Der Angeklagte sitzt im Gerichtssaal. Foto: Deckert

Angeklagter spricht über kuriosen Werdegang zum buddhistischen Lehrmeister. Lange Liste an Straftaten.

Freiburg/Düsseldorf - Vor zwei Jahren hat er einen Mann ins Gleisbett geschubst. Deshalb und wegen vieler weiterer Vergehen muss sich der Tatverdächtige nun vor Gericht verantworten. Dort wartet er mit einer abenteuerlichen Geschichte über sein Leben auf.

Werner P. (76, Name geändert) hatte Glück im Unglück, als er am 24. Juli 2017 im S-Bahnhof Düsseldorf-Unterrath von einem zunächst unbekannten Angreifer vom Bahnsteig auf die Gleise gestoßen wurde. Es kam gerade kein Zug, mehrere Helfer vor Ort eilten dem Mann zur Hilfe und konnten ihn schwer verletzt aus dem Gleisbett retten, bevor die nächste Bahn einfuhr. Dennoch: Ein Milzriss, Verletzungen im Gesicht und ein Beckenbruch zeugten hinterher von der Schwere des Angriffs auf den älteren Herrn, der am Freitag in Freiburg vor der 16. Großen Strafkammer des Landgerichts zusammen mit weiteren Zeugen gehört werden soll.

Angeklagt ist dort nämlich der Mann, der P. das alles angetan haben soll. Holger M. (50, Name geändert) sitzt zurzeit in der forensischen Abteilung der Psychiatrie in Emmendingen. Er ist ein Mann mit einer überaus bewegten Vergangenheit, zumindest wenn man dem Lebenslauf Glauben schenkt, den Verteidiger Björn Seelbach aus Bonn im Namen seines Mandanten vorträgt. Demnach war der geborene Kölner bereits als EDV-Berater, Aufnahmeleiter beim Fernsehen und als Verkäufer von Holzengeln auf diversen Märkten berufstätig. Er war Soldat, hat diverse Studiengänge angefangen, galt in der Schule als hochbegabt, hat aber das Gymnasium wegen "rebellischer Verhaltensweisen" vorzeitig verlassen.

Vor allem aber war und ist Holger M. ein Tulku – ein Lehrmeister im Buddhismus, der als vorhergesagte Wiedergeburt eines früheren Lehrmeisters lebt. Und Tulkus werden krank, wenn man sie nicht als solche anerkennt. Das betont zumindest Holger M., der in den 90er-Jahren zum Studium nach Freiburg kam. Holger M. ist ein kranker Tulku, er leidet an Schizophrenie, schon seit vielen Jahren, immer wieder.

Häufig schon war er in der Psychiatrie. In Emmendingen, so ist er überzeugt, gebe es eine Anweisung, ihn zwangsweise zu behandeln und zu fixieren, sobald er dort eingeliefert wird. 40 Mal sei das schon so gewesen. Und das, so der 50-Jährige auf die Frage des psychiatrischen Gutachters, sei auch der Grund, dass er nicht mehr dem buddhistischen Gebot der Gewaltfreiheit habe folgen können. Er habe "das nicht mehr puffern können", erklärt der Mann, der aus Sicht von Staatsanwalt Matthias Rall eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt und auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie untergebracht werden soll.

Denn der Angriff auf Werner P. ist nicht die einzige Straftat, die Holger M. vorgeworfen wird. Rund 50 Punkte umfasst die Anklage. Die meisten davon sind Zechprellereien in und um Freiburg, nicht bezahlte Taxifahrten ins Bordell und Fahrten mit der Bahn ohne Ticket.

Es sind aber auch schwere Gewalttaten dabei: der besagte Angriff in Düsseldorf, eine Attacke auf einen Mitgefangenen, den H. fast erwürgt hätte, und ein angeblicher Angriff mit dem eigenen Auto auf den Wagen zweier Männer, die ihm vor vier Jahren keine Zigarette geben wollten. Die meisten Delikte räumt Holger M. ein, vor allem die Zechprellereien. Er sei "kein Unschuldslamm", sagt der Mann. "Manche Punkte in der Anklage berühren mich", sagt er. Deshalb habe er sich selbst nun auch dazu verpflichtet, seine Medikamente gegen die Schizophrenie zu nehmen. Zu den schwereren Taten habe sein Mandant aber "eine andere Sicht der Dinge", meint Verteidiger Seelbach.

So sei der Angriff mit dem Auto in Wirklichkeit ein Versehen gewesen, als dem Angeklagten beim Einparken der Fuß von der Kupplung gerutscht sei. Und auch die Attacke auf Werner P. sei "nur ein Reflex" gewesen, als dieser dem geistig verwirrten Holger M., der barfuß unterwegs gewesen sei, versehentlich fast auf den Fuß getreten sei, erklärt Seelbach am Rand der Verhandlung. Mitte Oktober soll in dem Fall ein Urteil oder ein Beschluss ergehen.