Munib Younan (rechts), Präsident des Lutherischen Weltbundes besucht in Stuttgart den Landesbischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July. Foto: jan

Sorge um die Lage der Christen im Nahen Osten: Der durch Krieg und Gewalt verursachte christliche Exodus bedeutet nach Ansicht des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Munib Younan einen schwerwiegenden Verlust für die dortigen Gesellschaften.

Stuttgart - Überforderung durch Flüchtlinge? Die Menschen in Jordanien hätten allen Grund, sich darüber zu beklagen. Das Land zählt 6,7 Millionen Einwohner – dazu kommen 1,5 Millionen Flüchtlinge, zumeist aus dem Nachbarland Syrien. Und das „Mirakulöse“ dabei: „Es funktioniert!“

Das ist zumindest die Einschätzung von Munib Younan (65), Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (mit Sitz in Jerusalem), der sich für einige Tage in Stuttgart aufhält, wo er 2010 zum Präsidenten des Lutherischen Weltbundes gewählt wurde. Der Lutherische Weltbund ist die Gemeinschaft lutherischer Kirchen weltweit. Er wurde 1947 gegründet und zählt nach eigenen Angaben 145 Mitgliedskirchen in 79 Ländern mit als 72 Millionen lutherischer Christen.

Bei einem gemeinsamen Pressegespräch mit dem Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart, Frank Otfried July, erläutert Younan am Montag, eröffnet Younan einen anderen Blick auf die Flüchtlingskrise und die Situation im Nahen Osten. Das „Wunder von Jordanien“ besteht für ihn in der positiven Einstellung zu den Flüchtlingen: „Es gibt kein Murren, kein Jammern – die Menschen stehen den Flüchtlingen offen gegenüber“, sagt Younan, ehemals selbst palästinensischer Flüchtling. Viele von ihnen seien in christlichen Gemeinden untergebracht. Trotz aller Schwierigkeiten sieht er keine negativen Auswirkungen auf die Stabilität des Gemeinwesens: „Jordanien ist heute die sicherste und stabilste Gesellschaft im Mittleren Osten.“

Wehe, das änderte sich. Deshalb wirbt Younan eindringlich für eine politische Lösung der Konflikte – so mühsam das sei. „Die westlichen Länder haben es nicht geschafft, Gerechtigkeit in den Mittleren Osten zu bringen.“ Ihnen würden dies auch durch eine stärkere militärische Intervention nicht gelingen: „Das bringt keinen Frieden“, sagt er. So wenig dies durch frühere Interventionen gelungen sei. Ebenso eindringlich warnt der Bischof vor Überlegungen, Syrien und den Irak in mehrere ethnische oder religiöse Einheiten aufzuteilen. „Wir brauchen pluralistische Nationalstaaten“, sagt Younan. Alles andere bedeutete einen weiteren zivilisatorischen Rückfall und würde die Gewalt im Nahen Osten zusätzlich anheizen.

Sein Ratschlag: Kirchen und Regierungen müssen zusammenarbeiten. Dabei komme den Christen eine zentrale Rolle zu. „Sie sind die Balance in all diesen Konflikten“, sagt der jordanische Bischof, und er warnt: „Der Nahe Osten braucht die arabischen Christen. Die Muslime brauchen sie. Ohne Christen gibt es keinen Nahen Osten mehr.“

Diese Gefahr besteht: Im Irak leben nach seinen Angaben heute nur noch 400 000 von einstmals 2,5 Millionen Christen. Aleppo in Syrien, einst eine christliche Hochburg sei heute fast christenfrei. Ebenso Homs: Dort ist die Zahl der Christen von 120 000 auf 5000 geschrumpft.

Zugleich lenkt Younan den Blick auf positive Entwicklungen. Dazu zählt für ihn der christlich-muslimische Dialog in Jordanien, das einen Christenanteil von drei Prozent hat. „Das ist ein Modell, das wir der Welt anbieten können“, sagt Younan. Erfreulich ist für ihn auch etwas anderes: Die Rolle, die Deutschland bisher in der Flüchtlingskrise spielt. Angela Merkel hat seinen Respekt.