1,5 Millionen Jahre alte Fußspuren liefern erstmals den Beweis, dass frühe Menschenarten gemeinsam in einem Lebensraum koexistierten. Davon zeugen Abdrücke am Turkanasee in Kenia, die von zwei verschiedenen Homininen stammen.
Die Ursprünge der Menschheit sind rätselhaft und verworren. Denn in der Zeit vor vier bis einer Million Jahren entwickelten sich in Afrika gleich mehrere Vor- und Frühmenschenarten. Einige wurden zu unseren Vorfahren - wie der Homo habilis und der Homo erectus. Andere starben ohne Nachfahren aus – wie der Homo naledi, der Paranthropus boisei oder einige Australopithecus-Arten.
Beide Hominine, Homo erectus und Parantropus boisei, müssen einst innerhalb weniger Stunden am Ufer des Turkanasees beim heutigen Koobi Fora im Nordosten Kenias entlanggelaufen sein. Möglicherweise sind sie sich sogar begegnet, wie es in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Science“ heißt.
Fossilienfunde in Koobi Fora
Koobi Fora ist eine weltberühmte paläoanthropologische und paläontologische Fundstätte im Nordosten Kenias, die Fossilien aus der Zeitspanne vom mittleren Pliozän bis zum mittleren Pleistozän abdeckt – also aus der Zeit vor rund 4 Millionen Jahren bis vor rund 1 Million Jahre. Sie wurde erstmals ab 1968 von den Palöoanthropologen Richard Leakey systematisch erforscht.
Bisherige Funde legen nahe, dass einige dieser Homininen gleichzeitig und nicht weit voneinander entfernt lebten. Ob diese frühen Menschenarten aber denselben Lebensraum teilten und sich gar begegneten, ist unklar. Die spärlichen Fossilfunde liegen zu weit auseinander, um eine klare Auskunft über eine solche Koexistenz zu geben.
Fußspuren im urzeitlichen Uferschlamm
Fußabdrücke am Ufer des Turkanasees
Jetzt liefern neue Funde in Koobi Fora den lange gesuchten Beweis für eine Koexistenz unter frühen Menschenformen. Seit der Grabungen von Richard Leakey sind Paläoanthropologen hier auf tausende Knochen verschiedener Vor- und Frühmenschenarten sowie Steinwerkzeuge und Tierknochen gestoßen.
Im Jahr 2007 fanden sie versteinerte Fußspuren des Homo erectus, die dessen dem Homo sapiens sehr ähnliche Fußanatomie und Gehweise belegen.
Ein Forscherteam um Kevin Hatala von der Chatham University in Pittsburgh hat jetzt weitere Fußabdrücke untersucht, die im Jahr 2021 am Seeufer gefunden und 2022 freigelegt wurden. Dabei handelt es sich um eine durchgehende Spur einer Person sowie um mehrere einzelne Abdrücke, die von anderen Individuen stammen.
Info: Homo erectus
- Vor zwei Millionen Jahren entstand in Ostafrika ein weiterer Ast auf dem evolutionsgeschichtlichen Weg zum modernen Menschen – Homo erectus. Dieser Frühmensch hatte ein kräftiges, größeres Skelett und einen massiven Schädelknochenbau.
- Bereits vor 1,5 Millionen Jahren machten sich Gruppen des Homo erectus auf und verließen Afrika. Über den Nahen Osten zogen diese kleinen Clans bis nach Südost- und Ostasien sowie nach Südeuropa, wo sie den Zweig des Homo heidelbergensis begründeten, der vor rund 700 000 Jahren in Mitteleuropa auftauchte.
- Homo erectus war groß von Gestalt und zudem ein guter Läufer, der größere Tiere wie Antilopen jagte. Da er ein größeres Hirnvolumen als seine Vorfahren hatte, war er höchst geschickt im Bau von Werkzeugen.
- Wahrscheinlich war auch er es, der mit dem Speer die erste bewusst von Hand gefertigte Fernwaffe kreierte. Und er war der erste Frühmensch, der das Feuer zähmte und Werkzeuge erschuf, um Behausungen zu bauen. Der erste Baumeister in der Evolutionsgeschichte des Menschen war geboren.
