Der ehemalige Gasthof Linde – Idylle mitten in Villingendorf. Nach einem Umbau können hier bis zu 50 Flüchtlinge einziehen. Foto: Pfannes

Während einst Feinschmecker Villingendorfs Nobelrestaurant ansteuerten, wird nun das Gebäude umgebaut. Eine Unterkunft für Flüchtlinge entsteht.

Aus der Renommierlokalität der Region Rottweil, die gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts unter Heinz Gaiselmann mit Auszeichnung Gäste verwöhnt hat (neben dem „Michelin“ ebenso „Stammgast“ im Gault Millau, so zuletzt im Dezember 1999) und schließlich unter Rainer Gaiselmann eine Säule der „Gastronomischen 4falt“ wurde (mehrfach mit dem Bib Gourmand des Guide Michelin dekoriert), ist eine gastronomische Ruine geworden.

Im Sommer 2016 stellten die damaligen Inhaber einen Insolvenzantrag. Die „Linde“ und die Familie Gaiselmann gingen getrennte Wege.

Während des Bürgermeisterwahlkampfs im Oktober 2018 machte die Botschaft die Runde, Fast Food aus der Türkei (Döner Kebab) würde demnächst an dieser prominenten Stelle im Ort angeboten. Doch dies passierte nicht. Seit dieser Zeit ruht die „Linde“ lukullisch.

Das erste Mal öffentlich

Demnächst kommt Leben in das Gebäude, das bei näherem Hinsehen den Charme des Vergänglichen verströmt. Anfang Mai brachte die Mitteilung von Bürgermeister Marcus Türk, die „Linde“ werde Flüchtlingsunterkunft für bis zu 50 Personen Wallung in die Ortsmitte. Vor allem bei Nachbarn und Anliegern.

Experten vor Ort

An diesem Mittwochabend wird es im Sitzungssaal des Rathauses präziser. Auf der einen Seite geben Benoit Lehotkay, Amtsleiter des Amts für Aufnahme und Integration am Landratsamt Rottweil, und Thomas Schenk, bis 2018 24 Jahre Bürgermeister von Schenkenzell und aktuell das Landratsamt unterstützend im Bereich Gebäudemanagement, Auskunft.

Zahlen und Fakten

Elf Gemeinderäte und etwa genauso viele Bürger sind interessierte Zuhörer und stellen schließlich Fragen. Im schriftlichen Vorbericht des Bürgermeisters wird erwähnt, dass im November 2022 nichtöffentlich im Gemeinderat über eine gemeindliche Anmietung der „Linde“ beraten worden sei – und dies schließlich nicht weiter angestrebt.

Da aber jede Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist, entsprechend ihrer Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen unterzubringen, brannte diese Herausforderung weiter unter den Nägeln.

Mittlerweile hat das Landratsamt Fakten geschaffen, sich mit dem Eigentümer des Anwesens geeinigt und einen Mietvertrag unterzeichnet. Dieser gelte ab Juni – und sehr wahrscheinlich fünf Jahre lang, wie auf Nachfrage Thomas Schenk antwortet. Sehr wahrscheinlich deshalb, da derzeit etliche Mietverträge im Landratsamt vorliegen würden.

Die Kulturkreise

Angedacht sei, Wohnraum für bis zu 50 Personen zu schaffen. Deshalb laufen seit April erforderliche Umbaumaßnahmen. Vorwiegend sollen in der „Linde“ Familien untergebracht werden. Wenn es machbar sei, sollen diese Flüchtlinge aus einem Kulturkreis kommen, so Lehotkay. Also zum Beispiel aus der Ukraine. Oder aus der Region Afghanistan, Syrien, Irak. Oder Kurden aus der Türkei.

Derzeit Umbau

Da das Landratsamt zuständig für die Betreuung dieser Personen ist, wird ein kleines Büro im Gebäude eingerichtet. Im Erdgeschoss soll es fünf Zimmer zu je sechs Betten geben, im Obergeschoss sollen die anderen Personen Platz finden.

Die Bauarbeiten dauern noch etwa drei bis vier Wochen. Es werde separate Eingänge für unten und oben geben. Vor Juli/August dürfte es nicht zu einer Belegung kommen.

