Michael Widmann ist Flüchtlingsbeauftragter der Diakonie Sulz. Foto: Lück

Michael Widmann, Flüchtlingsbeauftragter der Diakonie Sulz, sagt: "Viele Kommunen beweisen vor Ort, dass wir ein sicherer Hafen sind. Deshalb hoffe ich, dass mehr Kommunen sich auch offiziell dazu bekennen!"

Horb/Sulz - Michael Widmann ist zuständig für Ehrenamtliche in 36 Kirchengemeinden in den Landkreisen Freudenstadt, Rottweil und Tuttlingen. Seit 2015 versucht er mit seinen Mitstreitern, die Flüchtlinge zu integrieren und Ehrenamtliche zu unterstützen. Wir haben mit ihm über die Themen Flucht und Integration gesprochen.

Herr Widmann, wie groß ist die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge aus der Ukraine?

Als der Krieg in der Ukraine losgegangen ist, startete eine sehr große Hilfsbereitschaft. Zahlreiche Vermieter haben sich gemeldet, ihren Wohnraum zur Verfügung gestellt. Deshalb werden auch die eingerichteten Interims-Unterkünfte wie beispielsweise die Tauchsteinhalle derzeit kaum oder gar nicht genutzt.

Wie lässt sich jetzt die große Hilfsbereitschaft erklären?

Ab 2015 kamen vor allem junge Männer aus dem arabischen Raum. Viele von ihnen wurden mit 14 Jahren von ihren Familien losgeschickt und haben Jahre gebraucht, um in Europa zu landen. Die haben ihre ganz Jugend auf der Flucht verbracht. Viele Ehrenamtliche waren neben der konkreten Hilfe vor allem damit beschäftigt, Vorurteile abzubauen.

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Und heute?

Jetzt sieht man im Fernsehen dauernd schlimme Bilder aus der Ukraine. Bomben, Rauch, Leichen. Aus Syrien beispielsweise hat es das kaum gegeben. Das führt hier zu einer spontanen Hilfsbereitschaft. Dazu kommt: Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine sind Frauen. Wir sind in unserer Kultur so großgeworden, dass man Frauen helfen muss.

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Die ukrainischen Flüchtlinge – wie ticken die denn so?

In der Beratung merkt man, dass es teilweise Nähe- und Distanzprobleme gibt. Ich hatte deshalb schon intensive Gespräche mit Vermietern. Ein Teil hatte schon gehofft, dass die Flüchtlinge sich mit an den Kaffeetisch setzen.

Warum sind ukrainische Flüchtlinge teilweise anders als erwartet?

Die meisten der Flüchtlinge sind ukrainische Frauen – oft mit Kindern. Sie denken, der Krieg könnte bald vorbei sein. Einige ziehen sich zurück und telefonieren die ganze Zeit mit der Heimat. Andere hatten in der Ukraine eine eigene Wohnung und waren das eigenständige Leben gewohnt. Die Gedanken sind in der Ukraine – bei den Familien, Männer, Grundstück. Die geflüchteten Frauen sind geistig und psychisch noch nicht hier. Die Kinder haben keine Aufgaben, werden lauter. Haben viel Angst, sind unsicher. Erleben eine Mutter, die zwischen allen Welten ist. Testen die Grenzen aus. Was einigen Vermietern nicht bewusst ist: Es gibt derzeit keine Schulpflicht für ukrainische Kinder in Deutschland. Die haben Online-Fernunterricht. Deshalb sollten alle versuchen, die Kinder dazu zu animieren, doch in die deutsche Schule zu gehen. Auch Vereine können den ukrainischen Kindern Aufgaben geben.

Der Krieg dauert immer länger. Ändert sich das?

Ja. Inzwischen kommen bei einigen Flüchtlingen die Nachrichten an, dass ihre Männer gefallen sind. Es wird immer klarer, dass der Krieg keine kurze Episode bleiben wird. Umso schöner ist es, dass die orthodoxe Kirche jetzt angeboten hat, die Ukrainer in unserem Trauertreff zu unterstützen. Damit die Menschen in der ersten Not in ihrer verwurzelten Religion Seelsorge bekommen.

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Ehrenamtsarbeit?

In den Tafeln herrscht ein Riesen-Andrang. Gleichzeitig gibt es nicht mehr so viele Lebensmittel, weil die Supermärkte angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage weniger einkaufen und weniger aussortieren. Dazu fehlen Mitarbeiter – wir suchen aktuell Fahrer in Sulz!

Seit Jahren kämpfen Sie für den sicheren Hafen…

Auch die Landkreise und Kommunen beweisen derzeit, dass die Aufnahme von Flüchtlingen schnell und kompetent funktioniert. Warum soll das nur für Ukrainer gehen, und nicht für alle Flüchtlinge?