Unter den 138 Abgeordneten im Landtag in Stuttgart sind nur 27 Frauen Foto: Lange

Frauen wollen mehr Plätze im Landtag, doch dort sitzen bereits Männer. Weil das Parlament eine Änderung des Wahlrechts ablehnt, mit der mehr Frauen zum Zug kommen könnten, planen die jetzt eine Volksinitiative. Die Männer verstehen das nicht.

Stuttgart - Ein bisschen wirkt es wie Zoff in der Ehe. Sie sagt plötzlich nichts mehr. Keine Widerworte, kein Vorwurf. Sie grollt nur in der Ferne. Dann weiß man(n), dass es Ernst ist.

Leni Breymaier grollt gerade. Ihren Zorn über den Landtag und über ihre eigenen SPD-Abgeordneten hat sie in den vergangenen Tagen mehrfach rausgelassen, doch jetzt presst sie durch die Lippen: „Das Thema ist durch.“ Sie rechne nicht damit, dass das Wahlrecht bis 2016 noch geändert werde. Und dann fügt die Vizechefin der SPD leise hinzu: „Wir lassen uns das nicht bieten.“

Geschlechterkrieg im Landtag? O.k., unter den 138 Landtagsabgeordneten sitzen nur 27 Frauen. Aber es ist ja nicht neu, dass Baden-Württemberg die rote Laterne trägt. Und dass der Fortschritt eine Schnecke ist. Neu aber ist, dass SPD und Grüne das gerade ändern könnten. Ihre dünne Mehrheit würde nämlich ausreichen, um das Wahlrecht so zu regeln, dass der Wähler nicht nur eine Stimme hat, sondern zwei. Mit der ersten ließe sich ein Kandidat wählen, mit der zweiten eine Liste: Und darauf könnten eben Frauen zum Zug kommen.

Es lebe der Konsens

So stellt sich das Leni Breymaier vor. Und mit ihr so gut wie alle Frauenorganisationen im Land, nicht nur jene von Grün und Rot. Doch die Regierungsfraktionen – oder besser: deren Männer – wollen einfach nicht. Obwohl sie es doch zu Beginn ihrer Liebeskoalition hoch und heilig besiegelt hatten.

Eigentlich könnten sie die Schuld ja der CDU in die Schuhe schieben. Denn deren Führung sagt ganz offen: „Ein Listenwahlrecht gibt es mit uns nicht.“ Warum auch? Wo ihre (meist männlichen) Kandidaten doch sämtliche Mandate direkt gewonnen haben. Das Wahlrecht sei ja auch einfacher mit nur einer einzigen Stimme, argumentiert Parteichef Thomas Strobl und beruft sich auf Bundestagspräsident Norbert Lammert. Der hat erst kürzlich Baden-Württemberg als leuchtendes Beispiel für ein bürgerfreundliches Wahlverfahren gepriesen. So etwas ändert man doch nicht.

Damit das auch wirklich niemand wagt, haben die Christdemokraten der Koalition eine kleine Daumenschraube angelegt: Denn die würde gern auch die Verfassung ändern, um Volksabstimmungen zu erleichtern. Das macht sich schließlich gut in der grün-roten Bilanz des „Gehörtwerdens“. Doch leider, leider braucht man dafür die Hilfe der CDU. Und überhaupt: Wahlrechtsfragen habe man doch schon früher nur einvernehmlich geregelt, heißt es in der Koalition. Es lebe der Konsens.

„Die Männer müssen sich bewegen“

„Kuschelkurs“ zischt es den Abgeordneten da entgegen. Claudia Sünder (SPD) vom Landesfrauenrat zum Beispiel will nicht verstehen, was Volksabstimmungen mit Frauenförderung zu tun haben. Diesen Deal hätten ihre Männer niemals machen dürfen, sagt sie. Auch die Grünen-Landesvorsitzende Thekla Walker bringt die Gefechtslage auf die einfache Formel: „Für denjenigen, der schon im Landtag sitzt, ist die Reform eben eine Gefahr.“

Es kommt selten vor, dass man solche Sätze wortgleich aus sämtlichen Lagern hört. „Wenn ich als Mann im Landtag säße, würde ich doch auch nichts tun, um meine Konkurrenz zu stärken“, sagt Margot Wagner. Die 61-jährige Christdemokratin aus Ellwangen gehört der Frauenunion an und fürchtet, dass der Anteil weiblicher Abgeordneter 2016 noch geringer wird: „Die Männer müssen sich bewegen.“