„Sonne“ in Schenkenzell

Wie so ein Leben mit bis zu 50 Personen in einer ehemaligen Gaststätte mitten in einem Ort ablaufen kann, weiß Thomas Schenk sehr gut. Er berichtet vom ehemaligen Schenkenzeller Hotel Sonne, in dem ab 2015 bei der ersten größeren Flüchtlingswelle etwa 80 Personen untergebracht worden seien.

Grundsätzlich berichtet Schenk von einer Zeit, in der sich nach der herausfordernden Umstellung „sehr schnell das Leben eingeschliffen“ habe. Die „Sonne“ sei kein „Schweigekloster“ geworden, es gebe immer mal wieder etwas, doch grundsätzlich seien die Bewohner in der Öffentlichkeit nicht sehr häufig anzutreffen. Besser in der Ortsmitte eine Flüchtlingsunterkunft als am Waldesrand, so existierten gewisse „soziale Kontrollen“.

Deutsche Rechtsordnung

„Es gilt unsere Rechtsordnung“, stellt Benoit Lehotkay fest. Bei Verstößen wie lautes Feiern in der Nacht könne genauso die Polizei gerufen werden wie bei Festivitäten ähnlicher Art mit deutschen Nachbarn, die sich nicht an die Regeln des Zusammenlebens halten. Oder man spreche die Personen eben direkt an.

Feuerwehr im Einsatz

Wie sehe es mit dem Brandschutz aus, will Ulrike Müller wissen. In Rottweil sei die Feuerwehr häufig vor Ort. Rauchmelder seien aktiv. In Rottweil seien die Ursachen in der Regel qualmende Zigaretten trotz Rauchverbot und qualmende Kochtöpfe.

Die Transparenz

Neben anderen Punkten spricht Angelo Sciammacca, mit seinem Friseursalon direkter Nachbar der „Linde“, die Transparenz an. Es wäre schön gewesen, von dem „Linde“-Vorhaben nicht aus der Zeitung zu erfahren, sondern direkt mit einem Anschreiben.

Polizei und Baurecht

Er regt an, die neuen Bewohner im Sportverein zu integrieren. Und er will wissen, wer ein Ansprechpartner für Probleme außerhalb der Öffnungszeiten des kleinen Büros in der „Linde“ sei. Bei „Gefahr in Verzug“ jederzeit die Polizei, teilt der Amtsleiter mit. „Wir haben keine 24/7-Rufbereitschaft.“

Die Linde vor der „Linde“. Foto: Pfannes

Das Baurechtliche interessiert einen anderen Nachbarn. Schließlich erfahre ja das Gebäude eine Nutzungsänderung. Dies auch mit Blick auf private Bauvorhaben ähnlicher Art, die nicht so ohne weiteres erlaubt seien.

Da er kein Baurechtler sei, so Schenk, könne er keine belastbare Aussage treffen. Ihm seien jedoch gewisse Erleichterungen in Erinnerung, die es vor Jahren vom Land in solchen Fällen gegeben habe.

Im Minus

Derzeit stehe die Gemeinde im Minus, was die Zahl der Flüchtlinge betreffe, die sie laut Vorgabe aufnehmen müssten. 650 Ukrainer seien es im Kreis, 27 bis spätestens Ende September müsste Villingendorf noch aufnehmen, informiert Thomas Schenk. Bei den Asylsuchenden seien es 450 im Landkreis, neun würden Villingendorf noch „fehlen“.

Die größte Sorge

Wie sehe es mit der medizinischen Versorgung für die künftigen „Linde“-Bewohner aus, will ein anderer Bürger wissen. Das sei mit die größte Sorge, antwortet Benoit Lehotkay. „Der Ärztemangel ist greifbar für alle. Wir haben kein Patentrezept.“

Das Geld

Und wer zahlt das alles? Diese Frage von Angelo Sciammacca erfährt eine knappe und präzise Antwort von Benoit Lehotkay: „Wir alle. Von unserem Steuergeld.“

Transparenz Teil 2

Nahezu genauso knapp, aber nicht so präzise spricht Marcus Türk, als die Frage nach Plätzen im Kindergarten und in der Schule für junge „Linde“-Bewohner gestellt wird. Es sei zu früh, hier nähere Auskünfte zu geben, so der Schultes. Beruhigender Nachsatz: „Wir haben uns schon mal früher darüber Gedanken gemacht.“