Millionenvillen in Florida zum Verkauf – der Traum vom Ruhestand unter Palmen hat sich für viele in einen Albtraum verwandelt. Foto: Spang

Der Süden Floridas mit seinen herrlichen Stränden und stolzen Städten zieht Rentner, Touristen und Investoren in Scharen an. Bisher verdrängten die Küstenbewohner, dass große Teile der Halbinsel bald im Meer verschwinden werden. Kürzlich erhielten sie einen Vorgeschmack.

Der Süden Floridas mit seinen herrlichen Stränden und stolzen Städten zieht Rentner, Touristen und Investoren in Scharen an. Bisher verdrängten die Küstenbewohner, dass große Teile der Halbinsel bald im Meer verschwinden werden. Kürzlich erhielten sie einen Vorgeschmack.

St. Petersburg - Ein Haus im mediterranen Stil am Wasser, Palmen in der Einfahrt: So sieht der Traum von der Rente aus, den sich George und Kathleen McLaughlin an der Westküste Floridas erfüllen wollten. Von hier aus ist es nur ein Katzensprung zu den Sandstränden von Clearwater und der kunstbeflissenen Südwestmetropole St. Petersburg. „Sehr viel besser geht’s nicht“, dachte das Ehepaar aus dem Bundesstaat Maryland, als es im Sommer 2012 den Kaufvertrag für die Immobilie unterschrieb.

Die böse Überraschung folgte im Oktober: ein Brief der Nationalen Flutversicherung (NFIP), der den McLaughlins ankündigte, ihre Prämie werde sich von 3300 Dollar (2390 Euro) im Jahr auf 24 300 Dollar (17 610 Euro) erhöhen. „Ich dachte, das war ein Tippfehler“, erzählt der Finanzberater, der gewohnt ist, zweimal hinzuschauen. Das meinte auch sein Makler. Die siebenfache Beitragserhöhung musste ein Irrtum sein.

Nach ein paar Anrufen stellte sich heraus: Alles hatte seine Richtigkeit. Der astronomische Anstieg war die Konsequenz einer gerade beschlossenen Gesetzesänderung im US-Kongress. Der „Biggert-Waters-Act“ zielte darauf ab, Hausbesitzer an dem tatsächlichen Standortrisiko zu beteiligen. Mit der Reform sollte die Solvenz der NFIP wiederhergestellt werden, die nach den Jahrhundertstürmen Katrina und Sandy ein Defizit von zuletzt rund 20 Milliarden US-Dollar (14,5 Milliarden Euro) vor sich herschob. In der Folge nahm die Flutversicherung eine Neubewertung vor. Überall entlang der Küsten und Flüsse der USA erhielten Hausbesitzer Post mit den neuen Prämien, die in Einzelfällen bis zum 20-Fachen in die Höhe schnellten. McLaughlin hat einen Ausdruck dafür, was Hunderttausende Betroffene empfanden: „Versicherungs-Schock“.

Der Traum vom Ruhestand unter Palmen hatte sich in einen Albtraum verwandelt. Da die Banken ohne Versicherung keinen Kredit geben, blieb den McLaughlins nichts andres übrig, als die Prämie zu bezahlen oder einen Käufer für die Immobilie zu finden. Dafür infrage kommen nur Schnäppchenjäger, die in bar bezahlen, weil sie damit von der Versicherungspflicht entbunden sind. Das Ehepaar aus Maryland fand heraus, „dass unser Haus über Nacht unverkäuflich wurde und es keinen Sinn macht, darin zu investieren“.

In ihrer Not schrieben die McLaughlins an ihre Kongressabgeordneten. Wochenlang hörten sie nichts. Die Büros der Volksvertreter kamen nicht hinterher, die Flut von Beschwerdebriefen zu beantworten. Zumal viele der Betroffenen Normalverdiener waren, die sich mit ihren Häusern plötzlich in neu bewerteten Gebieten wiederfanden. Die 33 000 betroffenen Immobilien im Großraum St. Petersburg haben einen Verkaufswert von durchschnittlich 132 245 Dollar (96 000 Euro). „Pinellas County ist Ground Zero“, liest Daren Bloomquist, Vizepräsident des Immobilienspezialisten Realtytrack, aus den Daten seines Unternehmens. Der Experte hat Verständnis für die Reaktion empörter Eigentümer, „die ohne Warnung ins offene Messer liefen“. Das Unternehmen versucht die Lücke zu schließen, indem es auf seiner Webseite künftig Informationen über die Kosten der Flutversicherung bereithält. Ein Todeskuss für Hausbesitzer? „Das können wir nicht ausschließen“, gesteht Bloomquist. Allerdings gebe es heute „keinen seriösen Makler, der nicht für Transparenz sorgt.“

In diese Kategorie fällt Bill Welch, der seit 35 Jahren Immobilien an den Traumstränden vor St. Petersburg verkauft. Darunter Interessenten aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz. „Wir haben in kurzer Zeit acht bis neun Abschlüsse verloren“, berichtet der Makler, dem Käufer von der Stange gingen, nachdem sie von den neuen Versicherungsprämien hörten. Welch büßte rund ein Viertel seiner Einnahmen ein.

