Landrat Wolf-Rüdiger Michel wird vorgeworfen, bei einer Eilentscheidung zu weit gegangen zu sein. Foto: Otto

Ist Wolf-Rüdiger Michel, Landrat im Kreis Rottweil, bei einer Eilentscheidung im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom übers Ziel hinausgeschossen? Die Fraktion der Freien Wähler hat jetzt eine aufsichtsrechtliche Überprüfung beim Regierungspräsidium angefordert. Michel hatte 19 neue Personalstellen in Eigenregie genehmigt.

Kreis Rottweil - Michel habe damit "die Rechte des Kreistags missachtet", so die Freien Wähler. Der Vorwurf: Der Landrat habe in einer Eilentscheidung im Zuge des Flüchtlingszustroms aus der Ukraine 19 zusätzliche Stellen innerhalb der Landkreisverwaltung geschaffen – mit Personalmehrkosten in Höhe von rund 810 000 Euro, wobei laut Aussage Michels 230 000 Euro vom Land erstattet würden. Darüber seien die Mitglieder des Verwaltungsausschusses am 21. März in einer Videokonferenz informiert worden. Eine Beschlussfassung habe es nicht gegeben. Diese wäre unter dem Tagesordnungspunkt Bekanntgaben auch gar nicht möglich gewesen.

Krasser Widerspruch zur Landkreisordnung

Die Mitglieder des Kreistags seien dann in der darauffolgenden Sitzung am 24. März informiert worden. Laut Schreiben der Freien Wähler sei die Eilentscheidung selbst förmlich erst am 22. März und damit einen Tag nach der Bekanntgabe im Ausschuss veröffentlicht worden.

"Dies steht im krassen Widerspruch zu den Zuständigkeitsregelungen der Landkreisordnung nach §19 Absatz 1", erklären die Freien Wähler in ihrem Schreiben an Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer. Schließlich sei der Kreistag das Hauptorgan des Landkreises, und nicht der Landrat. Generell seien dem Eilentscheidungsrecht des Landrats sehr enge Grenzen gesetzt, betont die Fraktion.

Finanzdezernent Gerald Kramer hatte die Entscheidung für 19 zusätzliche Stellen zur Bewältigung des Flüchtlingszustroms in der Kreistagssitzung mit dem "akuten Handlungsbedarf" begründet. Man müsse schnell reagieren, auch im Hinblick auf die Vorlaufzeit, bis die Stellen tatsächlich besetzt werden können.

Ausschuss hätte entscheiden müssen

Für die Freien Wähler steht aufgrund der Bestimmungen in der Landkreisverordnung außer Frage, dass Michel für diese Entscheidung den für Personalangelegenheiten zuständigen Verwaltungsausschuss hätte einberufen müssen. Das wäre in der ohnehin stattgefundenen Sitzung am 21. März ohne weiteres möglich gewesen. Mit 19 zusätzlichen Stellen und Mehrkosten in dieser Höhe werde "der Kreishaushalt insgesamt mit einer Unterschrift ad absurdum geführt und obsolet gemacht." Eine derart weitreichende Entscheidung könne nicht am Schreibtisch des Landrats gefällt werden.

Disput auch schon 2020

Die Freien Wähler erinnern in diesem Zusammenhang an eine andere Eilentscheidung des Landrats, die ebenfalls zum "Disput" mit den Freien Wählern geführt habe. Im November 2020 habe Michel den Homepage-Relaunch des Kreises über rund 40 000 Euro ohne Not in einer Eilentscheidung vergeben.

Michel, so der Vorwurf, lasse damit "jegliches Gespür für Zuständigkeiten vermissen. Man fühle sich bei den Freien Wähler inzwischen derart der Gremienarbeit missachtet und übergangen, dass zwischenzeitlich Fraktionsmitglieder mit den Gedanken ringen würden, ihr Mandat niederzulegen.In dem Schreiben wird Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer deshalb "um eine rechtliche Überprüfung des Sachverhalts gebeten".

Michel nimmt Stellung

Am frühen Mittwochnachmittag nimmt Michel dazu auf Nachfrage unserer Redaktion Stellung. Der menschliche Aspekt habe bei dieser Entscheidung im Vordergrund gestanden. MIchel sagt:  Die Beschwerde der Freie-Wähler-Fraktion habe ich zur Kenntnis genommen. Es ist gutes Recht, Vorgänge, bei denen man sich in Rechten verletzt sieht, einer Prüfung zu unterziehen. Die Fraktion übt das ihr zustehende Recht aus. Dem Regierungspräsidium werden wir auf Anforderung über unsere Sichtweise berichten."

Er begründet die Eilentscheidung so: "Durch die Flüchtlingsbewegungen aus der Ukraine haben sich bei uns im Landratsamt zusätzliche Aufgaben ergeben, die mit dem aktuellen Personal nicht zu bewältigen sind  -  das ist unbestreitbar. Insbesondere mit Blick auf die akute Notlage ist uns wichtig, dass den Flüchtlingen unverzüglich geholfen werden kann - und das ist nur mit weiterem Personal möglich. Bei der Besetzung kommt es auf jeden Tag an, die Bewerberlage ist sehr dünn. Denn alle Landkreise stellen in dem Bereich zusätzliches Personal ein. Dieser menschliche Akzent - auch gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Moment Enormes leisten - steht im Vordergrund und deshalb haben wir die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft."