Das private Rettungschef „Ocean Viking“ (Archivbild) steht im Mittelpunkt eines Streits zwischen Italien und Frankreich. Foto: dpa/Daniel Cole

Der Migrationsdruck auf Europa wächst, doch die Union findet keine einheitlichen Lösung in der Krise.

Es ist eine Schande, was im Mittelmeer geschieht. Zumindest darüber sind sich alle Europaparlamentarier in Straßburg einig. Jedes Jahr ertrinken wahrscheinlich Tausende Menschen bei dem Versuch, europäisches Festland zu erreichen. Und trotzdem konnte sich die Europäische Union bis jetzt nicht darüber einigen, wie diesem massenhaften Sterben begegnet werden soll. In diesen Tagen ist der Streit zwischen den EU-Mitgliedsländern erneut eskaliert, nachdem die neue rechtsgerichtete Regierung in Italien dem privaten Rettungsschiff „Ocean Viking“ das Anlegen an einem Hafen verweigert hatte.

Suche nach europäischer Lösung

Aus diesem Grund haben die Abgeordnete des Europäischen Parlaments am Mittwoch erneut eine schnelle Einigung auf eine gemeinsame EU-Asylpolitik gefordert. „Es geht nicht um ein einzelnes Boot einer Nichtregierungsorganisation, es geht um eine systematische Herausforderung“, sagte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, in Straßburg.

Unterstützung bekam der Deutsche von seiner CDU-Kollegin Lena Düpont. „Wir brauchen für Asyl und Migration dringend eine gemeinsame europäische Lösung. Das beinhaltet auch eine verlässliche Einigung der Mitgliedstaaten in Bezug auf Seenotrettung.“ Bei der Debatte im EU-Parlament forderte der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt, dass sich die EU an der Finanzierung der Seenotrettung beteiligen müsse. Und: „Wir brauchen eine faire und solidarische Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU.“ Genau darauf können sich die Staaten der Union allerdings nicht einigen. Ganz zu schweigen von einer seit vielen Jahren angemahnten umfassende Reform der Asyl- und Einwanderungsregeln.

Schwierige Situation in Rom und Athen

Angesichts der immer schwieriger werdenden Situation in Italien und Griechenland vereinbarten im Juni Deutschland und ein Dutzend weiterer EU-Staaten einen „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“. Sie wollten den beiden Mittelmeerländern freiwillig Migranten abnehmen, die in Europa Aussicht auf Asyl haben. Doch selbst diese Minimal-Maßnahme wurde nicht umgesetzt. Nach Angaben von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson wurden statt der zugesagten 8000 Menschen nur rund hundert umgesiedelt. Deutschland wollte ursprünglich 3500 Menschen aufnehmen. Frankreich hatte die gleiche Zahl zugesagt, setzte dies aber zuletzt im Streit mit Italien über die Flüchtlinge von dem Rettungsschiff „Ocean Viking“ aus.

Inzwischen gehen einige der EU-Staaten eigene Wege. In diesen Tagen trafen sich die Regierungschefs von Österreich, Karl Nehammer, und Ungarn, Viktor Orban, mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic zu einem sogenannten Migrationsgipfel. Dessen Ergebnis: Serbien hebt die Visumfreiheit für Reisende aus Tunesien und Burundi auf. Das Land reagierte damit allerdings auch auf den Druck anderer EU-Staaten, seine Visumspolitik zu verschärfen. Serbien, das seit 2014 über einen EU-Beitritt verhandelt, hat für etliche Länder in Asien, Afrika und der Karibik die Visumspflicht aufgehoben. In der EU wird befürchtet, dass Migranten aus diesem Grund Serbien verstärkt als Durchgangsland für ihre Reise in Richtung Europa nutzen könnten.

Viele Migranten kommen über den Balkan

Da der Balkan im Moment wieder verstärkt in den Fokus der illegalen Einwanderung rückt, will die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex mit einem erweiterten Mandat in vier Westbalkanstaaten außerhalb der Union einsetzen. Nach dem Willen des Ministerrates der 27 Mitgliedstaaten sollen Frontex-Einsatzkräfte künftig Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien unterstützen, „Schleuser daran zu hindern, ihr Hoheitsgebiet als Transitzonen zu nutzen“, sagte der tschechische Innenminister Vit Rakusan. Bislang durfte Frontex in den betreffenden Ländern nur im Rahmen gemeinsamer Aktionen und an der Grenze zur EU tätig werden. Mit dem neuen Mandat soll die Unterstützung der Agentur auf das gesamte Hoheitsgebiet der vier Balkanstaaten ausgedehnt werden.

Nach dem Europaparlament werden am Freitag auch die Innenminister der 27 EU-Staaten bei einem Sondertreffen über die wieder steigenden Flüchtlingszahlen beraten. Stand bei der Diskussion um die Verteilung der Flüchtenden bisher vor allem Ungarn im Mittelpunkt, dürfte es dieses Mal hauptsächlich um den Streit zwischen Italien und Frankreich gehen. Denn die neue römische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni macht ihr Versprechen aus dem Wahlkampf wahr und fährt in Sachen Migration eine überaus harte Linie.