So sieht es aus, wenn der Markt die tatsächlichen Kosten von Umweltschäden einpreist. „Wir tun nichts Gutes, wenn wir Leute aus ihren Häusern vertreiben, die bereits gebaut sind“, zeigt Frank Jackalone vom Sierra Club, einer der größten Naturschutzorganisationen der USA, Verständnis für betroffene Hausbesitzer. Seine eigenen Versicherungskosten verdoppelten sich im vergangenen Jahr. „Eine Massenabwanderung wäre eine Katastrophe für die Region.“ Andererseits könne es so nicht weitergehen. „Das ist ein Warnschuss“, meint Jackalone, der auf den neuen Bürgermeister Rick Kriseman in St.Petersburg hofft. „Wir nennen uns die Sonnenstadt im Sonnenstaat und haben bei der Nutzung der Solarenergie bisher nichts vorzuweisen“, zieht er Bilanz aus den vergangenen Jahren. „Die neuen Führer denken in die richtige Richtung“. Und die lautet: Abbau von Kohlendioxid (CO2), dem Hauptverursacher des Treibhauseffekts.

Während in der amerikanischen Politik noch immer ideologische Glaubenskriege über den Klimawandel geführt werden, sind die Erkenntnisse der Wissenschaft eindeutig. Ob der Meeresspiegel bis 2100 um zwei Meter ansteigt, wie die National Oceanic and Atmospheric Administration voraussagt, oder laut OECD bis 2070 rund 150 Millionen Menschen weltweit in Küstenregionen negativ betrifft – der Tenor ist immer der gleiche: Schon heute ist es zu spät, bestimmte negative Konsequenzen aus dem Abschmelzen der Pole und der Ausdehnung der erwärmten Ozeane abzubiegen.

In St. Petersburg nimmt man die Dinge praktisch. Das renommierte Dalí-Museum in der Bucht von Tampa ist so angelegt, dass die Originale bei einer Sturmflut trocken bleiben. Der Stadtkern selbst liegt hoch genug, um dem Wasser zu entkommen. „Wir sehen keinen Rückgang der Investitionen“, sagt David Goodman, der seit 29 Jahren Wirtschaftswerbung für die Region betreibt. Ungeachtet der Nöte der Hausbesitzer in Meeresnähe seien Bauprojekte für 400 Millionen Dollar (291 Millionen Euro) angängig. „Die Banken geben Geld, die Käufer nehmen Hypotheken“, sagt Goodman. „Unser neuer Bürgermeister glaubt, wir stehen vor einem Durchbruch in eine andere Liga“.

So sehen es auch die Stadtgewaltigen an der Ostküste Floridas in Miami Beach. Während heute schon bei jedem größeren Regen die Straßen der vorgelagerten Inseln der Glitzer-Metropole überfluten, verbreiten Lokalpolitiker wie Michael Gongora Optimismus. „Miami Beach ist die erste Stadt in Florida, die einen Sturm-Masterplan in Kraft gesetzt hat, der den Klimawandel und die steigenden Fluten einkalkuliert.“ Was Amsterdam könne, sei auch hier möglich.

Harold Wanless, Klimaforscher an der University of Miami, hält das für eine Illusion. „Die Stadt wird versinken“, sagt er voraus. Und mit ihr Milliarden an Investitionen aus Südamerika und Russland, die den Bau-Boom anheizten. „Es ist nicht die Frage ob, sondern nur wann.“ Der Süden Floridas sitze auf einem Gebirge an porösem Kalk, das sich nur schwer schützen lasse. Auf der anderen Seite der Halbinsel in der Bucht von Tampa gibt es nicht einen Deich, der das tief liegende Küstengebiet vor den Konsequenzen eines Hurrikans schützen könnte.

„Wir sind längst überfällig für einen Jahrhundertsturm“, befürchtet der deutsche Geschäftsmann Wolfgang Ruch. Er fährt mit seinem Jeep über eine Brücke, die Treasure Island mit einer Nachbarinsel verbindet. Auf der einen Seite stehen gleich reihenweise Millionen-Villen am Wasser zum Verkauf. „Die will keiner haben“, sagt Ruch. „Die Versicherung ist oft teurer als die Finanzierung.“ Während Ruch nach dem Platzen der Immobilienblase 2007 das Apartment-Hotel South Beach auf Treasure Island zum Schnäppchenpreis erwarb, sieht der Selfmade-Mann aus Vlotho in der jetzigen Krise wenig Potenzial. Vielmehr denkt er darüber nach, wie er die höheren Versicherungskosten für seine Wohnungen mit Meeresblick wieder reinholt. Eine Karte im Magazin „National Geographics“ überzeugte ihn, dass sein Hotel und die Villen auf der anderen Seite der Brücke „in 50 bis 100 Jahren nicht mehr da sein werden“. Ein Umdenken der Bewohner des Sonnenstaats kann er trotzdem nicht feststellen. Es sei wie bei Rauchern. „Die Leute wissen um die Krebsgefahr ihres Lasters, glauben aber, sie selbst seien immun.“ Nach uns die Sintflut, sagt er.