilten Vergewaltiger am Opfer und am Tatort, gibt es bei Muhanad M. und den beiden anderen jungen Männern nicht.

Mehrfach redet Bürgelin den Verurteilten ins Gewissen. Einem sagt er: "Wenn Sie nicht Ihren Lebenswandel ändern, werden Sie einen großen Teil Ihrer Zeit hier in Deutschland im Gefängnis verbringen." Er erinnert daran, dass gerade Sexualstraftäter in den Haftanstalten in der Hierarchie der Gefangenen ganz unten stünden und zum Teil Gewalt ausgesetzt seien. Anderen bescheinigt er zumindest das Bemühen, sich eine neue Existenz aufzubauen. "Das Verfahren soll auch eine Chance für einen Neuanfang sein."

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Binnen einer Woche können Rechtsmittel eingelegt werden. Der Fall hat im Jahr 2018 bundesweites Entsetzen ausgelöst. Die Tatsache, dass zehn der elf Angeklagten junge, überwiegend aus Syrien stammende Flüchtlinge waren, sorgt für große Empörung. In Freiburg wird als Reaktion auf das Verbrechen die Sicherheitspartnerschaft zwischen der Stadt und dem Land ausgebaut. Zuletzt ist die Gewaltkriminalität in der Stadt aber rückläufig gewesen.

Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) betont am Donnerstag die besonnene Haltung der Freiburger zu dem Fall. "Freiburg hat sich nicht politisch instrumentalisieren lassen", sagt er dem Südwestrundfunk. Dafür sei er dankbar. Da die meisten Angeklagten Geflüchtete seien, habe es viel "Hass und Hetze" gegeben und den Versuch, etwa von AfD-Seite, den Fall politisch zu nutzen.

Die Rechtsanwältin von Anne B. äußert sich am Donnerstag zufrieden über die Urteile. Sie weist aber darauf hin, dass sie noch nicht rechtskräftig seien. "Im Endeffekt bin ich froh über die Verurteilungen. Mein Impetus, meine Hoffnung ist, dass die Geschädigte damit abschließen kann." Sie rechnet mit Revisionen zu den Urteilen.