Eine Flüchtlingsunterkunft für die vorläufige Unterbringung in Böblingen Foto: Stefanie Schlecht

Ärztliche Versorgung, Kita-Plätze, Schule – die Versorgung von Flüchtlingen in den Städten und Gemeinden im Kreis Böblingen wird immer schwieriger. Landrat Roland Bernhard fordert eine stärkere Begrenzung auf europäischer und nationaler Ebene.

Landräte schlagen Alarm, Hilferufe aus den Städten und Gemeinden, Streit über die Verteilung und die Kosten – die Unterbringung von Flüchtlingen ist besonders seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eines der bestimmenden Themen auf politischer Ebene in Deutschland. Die Region Stuttgart bildet keine Ausnahme. Doch was sagen die Zahlen? Wie sieht die Situation in den einzelnen Kreisen aus? Eine Übersicht zur vorläufigen Unterbringung im Kreis Böblingen.

 

Serie „Flüchtlinge: Das ist die Lage in den Landkreisen“


Wie viele Flüchtlinge sind in den Unterkünften vorläufig untergebracht?

Rund 1800 Flüchtlinge sind derzeit im Rahmen der vorläufigen Unterbringung im Kreis Böblingen auf 27 Unterkünfte verteilt. Zu den Hauptherkunftsländern zählen die Türkei (20 Prozent), die Ukraine (19 Prozent), Syrien (9 Prozent), Afghanistan (8 Prozent), Indien (8 Prozent) und Mazedonien (8 Prozent). Für die Anschlussunterbringung – nach Abschluss des Asylverfahrens oder nach 24 Monaten, bei Ukrainern nach sechs Monaten – sind die einzelnen Städte und Gemeinden zuständig. Seit 2016 konnten im Kreis Böblingen rund 10 000 Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung untergebracht werden.

Wie viel Kapazität hat der Landkreis Böblingen noch?

Die aktuelle Kapazität für die vorläufige Unterbringung liegt laut Landratsamt bei rund 2600 Plätzen. Zieht man die aktuell rund 1800 untergebrachten Flüchtlinge ab, bleiben noch 800 Plätze. „Wir planen den Ausbau auf 3000 Plätze bis Jahresende“, kündigt eine Sprecherin an. Denn monatlich müssten im Durchschnitt zwischen 200 und 250 Personen untergebracht werden.

Wo sind neue Unterbringungsmöglichkeiten geplant?

In Böblingen, Herrenberg und Sindelfingen prüft die Kreisverwaltung derzeit weitere Kapazitäten – nicht durch den Bau neuer Unterkünfte, sondern indem in bestehenden Immobilien Platz geschaffen wird.

Welche Probleme gibt es bei der Unterbringung?

Die Unterbringung läuft laut einer Sprecherin „weitestgehend konfliktfrei“, problematisch sei vor allem die ärztliche Versorgung der Flüchtlinge – im Kreis Böblingen gebe es zu wenig Ärzte.

Was sagen die Städte und Gemeinden?

Die Liste an Herausforderungen und Problemen bei der Unterbringung Geflüchteter in Rutesheim ist lang, wie Susanne Widmaier, die Bürgermeisterin der Stadt, berichtet: Die Mülltrennung werde häufig nicht beachtet – auch nach intensiver Schulung. Die Ordnung und Sauberkeit auf den Grundstücken lasse zu wünschen übrig, der Wunsch zu arbeiten sei bei Beziehern von Sozialleistungen sehr niedrig, die Schulpflicht werde teilweise missachtet, Termine würden nicht eingehalten und auch nicht abgesagt, immer häufiger treten Flüchtlinge aggressiv gegenüber Behördenmitarbeitern auf.

Dazu komme eine sehr hohe Anspruchshaltung einiger Geflüchteter: „Die Wünsche auf Einzug in Häuser oder große Wohnungen können aufgrund von Wohnungsmangel und Kosten nicht erfüllt werden“, sagt Widmaier. Ein weiteres Problem: „Schulen, Kindergärten, Ärzte haben zu wenig freie Kapazitäten“, sagt die Bürgermeisterin. Wenn die Stadt Flüchtlinge an einem Ort unterbringen möchte, wehren sich die in der Nachbarschaft lebenden Bürgerinnen und Bürger.

In Waldenbuch spielt eine große Rolle, wie die Flüchtlinge in den Unterkünften zusammengesetzt sind: „Verschiedene Nationen und Kulturen, die aufeinander treffen, ergeben Konflikte. Es ist ein enges Zusammenleben ohne viel Privatsphäre. Viele Menschen haben Schlimmes erlebt, sind traumatisiert oder angespannt aufgrund der unklaren Situation in ihrer Heimat“, berichtet Ordnungsamtsleiterin Katharina Jacob.

Die Bedürfnisse der Geflüchteten seien sehr unterschiedlich, sagt Jacob: „Die ukrainischen Geflüchteten sind ‚nur zu Besuch’, andere Geflüchtete möchten sich hier ein neues Leben aufbauen.“ Aus Bondorf ist vor allem die Sorge um den sozialen Frieden rauszuhören: „Wir mieten Wohnraum im Ort an, um diesen für Geflüchtete zur Verfügung zu haben. Das wiederum verknappt den frei verfügbaren Wohnraum im Ort für andere Bevölkerungsgruppen“, erklärt ein Sprecher. Dabei die Balance zwischen Geflüchteten und „alteingesessenen Bondorfern“ zu finden, sei nicht einfach.

Wie viel kostet den Kreis die Unterbringung von Flüchtlingen?

Mit Kosten in Höhe von knapp 5,5 Millionen Euro rechnet der Landkreis Böblingen im laufenden Jahr. Wie eine Sprecherin mitteilt, geht die Verwaltung davon aus, dass das Land Baden-Württemberg diesen Betrag erstatten wird.

Der Böblinger Landrat Roland Bernhard Foto: Archiv/Roger Bürke

Wie beurteilt Landrat Roland Bernhard die Flüchtlingssituation?

„Die Unterbringung von Geflüchteten ist nach wie vor eine große Herausforderung“, heißt es in einem Statement von Roland Bernhard (parteilos). Dabei seien zunehmend die Städte und Gemeinden in der Anschlussunterbringung gefordert, die oft an ihre Belastungsgrenzen kämen. Auch die Infrastruktur wie ärztliche Versorgung, Kita-Plätze oder Schule stoße an Grenzen. „Wir brauchen deshalb dringend eine stärkere Steuerung des Zugangs auf europäischer und nationaler Ebene“, fordert der Landrat, der deshalb die Einigung der EU-Innenminister begrüßt – „insbesondere hinsichtlich von Asylverfahren an den EU-Außengrenzen für Personen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen und damit keine Bleibeperspektive haben“. Der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene komme eine Schlüsselfunktion zu für die Begrenzung der Zugänge und gerechten Verteilungsmechanismen.

Mit der Einigung der EU-Innenminister werde die jahrelange Forderung nach einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU erfüllt. „Auf der kommunalen Ebene“, so der Landrat, „stehen wir für eine humane Aufnahme und Versorgung, die die längerfristige Integration der Menschen zum Ziel hat“. Diese könne nur gelingen, wenn die Aufnahmezahlen ein bestimmtes Verhältnis zur Bevölkerung nicht überschritten und erfolgreiche Integration nicht durch Abschiebungen gefährdet werde.