Heinz Kindler (links) liefert seinen Zwischenbericht im Fall Alessio ab. Foto: Deckert

Experte liefert Zwischenbericht im Fall des totgeprügelten Dreijährigen ab: Kinderschutz war verbesserungswürdig.

Freiburg - Eine Woche nach dem Urteil gegen einen Landwirt aus Lenzkirch (im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald), der im Januar seinen drei Jahre alten Stiefsohn Alessio durch mehrere Schläge in den Bauch getötet hat, hat der Münchner Kinderschutzexperte Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) im Kreistag des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald einen Zwischenbericht seiner Analyse zur Arbeit der Behörden im "Fall Alessio" vorgestellt. Das Ergebnis: Man könne rückblickend nicht wissen, ob Alessios Schicksal anders verlaufen wäre, wenn die Behörden anders gehandelt hätten.

Insgesamt machte Kindler fünf Problemfelder aus. Demnach haben die Fachkräfte im Jugendamt zu lange an ihrem Konzept festgehalten. Sie sahen den Stiefvater "eher als Ressource denn als Risiko". Auch sei zu lange daran geglaubt worden, dass die Kooperationsbereitschaft der Familie allein die Situation von Alessio verändern könnte. Kindler betonte, dass dieser Fehler häufig anzutreffen sei.

Der Kinderschutzexperte regte auch eine stärkere Einbindung von Leitungspersonal im sozialen Dienst durch die Sachbearbeiter an: Denn es sei nicht sichtbar, dass die Maßnahmen des Amtes im Fall Alessio gegriffen hätten. Dezernenten oder Landräte, die in der Regel keine Fachleute für Familienprobleme sind, in den Fall miteinzubeziehen, sei dagegen wenig sinnvoll gewesen. Er stellte auch die Maßnahmen des Jugendamts auf den Prüfstand. Kindler weiß: Die "Hilfelandschaft" im Hochschwarzwald ist dünn besiedelt. Und es sei ein falscher Glaube, dass eine Fachkraft in der Familie zwingend zu Verbesserungen führt. Für ihn stellt sich die Frage, ob nicht zu viel Rücksicht auf Alessios psychisch kranke Mutter genommen wurde. Kritik gab es auch an der Zusammenarbeit im Hilfsnetzwerk der Familie: So tauche die Psychiatrie, in der Alessios Mutter Patientin ist, überhaupt nicht in den Akten auf.

Insgesamt habe sich bei der Kooperation zwischen Amt und Kinderklinik gezeigt, dass unterschiedliche Expertenmeinungen nebeneinander standen, ohne dass weitere Gespräche erfolgten. Letztlich müsse die "kindbezogene Erfolgsbewertung" mehr Gewicht bekommen. Die Frage, was ein Kind braucht, müsse öfter gestellt werden. "Dieser einfache Punkt ist mit am schwierigsten umzusetzen", schildert Heinz Kindler seine Erfahrung. Eine schnelle Inobhutnahme von Kindern sei keine Allheilmittel.

Martin Barth, Erster Landesbeamter im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald, kündigte noch in der Sitzung an, erste Anregungen Kindlers, beispielsweise bei der Einbindung von Leitungspersonal in der Diskussion von Einzelfällen, umgehend umsetzen zu wollen. Im Januar soll Kindlers Abschlussbericht vorgestellt werden.