Frauen in sogenannten Mint-Berufen sind relativ selten. Beim Netzbetreiber Netze BW sind sie gesucht, weil für die Energiewende alle Hände gebraucht werden – und es gibt auch schon Vertreterinnen in der Männerdomäne. Wir stellen drei Frauen vor.
Sophia Rath hat sich schon im Kindergartenalter einen Rechenschieber auf dem Flohmarkt gekauft – vom eigenen Geld. Samantha Nowak malte lieber die „Star Wars“-Figuren R2-D2 und C-3PO als Blumenwiesen. Und Andrea Scharenberg hat schon immer das Fach Mathe am meisten geliebt und ist heute umso mehr entgeistert, wenn ihre Tochter von der Schule kommt und verkündet: „Mathe muss ich ja nicht können. Ich bin ja ’ne Frau.“ Wo das herkommt, fragt sie sich: „Wer erzählt den Kindern so was?“
Am mütterlichen Vorbild kann es eigentlich nicht liegen. Denn Andrea Scharenberg hat nicht nur Maschinenbau studiert – eine Fachrichtung, in der nur jede(r) fünfte Studierende weiblich ist –, sondern arbeitet auch Vollzeit, und zwar als Teamleiterin Dokumentation Hochspannung beim baden-württembergischen Netzbetreiber Netze BW. Die 44-Jährige muss mit ihrem Team dafür sorgen, dass alle Anlagen und Leitungen so dokumentiert sind, dass die Techniker draußen effizient herausfinden können, wo sie hinlangen müssen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Oder die Planungsabteilung sieht, auf welchen Masten noch Platz für zusätzliche Leitungen ist – denn die braucht es dringend für die Energiewende. Zurzeit ist Scharenbergs Hauptaufgabe die Digitalisierung der Informationen. „Das ist hochspannend“, sagt sie. „Wir machen aus dummen Dokumenten intelligente Daten.“
Scharenbergs Daten nutzt beispielsweise Samantha Nowak. Die 24-Jährige arbeitet bei Netze BW Calw als Netzmonteurin in der Instandhaltung – als einzige Frau in einem Team von 20. Schon ihr Vater hat beim Unternehmen als Elektromeister gearbeitet. Er erzählte viel von seinem Beruf, sagt Nowak, nahm sie mit ins Umspannwerk – und stieß auf offene Ohren bei seiner Tochter. Zweifel an ihrem technischen Interesse und Talent versuchte vorübergehend zwar ein Informatiklehrer zu säen: Er vermittelte den Mädchen in seinem Unterricht den Eindruck, dass weibliche Wesen in einem technischen Fach nichts zu suchen hätten, erzählt sie. Er hatte aber keinen Erfolg – zumindest nicht nachhaltig.
Heute berichtet Nowak mit leuchtenden Augen von ihrem Einsatz bei Ausnahmesituationen wie Stromausfällen, in denen ihr Team dafür sorgte, dass das Licht im Ort wieder anging und sich die Supermarkttüren wieder öffneten. Oder von einer Kindergartengruppe, die vorbeikam, als ihr Kollege oben im Korb eine Straßenleuchte reparierte, während sie unten sicherte und zuarbeitete. Großes Hurra, aber noch mehr Aufregung, als ein Mädchen der Gruppe entdeckte, dass da ja eine Frau unter einem der Sicherheitshelme steckte: „Boah, guckt mal, da ist sogar ’ne Frau dabei!“
Die Dritte im Bunde, Sophia Rath, hat ebenfalls Maschinenbau studiert. An der RWTH Aachen, einer renommierten Universität mit technischem Schwerpunkt und gerade mal einem Drittel Frauen unter den Studierenden. Im Maschinenbau sind es sogar nur 14 Prozent. Zu Raths Unizeit noch weniger. „Ich habe immer wieder auf Partys Studienkollegen getroffen, die meinen Namen kannten, während ich gar keine Ahnung hatte, wer das war“, sagt sie lachend, „die haben mich wahrscheinlich mal auf einer Veranstaltung getroffen, und ich war die einzige Frau. Mein Gegenüber war aber wahrscheinlich für mich der fünfte Christian.“ Exotenstatus wegen seltenen Vorkommens. Frauen sind in technischen Berufen nach wie vor Mangelware. Auch bei Netze BW, dem größten Verteilnetzbetreiber von Strom im Land, sind sie deutlich in der Minderzahl. Etwas mehr als ein Fünftel der Belegschaft ist weiblich. Das entspricht in etwa dem Durchschnitt in Ingenieurberufen.
„Ich hab’ das zu meinem Asset gemacht“, sagt die 29-Jährige selbstbewusst, „mittlerweile will ich im Gedächtnis bleiben.“ Raths blaue Haare helfen dabei. Bei Netze BW ist sie seit zwei Jahren im Bereich Innovationen tätig. Als Data Scientist wendet sie Künstliche Intelligenz (KI) auf die Daten des Konzerns an. Konkret geht es bei ihr beispielsweise um die Analyse von Fotos, die mit Drohnen bei der Netzinspektion aufgenommen werden. Die KI soll helfen, auf diesen Aufnahmen Schäden zu identifizieren. Diese Aufgabe füllt Raths Arbeitszeit zur Hälfte. Im Rest der Zeit leitet sie das Projekt Network2, ein Stipendium, mit dem Netze BW Studierende mit Affinität zu energiewirtschaftlichen und netztechnischen Themen fördert. „Eine spannende Mischung“, findet sie, „und wer hätte geahnt, dass das bei einem Maschinenbaustudium herauskommt?“ Aber Exotin zu sein hat natürlich nicht nur Vorteile. Vor allem Andrea Scharenberg – einzige Frau unter zwölf Teamleitern – wünscht sich dringend mehr Kolleginnen. „Es braucht schon zwei bis drei Frauen in einer Abteilung als kritische Masse“, findet sie. „Damit es normal ist.“ Und um Gleichgesinnte um sich zu haben. Die drei jedenfalls können ihre Entscheidung empfehlen. „Das ist eine vielversprechende Berufswahl, in der man viel bewegen kann“, findet Scharenberg, und das sei ihr durchaus wichtig: „Gerade in Zeiten der Energiewende kann man als Ingenieurin einen echten Beitrag für die Gesellschaft leisten.“
Frauen in Mint-Berufen
Mint
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik werden gemeinsam zu Mint abgekürzt. Obwohl 2020 etwa die Hälfte der rund 3,3 Millionen Studierenden in Deutschland weiblich war, lag der Frauenanteil in Mint-Studiengängen laut Eurostat nur bei etwa 29 Prozent. Noch krasser ist das Missverhältnis bei Ausbildungsberufen: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft lag die Frauenquote in Mint-Facharbeiterberufen Ende März 2021 bei 13,8 Prozent.
Netze BW
Von den gut 5240 Mitarbeitern der Netze BW ist etwa jeder fünfte eine Frau (21,5 Prozent). In den Führungsebenen liegt der Frauenanteil bei 15,6 Prozent. Und fast jede dritte Frau bei Netze BW (31,7 Prozent) arbeitet in Teilzeit. Im Förderprogramm Netzwerk2 liegt der Frauenanteil bei einem Drittel.