Info: Paranthropus boisei
- Der „Nussknackermensch“, Paranthropus boisei steht hier für eine Sackgasse der menschlichen Evolution. Die ausgestorbene Gattung Paranthropus lebte vor rund zwei Millionen Jahren in Ostafrika.
- Aufgrund der sehr großen Backenzähne und der ebenfalls sehr großen Knochenleisten am Schädel legen nahe, dass er sich – wie heute noch einige Pavianarten – vor allem von harten Steppengräsern ernährte.
- Die Entdeckerin der ersten Funde von Paranthropus boisei, Mary Leakey (die Mutter von Richard Lekey), benannte die Art zunächst Zinjanthropus boisei.
Schnappschüsse aus der Evolution
„Fossile Fußabdrücke sind spannend, weil sie Schnappschüsse darstellen, die Einblicke in das Leben unserer fossilen Verwandten geben“, erklärt Hatala. „An solchen Daten können wir sehen, wie sich Individuen vor Millionen Jahren durch ihre Umwelt bewegten und dabei miteinander oder mit anderen Tieren interagierten. Das ist etwas, das uns Knochen oder Steinwerkzeuge nicht liefern können.“
Abdrücke von Homo erectus und Paranthropus boisei
Die neu entdeckten Fußspuren in Koobi Fora sind eine wissenschaftliche Sensation. „Die Fußabdrücke sind für erste Beleg für Spuren zweier verschiedener, aufrecht gehender Homininenarten auf der gleichen Fundfläche“, konstatieren die Forscher.
Die Anatomie der Füße und das an den Abdrücken ablesbare Gangmuster seien zu unterschiedlich, um von derselben Spezies zu stammen. Demzufolge ähneln die Einzelabdrücke bereits den Fußabdrücken moderner Menschen und stammen höchstwahrscheinlich von einem Homo erectus.
Die durchgehende Spur zeigt dagegen ein deutlich primitiveres Gangmuster. „Diese Abdrücke sind flacher und weniger tief und ähneln darin eher den 3,6 Millionen Jahre alten Spuren von Laetoli in Tansania“, schreiben die Wissenschaftler. Sie ordnen sie einem Paranthropus boisei zu. Dieser robust gebaute Vormensch besaß ein kleineres Gehirn und einen weniger ausbalancierten aufrechten Gang als Homo erectus.
Erster Beweis für direkte Koexistenz
Diese beiden frühen Menschenarten müssen fast gleichzeitig am Seeufer entlanggegangen sein. „Diese Homininen gingen über die gleiche Oberfläche – innerhalb von nur wenigen Stunden“, berichtet Koautor Craig Feibel von der Rutgers University.
Möglicherweise begegneten sich der Homo erectus und der Paranthropus sogar. „Die Tatsache, dass diese Arten gleichzeitig vorkamen, ist zwar keine Überraschung, aber dies ist der erste klare Beweis. Das ist wirklich eine große Sache“, fährt Feibel fort.
Nur der Homo erectus überlebte
Die Koexistenz dauerte wohl nicht lange, wie die Forscher vermuten. „Klimabedingte Umweltveränderungen haben die Verfügbarkeit der Ressourcen verschoben.“ Die Gräser-Nahrung des Paranthropus wurde rarer, während der Homo erectus dank seiner flexibleren Ernährungsstrategie auf andere Ressourcen wie Fleisch, Früchte oder Fisch ausweichen konnte. Er konnte dadurch überleben, während sein primitiverer Vetter ausstarb.
„Damit liefern die Ergebnisse von Hatala und Team einen faszinierenden Einblick in die Verhaltensökologie von gleichzeitig vorkommenden Homininenarten“, schreibt William Harcourt-Smith vom American Museum of Natural History in New York in einem begleitenden Kommentar zur Studie. „Sie deuten auf Aspekte der Paläobiologie hin, die schwer zu rekonstruieren, aber entscheidend für unser Verständnis dieser und anderer Vertreter der Homininen sind.“