Der Druck bei der Flüchtlingsunterbringung ist so groß, dass die Zuweisungen an Städte und Landkreise auch zwischen den Feiertagen weitergehen. Das Land hat deshalb jetzt dazu aufgefordert, sich auf die schwierige Situation vorzubereiten.
Stuttgart/Esslingen - Der Brief, der allen Kommunen im Landkreis Esslingen jüngst ins Haus geflattert ist, hat es in sich. Das Landratsamt teilt darin mit, dass es bis Jahresende jede Woche mit bis zu 270 neuen Flüchtlingen rechnet, die verteilt werden müssen. Auch über die Feiertage. „Wir sind vom Land aufgefordert worden, insbesondere jetzt im Dezember und über die Feiertage einen reibungslosen Ablauf der Zuweisungen in die Kommunen zu koordinieren“, heißt es in dem Schreiben. Man sei gehalten, „eine 24-stündige Erreichbarkeit sicherzustellen“. Deshalb müsse jede Kommune Ansprechpartner für eine Rufbereitschaft angeben.
Erfahrungsgemäß ist die Zeit um den Jahreswechsel besonders kritisch bei der Flüchtlingsunterbringung. Viele Behördenmitarbeiter sind normalerweise im Urlaub. Auch die Chance, neue Unterkünfte zu finden, ist gering. Die Asylsuchenden kommen aber trotzdem und müssen weiterverteilt werden. „Wir wissen nicht, mit wie vielen wir rechnen müssen“, sagt Peter Keck, Sprecher des Landratsamts. Man brauche deshalb für die schwierige Zeit kompetente Ansprechpartner. Eine Urlaubssperre etwa sei bisher aber nirgendwo nötig.
Die Landkreise hoffen auf Zurückhaltung des Landes
„Wir hoffen, dass es zwischen den Feiertagen nicht zu umfangreichen Verlegungen kommt. Das wünschen wir uns nicht. Aber wir müssen dafür gewappnet sein“, sagt Dietmar Herdes vom Landkreistag. Das Land habe zugesichert, so schonend wie möglich vorzugehen. Um im Ernstfall reagieren zu können, habe man gemeinsam die Rufbereitschaft rund um die Uhr abgesprochen: „Das ist nur seriös.“
Ein Zugeständnis gibt es immerhin. „An den Feiertagen selbst wird es keine Zuweisungen geben. Nur an den Werktagen dazwischen“, sagt Irene Feilhauer vom zuständigen Regierungspräsidium in Karlsruhe. Eine Pause machen könne man aber nicht: „Die Überstellungen müssen weitergehen.“ Die Erfahrung zeigt: Wenn an den Feiertagen keine Flüchtlinge in die Kommunen geschickt werden, ist an den Tagen danach dafür mit einem geballten Aufkommen zu rechnen. Denn weniger Hilfesuchende kommen auch über Weihnachten und Neujahr normalerweise nicht.
In vielen Stadt- und Landkreisen sind Unterkünfte bereits jetzt so schwer verfügbar, dass spätestens zum Jahresanfang Engpässe bevorstehen könnten – mitten in der Ferienzeit. „Wir arbeiten an Lösungen“, heißt es im Landratsamt Waiblingen. In Böblingen hat man für die Feiertage bereits vor zwei Wochen Rufbereitschaften eingerichtet. Doch die sind das kleinere Problem: „Das haben wir eher bei der Schaffung von ausreichenden Kapazitäten“, sagt Sprecherin Wiebke Höfer.
In Ludwigsburg setzt man auf zwei neue Unterkünfte
Im Landkreis Ludwigsburg hofft man, noch rechtzeitig vor Weihnachten zwei neue Unterkünfte in Bietigheim und Gerlingen fertigstellen zu können. „Wir versuchen, bis zu den Feiertagen so viele freie Plätze wie möglich zu schaffen“, sagt Sprecher Andreas Fritz. Zusätzlich 278 Menschen müsse man im Dezember jede Woche ein Dach über dem Kopf anbieten können. „Wir halten auch das Personal vor, um die Aufnahme organisatorisch abwickeln zu können“, bekräftigt Fritz.
