Heimatgeschichte: Leser erinnern sich an 1945 / Jakob Geiger erlebte das Kriegsende in Fluorn-Winzeln

Fluorn-Winzeln/Villingendorf. Bäckermeister Jacob Geiger schreibt über das Kriegsende in Fluorn-Winzeln:

Am 12. März 1945, meinen zehnten Geburtstag, wusste ich schon, dass mein Jahrgang 1934/35 am 20. April (Hitlers Geburtstag) feierlich in das Jungvolk aufgenommen wird, doch es kam alles anders.

Wir wohnten damals bei der "Unteren Mühle" in Fluorn-Winzeln, wo mein Vater als Knecht Arbeit und Wohnung hatte. Die vier Kinder von der Mühle meiner Schwester und ich gingen in Winzeln zur Schule, wo wir in den letzten Kriegstagen wegen des Fliegeralarms oft in den Luftschutzkeller mussten oder heim geschickt wurden, täglich wurde es dramatischer.

Am 16. April, man hatte erfahren, dass der Weinhändler Pfau in Römlinsdorf wegen der anrückenden Franzosen sein Lager räumt, fuhren drei Fluorner Mädchen wegen des Weins mit den Fahrrädern nach Römlinsdorf. Auf dem Rückweg zwischen Peterzell und Fluorn, wo gleichzeitig eine bespannte deutsche Einheit mit Pferden auf dem Rückzug war, kamen Tiefflieger und griffen die Einheit an.

Die Mädchen, die im Straßengraben Schutz suchten, wurden auch getroffen. Zwei starben an ihren Verletzungen, nur Ruth Blocher (zehn Jahre) überlebte. Wegen der Tiefflieger, die sogar Bauern auf dem Feld angriffen, wurden die Mädchen nachts beerdigt. Am Tag nach dem Angriff sammelten wir Buben die Geschosshülsen entlang der Straße ein.

Die kommenden Tage waren ausgefüllt mit dem Vergraben der Wertsachen. Man grub hinter dem Haus ein Loch, stellte ein großes Krautgefäß hinein, füllte dieses und deckte es mit Erde wieder zu.

Schnaps für die Bonzen

Dann kam der 20. April 1945, auf den ich mich eigentlich gefreut hatte wegen der schmucken Jungvolkuniform. In der Nacht vom 19. auf den 20. April hatte mein Vater in der Brennerei von Müller Karl Glunk Schnaps gebrannt. Da tauchte der Stab des Volkssturms auf, lauter hohe Parteigenossen. Karl Glunk befürchtete, dass sie seine Mühle sprengen wollten. Da er und mein Vater wussten, dass es nur noch Stunden vor dem Kriegsende waren, schenkten sie den Herren kräftig Schnaps ein. Als ich morgens aufstand und aus dem Fenster sah, torkelten die Bonzen im Mühlehof herum.

Panzer bei der "Krone"

Und dann geschah es: Ich sehe und höre es noch wie damals. Ein Melder kam um etwa 8 Uhr von Fluorn und rief in den Mühlehof: "Feindliche Panzer in Fluorn bei der ›Krone‹." Plötzlich waren die Parteigenossen ganz nüchtern und rannten Richtung Staffelbach dem Wald zu.

Als Müller Glunk sah, dass sie ihre Waffen und Panzerfäuste liegen lassen wollten, schrie er: "Aber euer Zeug nehmet ihr mit!". Und sie gehorchten, denn jetzt hatte sich das Blatt gewendet.

Am selben Tag, mittags, hörten wir, dass zwischen Fluorn und Winzeln dauernd aus Panzern geschossen wurde. Mein Vater, der Müllergeselle Philipp und wir Buben wollten sehen, was das los ist und kletterten den Hang der Auhalde hoch. Philipp stieg auf einen Grenzstein, um besser zu sehen. Da pfiffen uns aber schon Kugeln um die Ohren, worauf wir schleunigst den Rückzug antraten.

Tage später wurde die Bevölkerung aufgerufen, Waffen und Radios abzuliefern. Diese Aufgabe bekamen wir Buben, Paul Glunk, Sohn des Müllers, und ich, weil man wusste, dass Kinder am wenigsten gefährdet waren. Mit dem Leiterwägele, darauf einige Gewehre und Radios, liefen wir zum Rathaus nach Fluorn. Unterwegs kamen uns französische Soldaten entgegen, nahmen die Waffen und ballerten in die Luft. Als wir schließlich beim Rathaus ankamen, hatten wir nur noch die Radios.

Lebensmittel für Landser

Wieder einige Tage später fuhren Gefangenentransporte durch den Ort in Richtung Frankreich, offene Laster, darauf deutsche Kriegsgefangene gepfercht. Fluorner standen am Straßenrand und warfen Lebensmittel auf die Laster.

Einmal stand ich mit Müller Karl Glunk an der Straße, da rief ein Gefangener vom Lastwagen: "Hallo, Karl, sag auch meinen Angehörigen, dass ich noch lebe." Der Mann war ein Landwirt aus Rötenberg und Kunde von Müller.

In dieser Zeit wurden viele Frauen von den Marokkanern vergewaltigt. Eines Tages tauchte an unserer Haustür ein junger Marokkaner auf und wollte ins Haus. Da meine Mutter krank im Bett lag, verwerte ihm mein Vater den Zutritt.

Vater entwaffnet Soldat

Da setzte der Mann meinem Vater das Gewehr auf die Brust. Mein Vater, fünf Jahre Soldat und 1944 wegen Verwundung aus der Wehrmacht entlassen, schlug das Gewehr blitzschnell zur Seite, nahm dem Soldat die Waffe ab, entlud sie und gab dem verdutzten Soldat das Gewehr wieder zurück. Dieser lief erschrocken weg.

Mit Ausnahme des Todes der Fluorner Mädchen empfanden wir Kinder die damaligen Wirren nicht so dramatisch, eher aufregend. Zum ersten Mal sahen wir dunkelhäutige Menschen (Marokkaner), die mit ihren Mulis durch den Ort marschierten. Und die Marokkaner liebten Kinder und beschenkten uns mit Süßigkeiten. So aßen wir zum ersten Mal in unserem Leben Schokolade und Bananen.