So stehen sie also wieder mal am Pranger, die Herren der Schöpfung. Da mag SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel noch so abwehren. Seine Fraktion bevorzuge das alte, stark auf Persönlichkeiten bezogene Wahlrecht, anstatt den Parteien Einfluss zu verschaffen, sagt er: „Die hätten dann mehr Durchgriffsmöglichkeit.“ Ja, im Landtag säßen zu wenige Frauen, räumt er ein. Doch dafür seien auch die örtlichen Parteispitzen verantwortlich, die die Kandidaten nominieren. Schmiedel: „Das ist doch nicht gottgegeben, sondern eine Frage der politischen Gestaltung.“

Auf der Suche nach Bündnispartnern

Um den Kreisverbänden mehr Druck zu machen, verspricht er den Frauen Hilfe „unterhalb der Wahlrechtsänderung“. Die soll so aussehen, dass jene Partei-Kreisverbände, die für mehrere Wahlkreise zuständig sind, ihre Kandidaten künftig auf einer einzigen Versammlung wählen dürfen. So müssten also zum Beispiel die SPD-Mitglieder des Kreisverbands Ludwigsburg, wo die drei Kandidaten für die drei Wahlkreise bisher getrennt nominiert wurden, einen eventuellen männlichen Durchmarsch in dreifacher Stärke erleben – und rechtfertigen. Schmiedel glaubt, dass dieses Instrument disziplinierend wirkt.

Doch Begeisterungsstürme wurden darüber im weiblichen Lager noch nicht vernommen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das etwas bringt“, sagt Schmiedels Fraktionskollegin Sabine Wölfle. Und Grünen-Chefin Thekla Walker ätzt: „Das sind bloß kosmetische Korrekturen.“ Weil sie nicht mehr glauben, dass sich im Landtag noch etwas bewegt – neben der Grünen-Fraktion lässt nur die FDP Reformbereitschaft erkennen – wollen die Frauen nun außerhalb des Parlaments die Initiative ergreifen.

Sobald der Landtag die Hürden für die direkte Mitwirkung gesenkt hat, so die Idee, könnte man das neue Instrument für eine Änderung des Landtagswahlrechts nutzen. „Dazu müssen wir erst einmal Luft holen und Bündnispartner suchen“, sagt Breymaier. Ob am Ende eine Volksabstimmung herauskommt oder eine Volksinitiative, mit der man den Landtag zwingen kann, sich mit dem Thema zu befassen, ist noch offen. Aber dass sie ein breites Bündnis anstreben, bekräftigen Frauen aus allen Lagern.

Männer setzen auf Freiwilligkeit

Am 20. Oktober soll die Kampagne starten. An diesem Datum jährt es sich zum 20. Mal, dass der Bundestag den Gleichstellungsgartikel im Grundgesetz mit folgendem Satz ergänzt hat: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ 20 Jahre! Warum hat das bisher nicht funktioniert? Und warum sorgen schließlich auch Frauen dafür, dass Frauen unterrepräsentiert sind in Parlamenten, weil sie Männer wählen?

Die Emmendinger SPD-Abgeordnete Sabine Wölfle hat dafür ihre eigene These: „Solange Frauen nicht sichtbar sind in der Politik, sind andere Frauen misstrauisch.“ Politik werde nämlich von vielen als männliche Angelegenheit angesehen – mit männlichen Akteuren und männlichen Spielregeln. Erst wenn Frauen auch im Gemeinderat und im Landtag „normal“ würden, so glaubt Wölfle, werde es auch normal für ihre Geschlechtsgenossinnen, ihrem Beispiel zu folgen.

Dass man diese Endlosschleife (auch in der Wirtschaft) durchbrechen kann, zeigt sich für die Abgeordnete in Skandinavien mit seinen zahlreichen weiblichen Führungskräften. „Männer sind da oft Sekretäre von Chefinnen, und alle finden das ganz normal.“ Doch bis dahin sei es hierzulande noch weit – und so lange seien eben Quoten nötig. Oder Listen.

Doch wie immer setzen die Männer auf Freiwilligkeit. Auch für die Kommunalwahl am 25. Mai wird es keine Pflichtquote geben. Der Landtag hat sich vielmehr auf eine weiche Regelung verständigt: Die Listen „sollen“ paritätisch besetzt sein. Breymaier kann das nicht mehr hören: „Selbstverpflichtungen funktionieren nicht.“