Mal ist Charles Leclerc im Ferrari vorn (wie im Foto), mal hat der Red Bull von Max Verstappen im Rennen die Nase vorn. Foto: IMAGO/ANP

Im Kampf um den Formel-1-Titel zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc spielen die Pirelli-Gummis eine entscheidende Rolle. Der Grand Prix in Miami ist deshalb eine Herausforderung.

Nichts ist unmöglich. Das mag ein angegrauter Werbeslogan eines japanischen Autoherstellers sein, doch eigentlich passt der Satz besser zum Selbstverständnis der US-Amerikaner. Schneller, höher, größer, verrückter als der Rest der Welt wollen sie sein in den Vereinigten Staaten, nun untermauern sie diesen Anspruch mit der neuen Rennstrecke, auf der an diesem Sonntag (21.30 Uhr MESZ) der Große Preis von Miami ausgetragen wird.

Das Miami International Autodrome mit 5,41 Kilometer Länge schlängelt sich ums Footballstadion der Miami Dolphins, aber weil das als bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal nicht ausreicht – in Mexiko führt die Strecke durch ein Baseballstadion –, wurde ein Strand angelegt sowie ein wasserloser Jachthafen, an dessen Marina sechs Schiffsattrappen ankern. Alles Illusion – und ein wenig abgekupfert von Monaco, wo der Kurs an einem richtigen Hafen entlangführt und am Mittelmeer seetüchtige Jachten millionenschwer im Wasser liegen.

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Grand-Prix-Chef Tom Garfinkel ist jedenfalls stolz auf die Formel 1, die Strecke, sein Team und sich selbst, vor allem, weil das anspruchsvolle Projekt rechtzeitig fertig geworden ist. „Die letzte Asphaltschicht wurde 45 Tage vor dem Rennen aufgetragen“, sagte Garfinkel erfreut. Es wird nicht unerheblich sein, welche Beschaffenheit der Belag besitzt, denn die Ingenieure und Rennfahrer haben nach vier absolvierten Wettfahrten die Reifen als Zünglein an der Waage im WM-Duell ausgemacht. „Unterm Strich geht es um Details“, sagte Weltmeister Max Verstappen, „du kannst das schnellste Auto haben – wenn die Balance nicht stimmt, funktioniert es nicht. Und der Reifenhaushalt ist bei diesen Fahrzeugen ganz entscheidend.“ Um seine Worte zu untermauern, nannte der Niederländer aus dem Red-Bull-Stall die Beispiele Imola und Melbourne. „In Australien waren wir nur Verfolger von Ferrari. In Italien lag Ferrari vor allem im Sprint daneben und war chancenlos“, sagte der 24-Jährige.

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Beim Reifenmanagement geht es darum, die Gummis ins richtige Temperaturfenster zu bringen, wo sie die optimale Haftung entwickeln. Dafür muss die Balance zwischen Hinter- und Vorderachse stimmen. „Die hatten wir in Imola im Sprint nicht“, räumte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto ein, „deshalb hatten wir deutlich früher Graining.“ Bei Überhitzung bilden sich auf den Reifen Gummikörnchen, die Haftung nimmt deutlich ab. Die passende Balance hängt von der Einstellung der Front- und Heckflügel ab und ob damit mehr oder weniger Anpressdruck auf die Achsen generiert wird. Was sich simpel anhört, ist eine Wissenschaft für sich, vor der selbst die findigen Ingenieure kapitulieren. Auch der Reifendruck spielt eine Rolle. „Bisher wissen wir nichts über den Asphalt in Miami“, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko vor der Reise nach Florida, „das Spiel beginnt dort also wieder von vorn.“

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Die Reifentemperaturen für die Slicks liegen je nach Mischung zwischen 80 und 140 Grad Celsius, der optimale Arbeitsbereich pendelt zwischen 80 und 100 Grad. Die Intermediates (Nässe) und die Regenreifen entwickeln bei 40 bis 70 Grad ihre beste Haftung. Viele Faktoren spielen eine Rolle: die Eigenschaften des Autos, Beschaffenheit und Temperatur des Asphalts, Lufttemperatur, der Fahrstil des Piloten sowie das Streckenlayout mit der Anzahl der Rechts- und Linkskurven – da gleicht die Abstimmungsarbeit mitunter dem Tippen von Lottozahlen.

Ferrari und Red Bull sind in dieser Disziplin die Besten, es kränkeln vor allem Mercedes und Alpine. Der Silberpfeil von Lewis Hamilton benötigt lange, um die Reifen auf die richtige Temperatur zu bringen. Er geht zwar im Rennen sorgsam mit den Pneus um – doch das Hoppeln (Bouncing) verhindert, dass Mercedes um Siege mitfährt. Bei Alpine werden die Gummis im Rennen zu schnell heiß und körnen. Ferrari scheint einen kleinen Vorteil zu haben. Die Scuderia hat 2021 die meiste Zeit in Tests mit den Pneus investiert: sieben Tage. „Wir haben jede Gelegenheit wahrgenommen, die sich bot“, bestätigte Teamchef Binotto. Ferrari sprang für einen Regenreifen-Test ein, den Mercedes aus Kostengründen abgelehnt hat.

80 000 Fans können sich am Sonntag live davon überzeugen, welches Team beim Reifenroulette das beste Händchen hat. Die Tickets sind horrend teuer, eine Karte auf der Tribüne an der Zielgeraden kostet 1200 Dollar (1130 Euro). Aber so ist das eben in den USA: Nichts ist unmöglich.