Besonders kritisch ist die Lage im Kreis Esslingen. Auch das haben die Kommunen aus dem Brief des Landratsamts erfahren. „Es besteht bereits vom 14. Dezember an bis nach den Januar-Feiertagen eine Lücke von 750 Plätzen, die uns noch nicht zur Verfügung stehen“, heißt es darin. Es sei „infolgedessen unumgänglich, dass sich die Kommunen im Landkreis auf die Situation vorbereiten, kurzfristig Flüchtlinge aufzunehmen“. Für diese Notunterbringung kämen besonders die Gemeinden in Betracht, „in denen bisher noch nicht in ausreichendem Umfang Flüchtlinge untergebracht sind“. Es sei „sehr wichtig“, bereits in den nächsten Tagen Räumlichkeiten herzurichten.
Seither hat sich die Lage nur wenig entspannt. „Wir haben die Kommunen abtelefoniert und es geschafft, zumindest bis Jahresende genug Kapazitäten zu schaffen“, sagt Sprecher Keck. Doch danach sieht es schlecht aus: „Von Januar an gibt es noch immer ein großes Loch.“
Stuttgart muss im Dezember 1266 Menschen aufnehmen
Die Stadt Stuttgart hat vor wenigen Tagen erfahren, dass sie bis Ende Dezember 1266 neue Flüchtlinge unterbringen muss. Das ist die Größenordnung, von der man vorher ausgegangen war. Dementsprechend sollten die Kapazitäten ausreichen– falls über die Feiertage „maßvoll zugewiesen wird“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Das Amt hat sich dazu entschieden, für die Bereitschaft über die Feiertage den bestehenden Alarmierungsplan für Notfälle zu nutzen. Unter anderen hält die Amtsleitung die Stellung, um im Bedarfsfall greifbar zu sein.
Wie es nach dem Jahreswechsel weitergeht, weiß man im Rathaus nicht. Außer den Dezemberzahlen liegt nichts auf dem Tisch. „Darüber hinaus gibt es keine weiteren Informationen vom Land“, sagt Spatz.
Hintergrund: Flüchtlingsunterbringung
Bis Ende November sind rund 162.000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen. Einige Tausend sind in andere Bundesländer verlegt worden, mutmaßlich Zehntausende unregistriert auf eigene Faust weitergezogen, doch der Großteil ist im Land geblieben. In den vergangenen Tagen haben sich die Zugänge nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder erhöht. Am Dienstag sind 880, am Mittwoch 1099 Menschen nach Baden-Württemberg gekommen.
In Stuttgart sind bis einschließlich Donnerstag 6778 Flüchtlinge untergekommen. Allein gestern und am Dienstag sind 370 neue eingetroffen. Die Stadt will sie möglichst dezentral unterbringen, was inzwischen aber nicht mehr gelingt. So werden seit einigen Wochen fünf Turnhallen und jetzt auch Nebenräume der Schleyerhalle genutzt. Zusätzlich gibt es mehrere Notquartiere des Landes. Die Stadt will vermeiden, weitere Turnhallen belegen zu müssen, und mietet deshalb drei große Gebäude an, um darin insgesamt 850 Asylbewerber unterbringen zu können. Dabei handelt es sich um die frühere Zentrale des Werkzeughändlers Hahn und Kolb und ein Gebäude auf dem Leitz-Areal in Feuerbach sowie Wohnungen in Botnang. Zeitgleich geht das Aufstellen von Systembauten und Containern weiter. Im Januar will die Verwaltung eine sechste Tranche mit möglichen Standorten vorschlagen.
Der Druck des Landes, aus den zahlreichen überfüllten Erstaufnahmestellen möglichst zügig Flüchtlinge in die Land- und Stadtkreise zu verlegen, ist groß. Über 40 000 Menschen warten dort darauf, dass es weitergeht. Inzwischen muss sich das Land mit diversen Zeltstädten behelfen, etwa im Stuttgarter Reitstadion. Doch immer häufiger gibt es Widerstände gegen die Notquartiere. Jetzt mussten die Pläne, in Sigmaringen eine weitere Zeltstadt aufzubauen, fallen gelassen werden. Die Gemeinde hatte sich vehement dagegen gewehrt, auf dem Gelände der Graf-Stauffenberg-Kaserne 1000 Plätze zu schaffen. In der 15.000-Einwohner-Stadt leben derzeit bereits 2300 Asylsuchende. In einer Bürgerversammlung hatte es zuletzt viel Unmut über die Pläne gegeben.